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Per Smartphone die Schweiz verstehen

Sich in einem fremden Land zurechtzufinden, kann schwierig werden, wenn man die Sprache nicht versteht. Die App «Love Europe» dient als Brückenbauerin zwischen Flüchtlingen und deren Helfern.

Die App "Love Europe" zeigt Supermärkte, Second-Hand-Shops und Bahnhaltestellen in der nächsten Umgebung. Die Infos können von jedem ergänzt werden. Bild: zvg

Esthy Rüdiger

Hätte es so etwas bereits für seine Eltern gegeben, wäre das bestimmt eine grosse Hilfe gewesen, sagt Sujeevan Kandasamy. Die Eltern des jungen Tamilen kamen vor 30 Jahren in die Schweiz. Ein Freund hat dem Secondo von der «Love Europe»-App erzählt – eine Anwendung, die sowohl für Flüchtlinge als auch für Helfer konzipiert ist. Inzwischen hat er die App auch anderen Tamilen, die noch nicht lange in der Schweiz sind, sowie einigen nordafrikanischen Flüchtlingen weiterempfohlen.

«Viele Flüchtlinge können die jeweilige Landessprache weder lesen noch schreiben. Aber ein Smartphone besitzen sie praktisch alle», sagt Stefan Burckhardt, der für die christliche Organisation Agape international arbeitet. Die App «Love Europe» wurde von einer holländischen Partnerorganisation lanciert, Burckhardt will diese nun in der Schweiz vorantreiben und ihre Bekanntheit steigern.

Der App vorangegangen ist eine Arbeitsgruppe der Schweizerischen Evangelischen Allianz, die 2015 – inspiriert von einem «Watson»-Artikel – einen sechs-Punkte-Plan erstellt hat, wie man als Privatperson auf die Flüchtlingswelle reagieren kann. «Wir haben gemerkt, dass es zwar viele Angebote gibt, aber man sie erst finden muss», so Burckhardt, der ebenfalls Teil der Arbeitsgruppe war. Die Lösung lag auf der Hand: Eine Plattform als App musste her.

 

Jeder kann die Karte ergänzen
Die Funktionsweise der App «Love Europe» ist simpel: Ist sie erst einmal aus dem Store heruntergeladen, kann die Anwendung auch offline genutzt werden. Ein Herzstück der App ist etwa das Lexikon: Der Nutzer wählt seine Muttersprache und die gewünschte Zweitsprache. Anschliessend findet er die wichtigsten 200 Sätze in gesamthaft 15 Sprachen. «Das hilft nicht nur den Flüchtlingen, sondern auch jenen Personen, die mit ihnen zusammenarbeiten», so Burckhardt.

Eine weitere zentrale Funktion sind die wichtigen Orte (siehe Bild). Der Nutzer kann seine Region eingrenzen und findet die für Flüchtlinge und andere Immigranten zentralen Standorte: Supermärkte, Second-Hand-Läden, Bahnstationen, Beratungsstellen und mehr. Da es sich bei «Love Europe» sozusagen um einen offenen Baukasten handelt, können von jedem Nutzer jederzeit neue Fixpunkte erfasst werden.

Ein Kalender weist die Migranten zudem auf Anlässe in ihrer Region hin. So finden in der Autonomen Schule in Biel etwa kostenlose Französisch- und Deutschkurse statt. So steht es in der App, jeweils mit direkten Kontaktangaben. Der Kalender umfasst die Veranstaltungen in der Region der nächsten 14 Tage, wiederum gilt: Jeder Helfer und sämtliche Organisationen können ihre Kurse und Veranstaltungen auf der Plattform erfassen.

Dennoch sollen die Flüchtlinge direkt auf der App Infos zur jeweiligen Kultur und zu deren Umgangsformen finden: So erfährt der Nutzer in der Schweiz etwa, was und wann hier üblicherweise gegessen wird, dass die Schweiz ein Land mit christlichen Wurzeln ist und dennoch jeder seine Religion frei ausüben dürfe, oder aber, dass ab 22 Uhr Nachtruhe herrsche sowie diverse weitere «Dos» und «Don’ts». Weil hingegen nicht jeder Flüchtling lesen kann, sind auch diverse Erklär-Videos zur Schweiz verlinkt.

Den christlichen Hintergrund der Gründerorganisationen bemerkt man höchstens in Videos, die etwa den Hintergrund von Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten erklären. Einen missionarischen Charakter weist die App nicht auf.

 

«Flüchtlinge sind begeistert»
Die Anwendung wurde gesamthaft bereits mehr als 10 500 Mal heruntergeladen, davon über 700 Mal in der Schweiz. Weiter ist die App in Holland, Deutschland und Frankreich vertreten. Stefan Burckhardt steckt bereits in Abklärungen mit weiteren Ländern und lokalen Partnern, etwa in Griechenland, Malta und Italien. «Das Tool ist da, es braucht lediglich einen Grundstock an Informationen aus dem betreffenden Land», so Burckhardt.

Auch sind weitere Funktionen bereits in Planung: Stefan Burckhardt schwebt beispielsweise eine Funktion vor, in der jeder Dienstleistungen suchen und anbieten kann. Das könnte etwa ein Sprachtandem sein, das jemand anbieten möchte, oder aber jemand, der sich anbietet, beim Ausfüllen von Formularen zu helfen. Auf der anderen Seite könnten Flüchtlinge Minijobs anbieten, etwa im Garten oder im Haushalt zu helfen.

Das Feedback, das Burckhardt bisher von Flüchtlingen erfahren hat, war durchwegs positiv. «Die meisten waren begeistert.» Auch die Kulturschule Lyss, welche Integrationskurse mit Flüchtlingen durchführt (das BT berichtete), stellt die App jeweils ihren Kursteilnehmern vor. Wie stark diese anschliessend zur Anwendung kommt, weiss die Verantwortliche Serina Lutz nicht. Aber: «Die meisten downloaden die App noch am Kursabend.»

Auch Sujevaan Kandasamy hat bisher nur positive Rückmeldungen erhalten. «Viele fragen nach, ob die App noch ausgebaut werde», so der Secondo. In Biel arbeitet er auch bei Flüchtlingsprojekten der Organisation Wycliffe mit, benutzt die App deshalb häufig selbst. «Wir prüfen nun, wie wir die App in unsere Projekte miteinbeziehen können.»

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