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Biel

Seine Komplizen sind echte Blutsauger

Michael Schulz ist Naturheilpraktiker und lässt sich bei seiner Arbeit von Blutegeln assistieren. Diese geben während ihrer Mahlzeit entzündungshemmende Stoffe ins Gewebe ab.

Der 52-jährige Michael Schulz wendet die Hirudotherapie an, eine Behandlung mit medizinischen Blutegeln. Raphael Schaefer
  • Dossier

Aufgezeichnet: Sarah Zurbuchen

Ich bin gebürtiger Deutscher und habe ursprünglich Wirtschaftsingenieurwesen studiert. 2009 kam ich aus beruflichen Gründen in die Schweiz. Meine beruflichen Tätigkeiten haben mich aber nie so richtig befriedigt. Ich habe in den Jahren zwar gutes Geld verdient, doch es hat mich auch ermüdet. Mir fehlte der Bezug zu etwas Lebendigem, Sinnhaftem. Von 2009-2014 habe ich mich in der Schweiz deshalb zum Naturheilpraktiker ausbilden lassen. Mich interessiert die Frage, wie Gesundheit entsteht. Am Ende des Tages jemandem geholfen zu haben, ist ein gutes Gefühl. Ich praktiziere in Biel und Zürich. Im Moment wohne ich noch in Zürich, im Mai ziehe ich dann zu meiner Partnerin nach Leubringen. 

Ich biete bei meiner Arbeit verschiedene Werkzeuge an: manuelle Therapie, Kräuterheilkunde, Fussreflexzonen, Ernährungsberatung, Schröpfen und Familienaufstellung. 

Und ich arbeite mit Blutegeln. Viele Menschen ekeln sich vor den Tieren. Aber Egel können viel bewirken. Sie haben in unserer hoch technisierten Welt leider an Bedeutung verloren. Trotzdem gibt es immer wieder Studien, die die Heilwirkung von Blutegeln bestätigen. Sie werden in manchen Spitälern, von Therapeuten und Schulmedizinerinnen eingesetzt, etwa wenn ein Finger wieder angenäht werden musste, oder bei Arthrose. In Russland werden Blutegel seit Längerem mit viel Erfolg eingesetzt. Infektionen gibt es nach einer Blutegeltherapie keine.

Der Blutegel wird in einem kleinen Schröpfglas auf die Haut gesetzt, so wird das Bissareal vordefiniert. Er saugt sich fest und sägt die Haut mithilfe seiner mit scharfen Calcitzähnchen besetzten drei Kiefer an. Das wird als leichtes Zwicken oder kurzes Brennen wahrgenommen. Die Haut wird übrigens nur oberflächlich verletzt, das darunterliegende Gewebe bleibt unversehrt. Das Tier saugt circa fünf bis zehn Milliliter Blut, dazu benötigt er 45-60 Minuten. Ist er satt,ist er fingerdick und löst sich meist von selbst. Sonst löse ich ihn mit Alkohol ab. 

Ein Blutegel gibt Hirudin, eine gerinnungshemmende Substanz, sowie eine Vielzahl weiterer Sekrete ab, die das Gewebe durchlässiger machen, den Zustrom von Blut und Lymphe verbessern und Gewebeverhärtungen, Ablagerungen und Thromben lösen. Gestaute Flüssigkeiten im Bindegewebe werden aufgelöst und Verklebungen reduziert. Ich verwende die Blutegel etwa bei Entzündungen, Gelenkproblemen, muskulären Verspannungen, Hauterkrankungen, Migräne, Krampfadern oder PMS. Eine Hirudotherapie, wie sich die Blutegelbehandlung auch nennt, kann eine Alternative zu einem operativen Eingriff sein. Nach der Behandlung bleibt eine millimetergrosse Wunde zurück, die noch 24 Stunden nachbluten kann. Die Nachblutung fördert die Wundreinigung und wird entsprechend verbunden. Meistens reichen zwei bis drei Behandlungen. 

Die Tiere, die für die Hirudotherapie verwendet werden, sind sogenannte medizinische Blutegel und werden extra für diesen Zweck in grossen Bassins gezüchtet. Sie dürfen aus hygienischen Gründen nur einmal verwendet werden. Danach friere ich sie ein und vergrabe sie in meinem Garten, um sie wieder dem Kreislauf der Natur zu übergeben. Ich versuche, mich der Kreatur gegenüber so respektvoll wie möglich zu verhalten.

Der Blutegel ist kein Allheilmittel, sondern setzt einen wichtigen Impuls, der im Körper die Selbstheilungskräfte aktiviert. Ich rate auch nur dann zur Blutegelbehandlung, wenn ich das Potenzial erkenne. Zudem ist es oft gut, auch an anderen Schrauben zu drehen. Leider lassen sich viele erst auf eine Blutegeltherapie ein, wenn sie alles andere schon versucht haben und sogenannt austherapiert sind.

Oft sind es Männer, die dann von ihren Frauen überredet wurden, mich aufzusuchen. Das ist schade, denn viele Leiden etablieren sich langsam, aber stetig, bis sie irgendwann chronisch sind. Die Erwartungen sind dann entsprechend hoch. 
Grundsätzlich ist es förderlich, wenn der Patient oder die Patientin bereit ist, bei sich hinzuschauen und offen für Veränderungen zu sein. Dabei spielen etwa die Psyche, die Ernährung oder das Familiensystem eine Rolle. Bestimmte Redewendungen weisen darauf hin, dass körperliche Beschwerden in einen grösseren Zusammenhang gesetzt werden müssen. Man sagt nicht zufällig «Mir ist eine Laus über die Leber gelaufen», denn die Leber reagiert auf emotionale Zustände. Auch Ausdrücke wie «Gelb vor Neid» oder «er ist verbittert» sprechen Bände.
 
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Medizinischer Blutegel
 

- Der Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis) wird seit Jahrhunderten zur Behandlung verschiedener Krankheiten verwendet. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist Europa, Nordafrika und Kleinasien. 

- Egel-Speichel hat unter anderem folgende Inhaltsstoffe: Hirudin: Hemmung der Blutgerinnung. Calin: kollagenvermittelte Gerinnungshemmung; Eglin C: Gerinnungs- und Entzündungshemmung; Bdellin: Gerinnungshemmung; Apyrase: Hemmung der Thrombozytenaggregation; Hyaluronidase: Abbau von Hyaluronsäure; histaminähnliche Substanzen. sz

 
Alle Folgen der Serie finden Sie unter www.bielertagblatt.ch/montag

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