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Grosser Rat

«Tolereranz darf nicht zur politischen Selbstaufgabe führen»

Die abtretende Marianne Schenk schickt Hubert Klopfenstein zum Abschied im Grossen Rat Blumen, wenn auch nur per E-Mail. Dieser kontert zum Dank mit einem Vergleich vom Slalomstangenfahren.

Marianne Schenk
  • Dossier

Marianne Schenk, letzte Woche Donnerstag

An: Hubert Klopfenstein

Lieber Hubert

Auch wenn unsere Lebensphilosophie und der berufliche Hintergrund unterschiedlicher nicht sein könnten, eines haben wir in dieser Session gemeinsam: Wir können unsere letzte Session ohne Wahlstress und relativ ausgeruht «geniessen».

Das heisst für uns beide natürlich nicht weniger Engagement. Professionell und dossiersicher hast du uns Grossrätinnen und Grossräte gestern wie immer durch die letzten Richterwahlen geführt.

Welche Gedanken und Gefühle hat dies bei dir ausgelöst? Was wirst du vermissen? Das Rednerpult, die kontroverse Debatten?

Gruss vom Platz Nummer 48, Marianne Schenk

Hubert Klopfenstein, letzte Woche Freitag

An: Marianne Schenk

Danke, sehr liebe Marianne, für die Blumen. In der Tat war meine Tätigkeit als Ausschussleiter zur Vorbereitung der Richterwahlen interessant und abwechslungsreich. Ich durfte mit unzähligen Personen aus dem Justizapparat zusammenarbeiten, was mich an meine frühere Tätigkeit als Richter erinnerte. Zu deiner Frage: Ich bin nicht unglücklich, den angeblich bürgerlichen Grossen Rat nach fast zehn Jahren verlassen zu dürfen. Gute, von Parteipolitik geprägte Debatten, waren ja eher selten. Man war bekanntlich, nicht zuletzt in unseren Reihen, zu viel auf Harmonie bedacht und davon profitierte in erster Linie die Linke! Mut zu harten und klaren Positionen hatten nur wenige. Ich hoffe, dass sich dies am Wahlsonntag ändert und wieder klar wird, wer eigentlich wo steht.

Ich kann mir vorstellen, dass du diese Meinung nicht unbedingt teilst.

Gruss aus dem Oberland, 
Hubert

Marianne Schenk, Montag

An: Hubert Klopfenstein

Danke für deine Frage, Hubert, du weisst ja auch, dass es in der Politik nicht um Harmonie geht, sondern um konstruktive und nach vorwärts gerichtete Lösungen – ob von der linken oder der rechten Seite. Diese Ansicht steht ja eigentlich für die Mittepolitik zu welcher du ja auch gehörst, oder?

Gruss aus der hintersten Reihe, Marianne Schenk

Hubert Klopfenstein, Dienstag

An: Marianne Schenk

Konstruktive Lösungen, meine liebe Marianne, sind immer erstrebenswert. Zuerst müssen jedoch klare und vielleicht auch harte Positionen vertreten werden, damit der politische «Gegner» auch weiss, was Sache ist. Anschliessend darf man sich finden. Aber bereits zu Beginn einer Debatte einzuknicken, nur um niemandem wehzutun, verhilft nur der Linken zu (Teil-)erfolgen. Das geschah in letzter Zeit leider öfters.

Und zur sogenannten politischen Mitte: Ich habe Mühe mit diesem wässrigen Begriff. Ich politisiere eindeutig rechts von der Mitte und ich stehe dazu. Der Begriff der politischen Mitte ist mir einfach zu nahe an der «Slalomstange », wenn du weisst, was ich meine.

Ich grüsse dich im Anschluss an die Abschiedsfeier im Rathaus, Hubert

Marianne Schenk, Mittwoch


An: Hubert Klopfenstein

Ja, werter Hubert, unsere Meinungen gehen schon etwas auseinander, was die Auffassung der Härte des Kurses angeht. Ich bin auch immer dafür, dass nach der Devise «hart, aber fair» politisiert wird.

Wenn ich rosarote Schuhe trage und du in hellblauen Schuhen besser gehst, ist dies für mich kein Grund, dir als Andersdenkendem nicht die nötige Wertschätzung entgegenzubringen. Dies hat nichts zu tun mit «einknicken» oder nahe an der Slalomstange fahren. Das ist eine persönliche Einstellungssache. Ich denke, wir sind geprägt von unserer beruflichen Laufbahn.

In der Politik braucht es auch Toleranz, ob Mitte-Rechts oder Mitte-Links. Dies meine Gedanken zu deinen Ausführungen.

Am Ende zählt das Resultat, unseren Kanton zu stärken und die Bevölkerung bis ins hinterste Tal zu vertreten. Letzteres lebst du ja schon in deiner neuen Wahlheimat im Oberland.

Ich wünsche dir auch ohne Politik eine interessante Zukunft und Personen, die deine Fähigkeiten zu schätzen wissen.

Alles Gute, Marianne Schenk

Hubert Klopfenstein, Mittwoch


An: Marianne Schenk

Genau, liebe Marianne, am Ende zählt das Resultat und eine gute Lösung für den Kanton Bern, selbst wenn der Stil und die politische Gangart verschieden sein mögen. Toleranz ist gut, sie darf aber nicht zur politischen Selbstaufgabe führen. Schliesslich muss man in erster Linie die Interessen seiner Partei durchsetzen. Die Linke tut das jeweils auch mit Vehemenz und ist diesbezüglich nicht gerade zimperlich. Hat Rot-Grün schon einmal Rücksicht auf die Bürgerlichen genommen? Nie!

Nun denn, ich stelle fest, dass wir beide und ein paar andere wohl die Einzigen sind, die sich mit politischen Fragen auseinandersetzen. Ich beziehe mich dabei auf die Wahlbeteiligung von knapp 27 Prozent im Seeland. 73 Prozent der Stimmberechtigten zelebrierten letzten Sonntag die Zufriedenheit mit den politischen Behörden und wollen offensichtlich nichts anderes. Da können wir nun getrost zu Bett gehen und ruhig schlafen. Ich wünsche eine gute Nacht ins Seeland und bin froh, dass die endlosen Diskussionen morgen zu Ende sind.

Gruss Hubert um 22. 20 Uhr

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