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Frauenstreik

So wird morgen in Biel gestreikt

Über ein halbes Jahr hat sich die Gruppe «Collectif» überlegt, wie der morgige Frauenstreiktag
in Biel gestaltet werden könnte. Er beginnt mit Kirchenglocken und endet mit Partys.

Die Banner und T-Shirts sind bedruckt. Morgen werden sie beim Protestmarsch durch Biel gezeigt. Bild: zvg
  • Dossier

Michael Lehmann

Wer morgen am Frauenstreik teilnehmen will, kann dies auch in Biel und der Umgebung tun. Auf dem Zentralplatz gibt es ein achteinhalbstündiges Programm, das die Gruppe «Collectif» zusammen mit dem Gewerkschaftsbund Biel-Lyss-Seeland organisiert hat. Das «Collectif» hat sich vor einem halben Jahr speziell für den Frauenstreik zusammengetan. Rund 30 Frauen trafen sich zu Sitzungen, an denen Möglichkeiten besprochen wurden, wie der morgige Tag gestaltet werden könnte.

Auch Männer waren an diesen Sitzungen vertreten. «Sie haben jedoch beschlossen, eher im Hintergrund tätig zu sein und uns Frauen so gut wie möglich zu unterstützen», erklärt Anna Tanner, Co-Koordinatorin des «Collectifs» und SP-Stadträtin (mehr dazu im Interview unten). Männer, die sich mit den Anliegen der Frauen solidarisieren, seien aber auch beim Streik herzlich willkommen.

In Nidau auf Biel vorbereiten
Beginnen wird der Streiktag in Biel um 11 Uhr mit Kirchenglocken. Das Geläut soll auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen. Die Idee kam ursprünglich vom Dachverband der Frauenhäuser. Die katholischen und protestantischen Kirchen Biels unterstützen sie ebenso wie zahlreiche andere in der ganzen Schweiz.

Danach gibt es Reden zu den Themen «Gleichstellung in der Schule», «Gleichstellung in der Stadtverwaltung», «Gewalt an Frauen» und «Black Feminism». Dazwischen sollen verschiedene musikalische Darbietungen die Anwesenden unterhalten. Das «Collectif» wird derweil Streikutensilien wie Plakate und T-Shirts verteilen, an denen sie in den vergangenen Monaten gearbeitet haben.

Auch zwei Nidauer Parteien haben beschlossen, eine Aktion zum Frauenstreik zu veranstalten. Die SP und die Grünen laden ab 10 Uhr auf den Nidauer Stadtplatz ein, wo sich Interessierte treffen, um Fahnen für den späteren Protestmarsch zu gestalten. Um 11 Uhr werden ökologisch abbaubare Ballons mit verschiedenen Forderungen darauf in die Luft gelassen. Es gehe nicht darum, dem Programm in Biel Konkurrenz zu machen, sagt Stadträtin Esther Kast (Grüne). «Es sollte an vielen Orten solche Aktionen durchgeführt werden, um die Forderungen der Frauen möglichst breit zu streuen.» Ausserdem dauere die Aktion nur bis 12 Uhr, um danach beim Protestmarsch in Biel dabei sein zu können.

Überschneidung mit Bern
Der Marsch beginnt um 16.45 Uhr. Damit wird den Frauen, die um 15.30 Uhr die Arbeit niederlegen wollen, genug Zeit gegeben, auf dem Zentralplatz einzutreffen. Die Uhrzeit weist auf die Lohnungleichheit von durchschnittlich 20 Prozent hin. Beim klassischen Nine-to-five-Job würden die Frauen demnach ab 15.30 Uhr (genauer 15.23) gratis arbeiten.

Das Ende des Frauenstreiks in Biel ist auf 19.30 Uhr vorgesehen. Damit überschneidet sich das Programm mit der gross angekündigten Demonstration auf dem Bundesplatz in Bern. Diese beginnt ab 17.30 Uhr. Wird so eine Chance verpasst, mit einer womöglich eindrücklichen Anzahl an Demonstrantinnen aus dem ganzen Kanton Bern ein unmissverständliches Zeichen zu setzen? Anna Tanner verneint und argumentiert wie Esther Kast: «Die Bewegung lebt davon, dass Frauen an mehreren Orten die Initiative ergreifen.» So würden sämtliche Aktionen eine persönliche Note erhalten. «Nichts ist vorgegeben worden. Wir gestalten den Streik so, wie wir ihn für richtig halten.»

Anschliessende Partys, wie es sie in der Bundesstadt gibt, scheinen in Biel auf den ersten Blick kaum geplant. Gemäss Tanner dürften aber auch in Biel Feste auf die Beine gestellt werden, die halt eher ein bisschen «guerillamässig» organisiert würden.

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«Können nicht anstelle der Diskriminierten sprechen»
Morgen wird auch eine Gruppe Männer die streikenden Frauen in Biel unterstützen. Dabei bleiben sie aber im Hintergrund. Einer von ihnen erklärt im Gespräch, wieso.

Beim morgigen Frauenstreik gehört das Rampenlicht den Frauen. Gut so, findet Nico*. Trotzdem unterstützt er den Streik aktiv hinter den Kulissen. Dabei ist er nicht alleine: Der Bieler hat eine Gruppe von Unterstützern gegründet, die morgen etwa das Kinderhüten übernehmen wird.

Nico, wie wollen Sie sich am Streik beteiligen?

Nico: In den letzten Wochen habe ich Treffen von Männern organisiert, welche die streikenden Frauen unterstützen möchten. Wir werden rund dreissig solidarische Männer sein und mithelfen, in Biel die für den Streik nötige Infrastruktur aufzubauen. Wir werden uns um das Essen kümmern und Kinder hüten, wenn der Bedarf besteht. Wir ermutigen zudem die Männer, an ihrem Arbeitsplatz die Frauen zu vertreten, wenn diese streiken möchten.

Sie haben beschlossen, anonym zu bleiben. Warum?

Ich möchte mich in diesem Kontext nicht in den Vordergrund drängen. Beim Durchlesen der Zeitungsartikel, die 1991 zum Frauenstreik erschienen sind, ist mir aufgefallen, dass die meisten Texte die Meinung der Männer zum Frauenstreik wiedergeben. Diesmal soll das anders sein. Es geht nicht darum, dass die Männer berichten, was sie über den Streik denken. Wir können nicht anstelle der Diskriminierten sprechen.

Es gab Männer, die erklärt 
haben, dass sie sich beim Streik ausgeschlossen fühlten. Wie 
sehen Sie solche Reaktionen?

Ich bin mir sicher, dass die Organisatorinnen die Männer nicht ausschliessen möchten. Ich denke, dass sich diese Männer deswegen ausgeschlossen fühlen, weil sie für einmal weniger sichtbare Aufgaben übernehmen müssen. Dies zeigt, dass ein Wandel notwendig ist. Auch wenn die Gleichheit angestrebt wird, sind wir doch alle von unserer patriarchalischen Gesellschaft beeinflusst. Sexismus wird in unserer Gesellschaft nicht als schwerwiegende Diskriminierung aufgefasst. Dies sicher deshalb, weil noch keine tatsächliche Konfrontation mit dem Thema stattgefunden hat, wie dies in der Vergangenheit bei anderen Formen von Diskriminierung der Fall war. Ich hoffe, dass sich künftig alle gegen die Ungleichheiten wehren, die Frauen erleiden.

Ist es die richtige Strategie, die Männer aufzufordern, im Hintergrund zu bleiben?

Ich bin mir sicher, dass es den Streikenden gelingt, ihre Botschaft zu vermitteln und die Dinge zu ändern, ohne dass die Männer im Vordergrund stehen müssen.

Müssten sich nicht viel mehr Männer engagieren, um Gleichheit zu erreichen?

Natürlich. Es braucht mehr Leute, die sich engagieren. Wenn man aber für eine bessere Sichtbarkeit der Frauen kämpfen will, muss man ihnen eine Stimme verleihen – statt für sie sprechen zu wollen.

Sind Sie Feminist?

Der Feminismus strebt eine Gleichstellung der beiden Geschlechter in allen Bereichen an. Ich unterstütze diese Idee und engagiere mich für die Gleichstellung. Somit bin ich ein Feminist.

Denken Sie, dass die Frauen morgen mehr im Vordergrund stehen werden als noch am 
14. Juni 1991?

Das hoffe ich. Wir schreiben inzwischen immerhin das Jahr 2019 (lacht).

Was machen Sie selber das ganze Jahr über, um für die Rechte der Frauen zu kämpfen?

Am wichtigsten ist, möglichst stark für dieses Thema zu sensibilisieren. Das wird erreicht, indem man in seinem Umfeld regelmässig darüber spricht. Dabei soll aufgezeigt werden, dass Frauen heute tatsächlich diskriminiert werden und das Thema leider immer noch aktuell ist. Viele sind überrascht und schockiert, wenn sie etwa die Berichte von Frauen hören, die sexuell missbraucht worden sind. Ich spreche in meinem Umfeld recht häufig über solche Themen.

Interview: Clara Sidler/rw

*Name der Redaktion bekannt

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Verkehrsbetriebe umfahren Innenstadt
Die Behörden der Stadt Biel rechnen morgen mit mehreren tausend Personen auf dem Zentralplatz. Entsprechend wurden Massnahmen getroffen: Die Verkehrsbetriebe Biel (VB) werden die Innenstadt wie während der Braderie oder der Fasnacht grossräumig umfahren. «Bei der Menschenmenge, die wir erwarten, ist es schlicht nicht mehr möglich, den Verkehr aufrechtzuerhalten», sagt André Glauser, Leiter der städtischen Abteilung öffentliche Sicherheit. Die gesamte Bahnhofstrasse und die Zentralstrasse werden deshalb morgen ab 10 Uhr und bis zirka 19.30 Uhr vom öffentlichenVerkehr nicht bedient. Auch für den restlichen Verkehr wird der Zentralplatz während dieser Zeit nicht passierbar sein.

Auch wegen der nötigen Verkehrsumleitungen steht das städtische Polizeiinspektorat morgen mit einem Grossaufgebot im Einsatz. Zudem wurde eine private Sicherheitsfirma zur Verstärkung engagiert. lsg

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