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Biel

Sie will allen ein schönes Einkaufserlebnis verschaffen

Vera Seckler leitet den Bieler Caritas-Markt, der seit Januar 2020 in Betrieb ist. Die 48-Jährige hat damit ihren Traumjob gefunden - obwohl der Start anders verlief als geplant.

Das Gemüse von einem Seeländer Lieferanten kann Vera Seckler zum Ankaufspreis weitergeben. Bild: Yann Staffelbach
  • Dossier

Aufgezeichnet: Carmen Stalder

Hinter uns liegt ein bewegtes und irgendwie auch wildes Jahr. Als ich im Januar 2020 im neuen Caritas-Markt angefangen habe, war das Lokal noch eine Baustelle. Es war spannend für mich, von Anfang an dabei zu sein, als Dekorationsgestalterin hatte ich früher viel mit Ladengestaltung und Warenpräsentation zu tun. Für mich und meine Stellvertreterin war es totales Neuland, einen Laden zu führen. In den ersten eineinhalb Monaten ging es entsprechend darum, in einen Courant normal zu gelangen und genügend Mitarbeitende zu finden. Wir arbeiten mit Arbeitsintegrationsplätzen, die Fachstelle Arbeitsintegration Biel-Seeland weist uns die Teilnehmenden zu.


Corona hat dann alles auf den Kopf gestellt. Während der ersten Welle haben wir den Laden morgens geschlossen. Damals hatte man ja noch keine Masken – das kann man sich heute fast nicht mehr vorstellen – und wir durften immer nur sechs Personen auf einmal in den Laden hineinlassen. Also haben wir jeweils am Morgen mit möglichst viel Personal den Laden aufgefüllt und am Nachmittag haben dann zwei Personen die Kunden bedient.


Ich denke, dass sich das Einkaufsverhalten durch Corona verändert hat. Wir haben sehr viele Anfragen für die Caritas-Karte. Jede Woche füllen wir ein paar dieser Karten aus, das steigt stetig. Pro Tag haben wir 150 bis 250 Kundinnen und Kunden. Es gibt Menschen, die schon davor an der Existenzgrenze gelebt haben. Jetzt erhalten sie zwar eine Kurzarbeitsentschädigung von 80 Prozent, aber das reicht dann einfach nicht mehr. Einmal hat eine Frau zu mir gesagt: «Die Rechnungen kommen ja auch nicht mit 80 Prozent des Betrags herein.» Seit der Eröffnung konnten wir den Umsatz gewaltig steigern. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Man kennt uns immer besser und das Angebot spricht sich herum. Zudem hat uns Corona insofern geholfen, dass wir ziemlich oft in den Medien präsent waren.


Viele Kunden sagen, dass sie gerne zu uns kommen, weil das Einkaufen persönlicher ist als in einem Supermarkt. Sie schätzen es, dass man einander kennt und sich teilweise sogar mit Namen begrüsst. Von daher sind wir schon ein wenig ein Tante-Emma-Laden. Wir haben sehr viele Stammkunden, die täglich kommen. Sie wissen genau, wann wir was erhalten: Zum Beispiel am Dienstag und Freitag kommen die Kühlwaren. Die Leute stürzen sich dann auf die Joghurts. Viel Ware stammt von Denner, dort erhalten wir beliebte Grundnahrungsmittel wie Teigwaren, Mehl, Tomatensauce und Olivenöl zu sehr günstigen Preisen. Manchmal bekommen wir Ware, die einen Fehler auf der Verpackung hat.


Die Brotabteilung ist sehr gefragt. Wir backen das tiefgefrorene Brot frisch auf. Da gibt es morgens immer einen Ansturm. Ein normales Pfünderli Brot kostet bei uns 90 Rappen, ein Liter Milch ebenso und 500 Gramm Teigwaren 70 Rappen. Es ist schon um einiges günstiger als im Coop oder Migros. Früchte und Gemüse laufen auch sehr gut. Das Gemüse bekommen wir von einem Lieferanten aus dem Seeland und werden von einer Stiftung unterstützt, dadurch können wir es zum Ankaufspreis weitergeben.
Manchmal erhalten wir eine Speziallieferung an Haushaltssachen, zum Beispiel Küchentücher oder Geschirr. Das ist vor allem bei den Frauen beliebt. Sie schreiben einander sogar SMS, um sich das mitzuteilen. So können sie sich etwas leisten, das sonst nicht im Budget liegt, das finde ich schön. Ähnlich ist es bei den Süssigkeiten, die laufen auch immer sehr gut. Die Weihnachtsschokolade haben wir immer erst nach Weihnachten und die Osterhasen nach Ostern. Doch das macht nichts, das haben sie extrem gerne.


Wenn wir uns morgens um 8.30 Uhr treffen – vier bis sechs Mitarbeitende, ein Zivi sowie ich oder meine Kollegin – teilen wir die Arbeit auf. Ich helfe oft mit, die Ware einzuräumen. Mir ist es wichtig, einen schönen und aufgeräumten Laden zu haben. Ich möchte den Menschen einen normalen Laden bieten und nicht irgendein «Gnusch». Zwischendrin helfe ich an der Kasse und erledige Bestellungen.


Im anderen Teil meiner Arbeit geht es darum, mit den Teilnehmenden zusammenzuarbeiten, Standortgespräche zu führen und Berichte zu schreiben. Das macht den Job extrem interessant und das war auch der Grund, warum ich ihn unbedingt haben wollte. Eigentlich ist es mein Traumjob: Ich wollte schon immer einen eigenen Laden haben. Nach meiner Tätigkeit als Dekorationsgestalterin bin ich in die Arbeitsagogik hineingerutscht, wo ich eine Ausbildung gemacht habe. Und jetzt kann ich das hier zusammenbringen. Der Caritas-Markt ist ein Laden, bei dem ich weiss, dass es ihn braucht. Wir können damit etwas Gutes tun für bedürftige Menschen. Es ist ein sinnstiftendes Umfeld.
Natürlich ist es nicht immer einfach, mit Leuten aus der Arbeitsintegration zusammenzuarbeiten. Wenn sie neu anfangen, kenne ich ihre Kompetenzen noch nicht. Aber sie kommen ja hierhin, um etwas zu lernen. Es gibt zwei verschiedene Programme: Von der Sozialintegration haben wir Leute, die wieder einen Tagesrhythmus brauchen oder auch alleinerziehende Mütter, die wieder arbeiten möchten. Und dann gibt es die berufliche Integration mit Perspektive für Personen, die bereit sind für den ersten Arbeitsmarkt. Bei uns sammeln sie Erfahrungen im Detailhandel. Im besten Fall finden sie danach eine Stelle. Das sind Leute, die wirklich arbeiten wollen und es auch extrem gut machen. Manche haben allerdings nur einen Ausweis F für vorläufig aufgenommene Personen. Suchen Sie damit mal einen Job – auch wenn Sie schon zehn Jahre in der Schweiz leben und eigentlich ein super Mitarbeiter sind!


Mit den Teilnehmenden fängt man an einem anderen Punkt an als mit jemandem, der schon oft in einem Laden gearbeitet hat. Ich muss herausfinden, welche Aufgaben ich einer Person geben kann, wer Verantwortung übernehmen kann oder wer schnell total überfordert ist. Ich will ihnen nicht immer alles vorgeben, sie sollen es selbst entdecken und herausfinden. Gleichzeitig ist es ein Laden, der funktionieren muss. Wir sind kein Atelier, in dem egal ist, wenn mal etwas nicht klappt und man noch einmal von vorne anfängt. Ich versuche, die Leute zu fördern und wo möglich auch zu fordern – damit es für sie spannend ist und sie etwas lernen. Ich sage ihnen immer: «Ihr seid bei uns, damit der Laden läuft, aber ihr seid auch für euch da.»

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