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Sie waren schon überall und nirgendwo

Frauen reden mehr als Männer – so lautet ein landläufiges Vorurteil – das gar nicht meiner eigenen Erfahrung entspricht. Allerdings auch erst seit Kurzem.

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von Niklaus Baschung

Seit ich nämlich wieder regelmässig ins Fitness gehe mit diesen Kraftübungen, Stretching und steigerndem Intervall-Velofahren, damit die Kalorien nur so vom Körper purzeln. Wohin sie eigentlich purzeln, hat man bisher noch nicht herausgefunden – bei mir offenbar von einer Pobacke zur andern.

Gerade malträtiere ich an der Kraftmaschine die beiden Oberschenkelmuskeln mit 200 Pfund, da beginnt hinter meinem Rücken ein Mann über die Vorteile der Vitamin- und Proteineinnahme zu referieren. Männer diskutieren nicht, sie halten Vorträge. Ich hasse es, wenn jemand herumproletet, während ich mich mit meinem Körper beschäftige. Es ist schon so nicht immer einfach herauszufinden, ob da noch alle Muskeln vorhanden sind.

Es geht ihm um ein Wundermittel, zehntausendmal potenter als ein gängiges Präparat. «Innert drei Tagen kannst du besser schlafen, fühlst dich fit und parat für jede Challenge», behauptet er gerade. «Aber wenn ich das meinem Arzt erzähle, lacht der mich doch nur aus», wirft sein Zuhörer ein. «Ärzte!», lacht nun der andere verächtlich, «Ärzte wollen doch nur eins: dass du krank bist.»

Ich wechsle auf die Cardio-Maschine, sonst werde ich vom Zuhören noch krank. Zwanzig Minuten lang Intervall-Training, bis der Schweiss aus allen Poren tropft. Auf denselben Geräten gleich nebenan sind zwei jüngere fünfundzwanzigjährige Männer beim lockeren Aufwärmen. Die beiden schwatzen zwanzig Minuten lang durch. Sie waren schon überall auf der Welt: Brasilien, New York, Südafrika, Australien, Kalifornien, Kuba.

Weltmännisch prahlen sie von ihren Reisedestinationen. Ihre Erlebnisse tönen allerdings so schrecklich austauschbar, dass ich die höchste Schweissstufe schon erreiche, bevor ich richtig zu trampeln begonnen habe.

Meiner Grosstante ist es zu verdanken, dass ich mit neun Jahren zum ersten Mal in einen anderen Kanton reisen konnte, nach Lausanne an die Expo. Sie hat mich zur Reise eingeladen. Meine Eltern konnten oder wollten sich die Bahnbillette für sich nicht leisten, und die jüngeren Geschwister waren noch zu jung für einen anderen Kanton. Während der Bahnfahrt soll ich reklamiert haben, weil auf meinem Billett «2. Klasse» stand, obwohl ich doch damals bereits in der 3. Schulklasse gewesen bin. Das hat zur Belustigung des halben Bahnwaggons geführt. Von der Expo selber ist mir nur noch diese riesige Eisenplastik von Jean Tinguely in Erinnerung geblieben.

«Wo hat es dir besser gefallen, in Las Vegas oder in Kanada?», fragt nun einer der jungen Fitness-Männer den anderen. «Keine Ahnung, in Las Vegas war ich etwa drei Jahre alt, in Kanada fünf.» Schade, es hätte mich noch interessiert, wo er als Embryo schon überall gewesen ist.

Info: Niklaus Baschung ist Journalist, Kommunikationsfachmann und Hundehalter.

kontext@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Neulich, Niklaus Baschung

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