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Kolumne

Tell, Alexander der Grosse und die Helden des Fussballs

Also macht es keinen Unterschied, ob man an Kriegshelden oder an Fussballhelden glaubt?

TOBIAS KAESTLI

In Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, hat die Regierung ein 22 Meter hohes Standbild Alexanders des Grossen errichten lassen. Die tragende Säule ist mit grimmig blickenden Kriegern im Halbrelief geschmückt. Zuoberst sitzt der Welteroberer mit gezücktem Schwert auf seinem sich bäumenden Pferd. An der Brücke über den Vardar, ganz in der Nähe, sind Bronzestatuen von christlichen Missionaren und Glaubenskämpfern aufgestellt. Die albanisch-muslimische Minderheit, die am Nordufer wohnt, fühlt sich provoziert. Noch mehr Ärger gibt es mit Griechenland. Der Nachbarstaat nimmt Alexander für die eigene Nationalgeschichte in Anspruch. Er macht zudem der Republik Mazedonien ihren Namen streitig. Dieser sei der griechischen Region Makedonien vorbehalten. Umso stärker demonstrieren die Mazedonier ihren Willen zur Selbstbehauptung. Sie haben nachgedoppelt: Vis-à-vis von Alexander, auf der andern Seite des Vardar, steht seit neustem ein 29 Meter hohes Standbild Philipps II., des Vaters von Alexander. Auch ihn nehmen die Griechen für sich in Anspruch. So werden gegenseitig nationale Leidenschaften geschürt.

Das Denkmal als Verdichtung des nationalen Mythos ist eine westeuropäische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Der Staat Mazedonien, 1991 aus den Trümmern Jugoslawiens entstanden, holt nach, was westliche Nationen längst hinter sich gelassen haben. Die Regierung will, dass die Bevölkerung zu den Helden der Vergangenheit aufblickt und dabei lernt, auf die eigene Nation stolz zu sein. Aber was ist die Nation? Gehört die Minderheit der albanisch-stämmigen Muslime auch dazu? Der Nationalismus der Regierung eines kleinen und armen Staates wirkt befremdlich. Ohnehin führen die nationalistischen und ethnischreligiösen Gegensätze im Balkan immer wieder zu gefährlichen Gewaltausbrüchen. Man sollte sie nicht noch anheizen. Menschenrechtsorganisationen versuchen, Ausgleich und Versöhnung herbeizuführen. Aber der Nationalismus grassiert.

Auch der schweizerische Nationalismus orientierte sich einst an heldenhaften Kraftprotzen. Der Sieg der Eidgenossen in der Schlacht von Sempach im Jahr 1386, der angeblich nur dank Winkelrieds Heldentat zustande kam, wurde alljährlich gefeiert. Das Tell-Denkmal von Richard Kissling, 1895 mit staatlicher Hilfe in Altdorf aufgestellt, war wie die Tell-Kapelle am Urnersee eine Art nationales Heiligtum. Der Armbrustschütze und Tyrannenmörder Wilhelm Tell galt als Verkörperung unseres nationalen Willens. Auch als die Geschichtsforschung längst gezeigt hatte, dass weder Tell noch Winkelried je gelebt hatten, nahm man sie ernst. Sie gehörten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zum unverrückbaren Gründungsmythos der Eidgenossenschaft. Als Bub las ich in den 50er Jahren mit Begeisterung Meinrad Lienerts «Schweizer Sagen und Heldengeschichten», das der Schweizer Jugend die Heimat nahebringen sollte. Im Vorwort schrieb Lienert: «Ich trommle die alten Eidgenossen aus den Gräbern und lasse sie ihre wahrhaften Schlachten noch einmal vor euch durchkämpfen. Hört ihr’s? Da rücken sie schon mit schwerem Berglerschritt heran … Haarus!»

Nationale Helden stiften nationale Identität. Andererseits wirken sie diskriminierend: Wer nicht ein Nachfahre Tells ist, gehört nicht zu uns. Oder auf Mazedonien bezogen: Wer nicht in der Tradition des Hellenismus und des Christentums steht, ist kein richtiger Mazedonier. Doch hier wie dort: Nationale Helden haben für die junge Generation kaum noch Bedeutung. Wichtiger sind ihr etwa die Helden des Sports, besonders des Fussballs. Vor und in den Fussballstadien kommt es immer wieder zu Gewaltszenen. Also macht es keinen Unterschied, ob man an Kriegshelden oder an Fussballhelden glaubt? Oder ist der Fussball doch irgendwie ein humaner Fortschritt? Immerhin sind Fussballer lebendige Menschen, die ihr Können beweisen müssen, wenn sie Helden werden wollen. Und wenn sie es sind, spielt es keine Rolle, ob sie in der Schweiz, in Portugal, im Kosovo oder an der Elfenbeinküste geboren wurden.

Auch vor und in den Fussballstadien kommt es immer wieder zu Gewaltszenen. Also macht es keinen Unterschied, ob man an Kriegshelden oder an Fussballhelden glaubt?

INFO: Tobias Kaestli ist Historiker und lebt in Biel und Magglingen.

Stichwörter: Kolumne, Helden, Fussball, Tell

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