Sie sind hier

Abo

Aus dem Grossen Rat

Ständig sichtbar sein

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen». Dieser etwas abgedroschene Spruch ist ein passender Ausdruck für unsere heutige politische Realität: Wahlkampf ist immer und überall und hört eigentlich gar nie wirklich auf.

Bild Gnaegi_Jan_sw.jpg (7790182)

Polit-Experten würden dies unter anderem wohl auch auf das Verschwinden der klassischen Partei-Milieus zurückführen, durch welche man bis vor ungefähr 10, 20 Jahren relativ sicher sagen konnte, wie viele Stimmen die eine oder andere Partei holen wird. Heute sieht das Ganze anders aus: Die Bindung eines Wählers an eine Partei (oder gar an einzelne Politiker) hat rapide abgenommen, plötzlich sind – wie man dies bei den Nationalratswahlen feststellen konnte – auch grössere Verschiebungen möglich, was bisher in der Schweiz eigentlich eher unüblich war.

Die Parteien können sich dadurch ihrer Stammwähler immer weniger sicher sein und werden so quasi zu dauerhaftem Wahlkampf gezwungen. Für den Ideen-Wettbewerb ist das wahrscheinlich keine grundsätzlich schlechte Entwicklung, für den einzelnen Politiker, die einzelne Politikerin, wird das Leben dadurch aber sicher nicht einfacher. Wer am Ball bleiben will, muss ständig sichtbar sein, ein Fernbleiben an der regionalen Handwerkerausstellung oder dem Jubiläumsfest der Schützenveteranen oder ein Tag ohne Post auf irgendeinem Social-Media-Account liegt nicht drin.

Lange Tage und mit Pflicht-Terminen vollgestopfte Wochenenden sind die Konsequenzen. Dass es immer schwieriger wird, Menschen für ein politisches Engagement zu begeistern, dürfte weniger an den inhaltlichen Anforderungen, sondern vielmehr an eben dieser notwendigen Dauerpräsenz liegen. Unser Milizsystem sieht vor, dass Volksvertreter ihr Amt nur nebenberuflich ausüben und durch das Verbleiben im ursprünglichen Beruf nahe bei der Bevölkerung und deren Anliegen sind. Wenn es aber nun zur Voraussetzung wird, dass man – um erfolgreich für ein Amt zu kandidieren – dies quasi Vollzeit macht, so wird das zur «Mission impossible» für das Milizsystem.

Es dürfte kein Zufall sein, dass viele der erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten bei den letzten Nationalratswahlen entweder bereits Berufspolitiker sind, ihren Job gekündigt oder einen längeren unbezahlten Urlaub bezogen haben, und sich so Zeit für den Wahlkampf nehmen konnten. Das ist eine Entwicklung, die wir eher kritisch beäugen sollten. Schliesslich sollten für eine Wahl grundsätzlich andere Voraussetzungen gelten, im Idealfall sollte auch der vollberuflich engagierte Familienvater oder die selbstständige KMUlerin die Wahl schaffen können.

 
kontext@bielertagblatt.ch

Nachrichten zu Biel »