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Biel

So fühlt sich Quarantäne an

Nichtsahnend ging Lisa* zur Schule. Tage später wird sie in ihrem Zimmer isoliert. Eine Woche muss Lisa in ihrem Zimmer hocken. Wenn sie Hunger hat, ruft sie ihre Mutter im Nachbarzimmer an.

Symbolbild: Keystone
  • Dossier

Lisa* steigt aus dem Bett, nimmt das Natel und sagt: «Mami, ich bin wach – machst du mir ein Nutellabrot?» Wenig später stellt Mutter einen Plastikteller auf die Kommode neben der Tür und geht wieder. Lisa isst allein – die Tischgespräche mit ihren Eltern laufen jetzt über Facetime. Seit drei Tagen ist Lisa in ihrem Zimmer isoliert. Das, weil die 18-Jährige letzten Mittwoch in die Berufsschule in Biel ging.

Mittwoch letzte Woche

Ein Klassenkamerade kam mit Coronavirus ins Klassenzimmer. Er war spät dran – alle sassen schon auf ihren Plätzen. Lisa ein paar Pulte von ihm entfernt. Sie hatte keinen direkten Kontakt zu ihm, konnte nur die Augen nicht von ihm lassen. Er sah krank aus – «war da, aber irgendwie auch nicht», erinnert sich Lisa. Die Lehrerin habe gefragt, ob es ihm gut ginge. Er habe den Kopf geschüttelt. Bis dahin ahnte niemand, dass der junge Mann kürzlich in Mailand gewesen ist.

Sechs Tage später

Der Schulkollege war die dritte Person in Biel, die das Coronavirus in sich trug. Lisa erfuhr es per A-Post Plus – eine Verfügung mit dem Betreff «Quarantäne-Anordnung» schneite ins Haus. Bis zum 11. März darf sie nur um zu pinkeln das Zimmer verlassen – die Toilette muss danach desinfiziert werden.

Jeglicher Körperkontakt zu anderen Menschen ist verboten. Das, weil sie länger als 15 Minuten im gleichen Raum war, wie der Infizierte. Aber Lisa fürchtet sich nicht, infiziert zu werden. Sie hatte keinen direkten Kontakt zu ihm und ist seit besagtem Mittwoch symptomfrei. «Nach einer Infektion durch das neue Coronavirus treten die ersten Symptome gewöhnlich innerhalb von 4 bis 7 Tagen auf», steht auf dem Infoblatt für Personen in Quarantäne. Lisa könnte also aufatmen, aber das Kantonalarztamt hält sie auf Trab.

Täglicher Rapport

Jeden Morgen und Abend um 10 Uhr muss Lisa bestätigen, dass sich ihr Zustand nicht verschlechtert hat. Noch vor dem Nutellabrot misst sie ihre Körpertemperatur und sendet sie per Mail dem Kantonsarztamt. Sollte der Fiebermesser über 38 Grad anzeigen, müsste sie anrufen. Auch wenn sie plötzlich Husten, Atemnot oder Gliederschmerzen verspürt.

Das Schlimmste an der Quarantäne sei die Langeweile. Fragt man Lisa, wie sie sich fühlt, sagt sie «müde» – «zum ersten Mal habe ich einen Nachmittag lang geschlafen». Aber die nächsten Tage wolle sie nutzen. Endlich einmal den Kleiderschrank ausräumen, Bodengymnastik machen oder noch besser: Für die Abschlussprüfung ende März lernen.

Die Coronaklasse

Die Lehrer bereiten die Schüler mit Hausaufgaben auf die Abschlussprüfungen vor. Die Französischlehrerin habe ein «Coronadossier» mit lauter Übungen für Zuhause. Lisa nimmts mit Humor: «An der Diplomfeier nennen sie uns sicher Coronaklasse.»

Und dann gibt es ja noch das Handy gegen die Langeweile. Mehr denn je ist es das Tor zur Welt. Sie erhält viele Nachrichten von Freunden und Familie. «Ich habe noch nie so viel Aufmerksamkeit bekommen», sagt Lisa. Jeder frage nach ihrer Gesundheit. Das Kantonsarztamt riet ihr, mit möglichst wenig Menschen über die Heimquarantäne zu reden. Damit Lisa nicht fürchten müsse, von anderen gemieden zu werden, wenn sie in sieben Tagen wieder in Freiheit ist. Ihren Arbeitskollegen haben sicher keine Berührungsängste. Sie schickten ihr ein «Schläckzeugpäckli». Rachel Hämmerli

* Name geändert

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