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Biel

Stadt sieht Zwischennutzungen als grosse Chance

Leer stehender Raum muss der Stadt gemeldet werden: Die Zwischennutzungsinitiative soll praktisch wortgetreu umgesetzt werden. Dem Initiativ-Komitee ist das aber plötzlich zu wenig, während die Bieler Immobilien-Treuhänder gar zum zivilen Ungehorsam aufrufen.

Bild: bt/a

Lino Schaeren

Räume, die drei Monate oder länger leer stehen, müssen der Stadt Biel gemeldet werden, damit die Behörde sie an eine Zwischennutzung vermitteln kann: Das fordert die Zwischennutzungsinitiative «Leerraum beleben!» der Juso Bielingue. Im Oktober 2017 eingereicht, will der Gemeinderat die Volksinitiative jetzt praktisch wortgetreu umsetzen und legt dem Stadtrat nächste Woche ein entsprechendes Reglement vor.

Kernelement des Reglements ist die geforderte Meldepflicht für Leerraum. Zwar können Hausbesitzer nicht zu einer Zwischennutzung verpflichtet werden, sie können eine solche immer ablehnen. Tun sie dies aber, sollen sie die ablehnende Haltung begründen müssen. «Das regt noch einmal zum Nachdenken an», so Stadtpräsident Erich Fehr (SP). Das Reglement, sagt er, stelle eine grosse Chance für Biel dar, da Zwischennutzungen das soziokulturelle Leben bereichern würden.

Die Stadtregierung legt also ein Reglement ganz im Sinne des Initiativ-Komitees vor – könnte man meinen. Doch die Initianten fordern Nachbesserungen: Sie wollen, dass der Leerraum durch die Stadt ausschliesslich an nicht gewinnorientierte Zwischennutzungen vermittelt wird. Und sie fordern, dass die Stadt nicht nur Vermittlerin, sondern Vertragspartei sein soll – sie müsse den leer stehenden Raum mieten und ihn dann Zwischennutzungen zur Verfügung stellen.

Die Juso plant, im Stadtrat entsprechende Änderungsanträge zu stellen, obschon die Forderungen weiter gehen als der eingereichte Initiativtext. Dieser sieht lediglich vor, den Fokus auf nicht gewinnorientierte Nutzungen zu legen. Davon, dass die Stadt Vertragspartei sein soll und damit die Verantwortung für die Zwischennutzungen übernimmt, ist in der Volksinitiative nicht die Rede.

Deutlich unzufriedener mit dem Reglement als die Initianten ist die Kammer der Bieler Immobilien-Treuhänder (Kabit). Sie lehnt die Umsetzung der Zwischennutzungsinitiative nicht nur ab, sie ruft gar zu zivilem Ungehorsam und damit zum Rechtsbruch auf, sollte das Reglement in Kraft gesetzt werden: Der Kabit-Vorstand empfiehlt seinen Mitgliedern in diesem Fall, der Meldepflicht für Leerraum nicht nachzukommen, wie er diese Woche mitteilte. Er begründet den Aufruf zum Ungehorsam ausgerechnet damit, dass die Umsetzung der Initiative einen massiven Eingriff in die Eigentumsrechte bedeuten würde.

Zwar kamen im Auftrag der Stadt auch Rechtsgutachter zum Schluss, dass die Zwischennutzungsinitiative einen Eingriff in übergeordnetes Recht darstelle – dieser sei allerdings verhältnismässig und durch überwiegende öffentliche Anliegen gerechtfertigt. «In dubio pro populo», im Zweifel für die Bevölkerung also.

 

Politische Kampfansage?

Den Aufruf des Kabit zu zivilem Ungehorsam findet Erich Fehr problematisch, nimmt ihn gleichzeitig aber auch gelassen. Er hält den angekündigten Boykott für einen Ausdruck der ideologischen Haltung der Kabit und für eine politische Kampfansage. «Ich bin mir nicht so sicher, ob die Bieler Immobilien-Treuhänder tatsächlich bereit sein werden, organisiert rechtswidrig vorzugehen», sagt der Stadtpräsident.

Doch wie will die Stadt erreichen, dass mehr leer stehender Raum zwischengenutzt wird, wenn die führenden Akteure im Bieler Immobilienmarkt die Mitarbeit verweigern? Fehr glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich immer mehr Hausbesitzer offen zeigen für Zwischennutzungen. Dies, weil der Leidensdruck zunehmen werde: Es ist absehbar, dass vor allem bei den Geschäftslokalen der Leerstand in den nächsten Jahren noch einmal massiv zunehmen wird. «Das wird auch den Immobilieneigentümern zu denken geben», glaubt Fehr.

Der Gemeinderat ist überzeugt, dass Zwischennutzungen letztlich auch den Hausbesitzern nützten: Vandalismus und Besetzungen werde vorgebeugt, der Standort eines Areals werde aufgewertet, da soziokulturelle Projekte eine grosse Ausstrahlung hätten. Zudem glaubt die Stadtregierung, dass aus einer temporären Nutzung auch immer etwas Dauerhaftes werden könne. So könnten etwa junge Startup-Firmen die Markttauglichkeit ihrer Produkte ausloten.

 

«Fürchten Gentrifizierung»

Genau solche Überlegungen sind Grund dafür, dass dem Initiativ-Komitee plötzlich die eigene Initiative nicht mehr weit genug geht. Muriel Günther, Juso-Stadträtin und Mitinitiantin des Volksbegehrens, sagt, dass man seit der Lancierung der Initiative auf der Strasse in vielen Gesprächen dazugelernt habe. «Die Menschen haben die Initiative unterschrieben, weil sie sich eine lebendigere Kultur und mehr Vereinsleben wünschen, nicht zusätzliche Pop-up-Stores.»

Deshalb fordert das Komitee jetzt, Leerraum nur an gemeinnützige Projekte zu vermitteln. Das sei keine rein ideologische Forderung, sagt Günther, «wir fürchten schlicht, dass eine Förderung von gewinnorientierten Zwischennutzungen eine Gentrifizierung zur Folge hätte». Das Komitee fürchtet weiter, dass das vorgelegte Reglement zum Papiertiger verkommen könnte. Um das zu verhindern, soll die Stadt verpflichtet werden, selber Leerraum temporär zu mieten und zu vermitteln. Schliesslich, sagt Günther, sollten Zwischennutzungen in Biel eine Institution werden.

Der Stadtrat berät die Umsetzung der Zwischennutzungsinitiative nächsten Mittwoch. Lehnt er das Reglement ab, kommt es zu einer Volksabstimmung.

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