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Nidau

Seewasserprojekt: Der wichtigste Kunde lässt auf sich warten

In einem Jahr sollen die ersten Gebäude mit Wärme und Kälte aus dem Bielersee versorgt werden. Sorgen bereitet dem Energieverbund allerdings die Verzögerung des Campus Biel.

Martin Kamber, Geschäftsführer des Energieverbunds, an der Stelle, wo das Pumpwerk gebaut wird. Yann Staffelbach
von Carmen Stalder
 
Der Weg vom Bahnhof an den See gleicht derzeit einem Hürdenlauf. Wer via Robert-Walser-Platz an die Schiffländte gehen möchte, muss zuerst einen staubigen Weg bis zur Aarbergstrasse hinter sich bringen. Rechts werden beim Switzerland Innovation Park die letzten Umgebungsarbeiten ausgeführt, links befindet sich die monströse Baugrube des Campus der Fachhochschule – und das noch für lange Zeit, wie diese Woche bekannt geworden ist (das BT berichtete).
 
An der Aarbergstrasse gilt es, zwischen Baggern und anderen schweren Baumaschinen hindurch den Weg zum temporär versetzten Fussgängerstreifen zu finden. Auch für Autofahrerinnen gleicht dieses Gebiet einem Spiessrutenlauf: Etwas weiter in Richtung See ist eine Fahrbahn der Dr. Schneiderstrasse abgesperrt, der Verkehr wird wechselseitig mit einer Ampel geregelt. Nicht zuletzt ist ein Teil der Schlossstrasse komplett gesperrt.
 
All diese Baustellen hängen mit einem Projekt zusammen: dem Energieverbund Bielersee (EVB). Mit Wasser aus dem See sollen künftig grosse Teile von Nidau sowie das Gebiet westlich des Bieler Bahnhofs auf erneuerbare Weise geheizt und gekühlt werden. Am Verbund beteiligt sind der Energie Service Biel (ESB) und die Stadt Nidau. Geht es um das Vorhaben, sprechen die Verantwortlichen in Superlativen: Der Verbund werde schweizweit zu den grössten seiner Art gehören, es handle sich um ein Generationen- oder gar Jahrhundertprojekt.
 
Baustelle verschwindet
 
Noch sorgen die vielen Baustellen aber vor allem für Ärger. Projektleiterin Katrin Fischer hat jedoch gute Nachrichten: Ab zirka Mitte November sollte der Bagger von der Dr. Schneiderstrasse verschwunden sein, ebenso die Baugruben an der Aarbergstrasse. Der Verkehr wird dann wieder so reibungslos laufen, wie es auf einer der städtischen Hauptachsen eben möglich ist. Und die Fussgänger können die Aarbergstrasse wieder an gewohnter Stelle queren. «Das ist wirklich eine Horrorbaustelle und wir sind froh, wenn wir sie abschliessen können», sagte Fischer an der gestrigen Begehung.
 
Dabei handelt es sich jedoch bei Weitem nicht um ihre grösste Sorge. Stattdessen bangt der Energieverbund derzeit um seinen wichtigsten Kunden: den Campus Biel, der dereinst rund zehn Prozent des gesamten Verbundes ausmachen soll. Aufgrund eines Enteignungsstreits mit einem Liegenschaftsbesitzer verzögert sich der Baubeginn immer weiter. Ursprünglich hätte der Campus im September 2022 in Betrieb genommen werden sollen. Die neuste rechtliche Schlappe könnte die Inbetriebnahme jedoch bis ins 2029 befördern.
 
Ebenso lange wird der EVB dem Campus keine Energie verkaufen können. «Es dauert länger, bis wir eine schwarze Null erreichen», so Fischer. Eine finanzielle Entschädigung für diesen Ausfall sei vertraglich nicht vorgesehen. Der Energieverbund muss jetzt also hohe Investitionen tätigen – das Projekt kostet rund 50 Millionen Franken – und dabei noch Jahre auf die einkalkulierten Einnahmen vom Campus warten. Das ist nicht gerade der Start, den sich die Verantwortlichen gewünscht haben.
 
Umgekehrtes Problem
 
Die Ironie des Ganzen: Ursprünglich sah die Situation gerade gegenteilig aus. «Grosskunden warten auf Seewasser-Heizung» titelte das BT im Sommer 2019. Wegen Streitigkeiten um die Zuständigkeit und die Konzessionsvergabe in Nidau verzögerte sich das Projekt immer mehr. Beim Campus wuchs die Sorge, dass die Versorgung mit Fernwärme und -kälte bei der Inbetriebnahme noch nicht bereit wäre – man plante deshalb gar mit einer autonomen Energielösung mit Holz. 
 
Doch warum sind der Campus und auch der Innovationspark so wichtig für den Energieverbund? Eine Seewassernutzung von dieser Dimension nur für Privathaushalte umzusetzen, wäre für den EVB kaum rentabel gewesen. Geheizt wird schliesslich nur im Winter, im Sommer würde die Infrastruktur lediglich für das Warmwasser genutzt. Da der Campus und der Innovationspark jedoch auch gekühlt werden müssen, unter anderem wegen der Labors und Rechenzentren, wird das Seewasser auch im Sommer benötigt – was die Sache für den EVB lukrativ macht.
 
Unabhängig vom Fortschritt beim Campus wird das Seewasserprojekt derzeit mit Hochdruck vorangetrieben. Arbeiter bohren über einen Kilometer lange Fassungsleitungen in den See, sie erstellen ein Pumpwerk und verlegen Leitungen in den Strassen. Im Herbst in einem Jahr sollen die ersten Kunden mit erneuerbarer Energie aus dem See versorgt werden. Die Leitung zum Campus wird dann ebenfalls bereitstehen. Nur zu gerne wüsste man beim EVB, ab wann sie tatsächlich zum Einsatz kommt.

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