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„Krawattenzwang“

Stausteher – erklären Sie mir das Phänomen

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, publizistischer Leiter der Gesamtredaktion und Chefredaktor „Bieler Tagblatt“ wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Stausteher – erklären Sie mir das Phänomen.

Bernhard Rentsch: Krawattenzwang
  • Dossier

Mit Gotthard-Durchquerungen im Auto habe ich wenig Erfahrung, folglich auch mit Staustehen. Ein einziges Mal wurde ich in einem Zwei-Kilometer-Stauchen zurückgehalten und – ich gebe es zu – verlor schon fast die Nerven. Das wirkt sich nicht in aggressivem Verhalten im Strassenverkehr aus, eher mit einem verärgerten Gefühl «nach innen». Umso mehr fällt es mir schwer, das sich regelmässig wiederholende Phänomen zu verstehen. Grundsätzlich mit Geduld und Gelassenheit gesegnet, übertrifft diese Geduldsprobe meine Vorstellung von Zeitvertrieb.

In diesem Jahr: Bereits eine Woche vor Ostern wurden 14 Kilometer Stau gemeldet, dasselbe vor und nach den Ostertagen. Bis zu drei Stunden Stillstand – Hin und Her sind das sechs verplemperte Stunden. Da sind dann rasch einmal die Verwandtengeschichten aufgewärmt, die Lieblingsmusik gehört und das Picknick verzehrt. Wenn es ganz toll staut, liegt sogar ein Spaziergang ausserhalb des Autos drin. Da soll es schon ganz schöne Treffen und lange überdauernde Freundschaften gegeben haben ...

Physikalisch ist das Phänomen Stau eine erklärbare Sache: Zu viele Autos auf zwei Spuren versuchen, sich gleichzeitig vor dem Engnis in einer Spur einzureihen. Das Verstopfen des Abflusskanals ist unvermeidbar. Jetzt erkläre mir aber doch bitte jemand, weshalb man das Ganze scheinbar noch aktiv sucht. Die Stautage sind seit Jahren bekannt. Warum müssen trotzdem Tausende gleichzeitig den Weg in den Süden unter die Räder nehmen – und weichen weder zeitlich noch örtlich aus? Da habe ich wohl etwas verpasst. Willkommen sind Informationen, die mir helfen, die offenen Fragen zu beantworten.

Aber Achtung: Das spontane Stauumfahren mithilfe des GPS kann auch ins Auge gehen. Die Reise in den Süden mit dem Wohnmobil war ohnehin schon nicht ganz trivial, zumindest für Fahrer, die nicht täglich sechs Meter lange Vierräder steuern. Als die Stimme aus dem Lautsprecher kurz vor Mailand empfahl, die Umfahrungs-Autobahn zu verlassen, war das Vertrauen zu gross. Das System hatte erkannt, dass auf der Autobahn Rückstaus das Vorwärtskommen erschwerten, und empfahl die Route durch die Innenstadt. Dass dies mit dem übergrossen Wohnmobil alles andere als die optimale Lösung war, entpuppte sich rasch als Tatsache. Also: Nicht in jedem Fall ist das Umfahren von Stausituationen die richtige Lösung. Eher der Verzicht.


brentsch@bielertagblatt.ch

Twitter: @BernhardRentsch

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