Sie sind hier

Abo

Biel

«Sie versuchen, die Tat herunterzuspielen»

Matthias Regli rückt als Polizist regelmässig wegen häuslicher Gewalt aus. Die Opfer sind in den allermeisten Fällen Frauen. Wenn Regli an einem Tatort eintrifft, muss er vor allem Ruhe bewahren.

copyright: Frank Nordmann
  • Dossier

Deborah Balmer


Drei Mal am Tag geht bei der Kantonspolizei Bern ein Notruf ein, bei dem es um häusliche Gewalt geht. Der Bieler Polizist Matthias Regli verfügt über eine gewisse Routine, was solche Einsätze angeht. Er rückt zirka einmal im Monat aus, weil sich ein Paar gestritten hat. Nicht alle Auseinandersetzungen seien am Ende strafrechtlich relevant, sagt er. Aber Drohungen, einfache Körperverletzungen und wiederholte Tätlichkeiten in den eigenen vier Wänden gehören zur Kategorie häusliche Gewalt. Und bei diesen Offizialdelikten sind Polizisten verpflichtet, einzugreifen. In den meisten Fällen sind Frauen die Opfer.


Je ruhiger es am Tatort ist, desto schlimmer
Wenn Regli vor einer verschlossenen Türe klingelt, geht sein Puls schon mal richtig in die Höhe. Doch anmerken lässt er sich das nicht, es gilt, Ruhe zu bewahren und sachlich zu bleiben. «Wenn ich dann durch die Türe trete, erfasse ich die Lage mittlerweile ziemlich schnell», sagt er.


In vielen Fällen sind sowohl der Mann wie auch die Frau sehr aufgewühlt, die Wut ist spürbar.  Nicht selten ist Alkohol im Spiel. Manchmal beginnt dann die Frau zu weinen, während der Mann versucht, die Tat herunterzuspielen und das Ganze als Privatsache abzutun, die die Polizei nichts angeht. «Beide Parteien versuchen natürlich, uns irgendwie auf ihre Seite zu ziehen.»


Solche Einsätze verlangen von der Polizei Geduld und Fingerspitzengefühl. Die Streitenden müssen getrennt voneinander befragt werden. «Hat er Sie geschlagen?», fragt Regli dann die Frau, was oft der Fall ist, obwohl der Mann vielleicht etwas anderes behauptet. Es kann auch vorkommen, dass die Frau aus Angst vor dem Mann versucht, die Tat zu bagatellisieren: «Mein Mann hat mich das erste Mal geschlagen, es ist nicht schlimm.»


Für die Polizei sind die Spuren der Gewalt oft nicht sichtbar: «Meistens sind keine blauen Flecken, keine Wunden oder Blut zu sehen.» Regli erinnert sich an einen Fall, in dem der Mann die Frau gewürgt hatte. «Das war schlimm und wir sahen die Spuren an ihrem Hals. Doch nicht immer sieht man etwas.»


Sehr oft liege aber irgendwo in der Wohnung ein zerstörter Gegenstand, die auf den Streit hinweisen: Ein zerschlagenes Handy oder ein Laptop beispielsweise. Nicht selten seien die gemeinsamen Kinder des streitenden Paares Zeugen der häuslichen Gewalt geworden. In einem seiner allerersten Fälle, in dem Regli kurz nach der Ausbildung ausrückte, war es ein achtjähriger Junge, der wegen des Streits der Eltern die Polizei gerufen hatte. Häufiger sind es Nachbarn, die aggressive Schreie aus einer Wohnung vernehmen.


Polizisten üben den Ernstfall in Rollenspielen
Häusliche Gewalt ist ein wichtiger Bestandteil in der Ausbildung zum Polizisten. Da wird dann auch mal in einem Rollenspiel geübt, was später bitterer Ernst ist: Wie man eingreift und den Fall später rapportiert.


Kommt die Polizei zum Schluss, dass es zu gewalttätigen Handlungen kam, werden Opfer und Täter auf den Polizeiposten mitgenommen und dort erneut getrennt voneinander befragt. Am Ende wird dann der Täter oftmals angezeigt und erhält bei einer Verurteilung eine Geldstrafe. Etwas, was Regli hinterfragt: «Nicht selten verfügt das Paar nämlich über ein gemeinsames Budget. Muss der Mann die Busse berappen, leidet die Frau mit.»


Deshalb fände er eine Haftstrafe sinnvoller. Auf die Art der Strafe hat er  als Polizist aber keinen Einfluss, weil sie im Gesetz geregelt ist.


Gewalt: ein Zeichen von Überforderung
Für den Kantonspolizisten ist klar, dass Gewalt Keine Lösung ist. «Gewalt wird von Männern oft dann angewendet, wenn sie überfordert sind und nicht wissen, wie man einen Konflikt richtig löst. Das ist natürlich nie der richtige Weg und auch keine Entschuldigung.» Am stärksten eskalieren Konflikte laut Regli, wenn in irgendeiner Form eine Abhängigkeit besteht. «Weil diese Menschen verzweifelter sind, reagieren sie bei Konflikten intensiver.» All das ist Hintergrundwissen: In erster Linie gehe es der Polizei aber immer darum, dem Opfer zu helfen.


Regli hat sich über die Jahre eine dicke Haut zugelegt. Denn er kann folgendem Anspruch der Streitenden nicht genügen: Dass die Polizei den Konflikt aus der Welt räumt. «Wir frieren ihn mit der Intervention eigentlich nur ein.»


Nicht immer ändert sich später etwas:Obwohl häusliche Gewalt ein Offizialdelikt ist, hat das Opfer die Möglichkeit, eine Verfahrenseinstellung zu verlangen. Manchmal sieht Regli Opfer und Täter ein paar Wochen später wieder Hand in Hand durch Biel spazieren. «Da mache ich mir dann manchmal schon Gedanken.» Man habe einen so grossen Aufwand betrieben und nun «machen die einfach weiter». Regli weiss, dass Männer dabei auch Druck auf die Frauen ausüben: «Obwohl häusliche Gewalt nicht Privatsache ist, wird das Verfahren auf den Wunsch der Frau manchmal tatsächlich eingestellt.»

Nachrichten zu Biel »