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Biel

Treffen auf Sportplatz endete blutig

Ohne rasche medizinische Versorgung wäre er wohl gestorben: Bei einer Messerstecherei ist ein Bieler vor knapp zwei Jahren schwer verletzt worden. Der Täter musste sich gestern vor Gericht verantworten.

Auf dem Sportplatz der Schule Madretsch gerieten die beiden Kontrahenten um Mitternacht aneinander. Yann Staffelbach

von Carmen Stalder

Tagelang haben sie sich beschimpft und beleidigt. Sie haben sich wütende Sprachnachrichten geschickt und sie haben sich gedroht. «Die beiden sehen sich gerne als Gangster und führen sich auch so auf», nennt es Rechtsanwalt Antoine Schöni. Die gegenseitigen Provokationen führten im August 2019 zu einem gewalttätigen Aufeinandertreffen – und brachten die beiden Protagonisten vors Regionalgericht Berner Jura-Seeland.

Dort versuchte Schöni, der Verteidiger des Beschuldigten, gestern darzulegen, dass dieser in Notwehr gehandelt habe. Das Messer habe er nur eingesetzt, um sein eigenes Leben zu retten. Staatsanwältin Barbara Henauer sah das freilich etwas anders: Der mutmassliche Täter habe den Tod des Opfers durch die Heftigkeit seines Angriffs in Kauf genommen. Er sei deshalb der versuchten eventualvorsätzlichen Tötung schuldig zu sprechen.

Am Anfang steht eine Nichtigkeit. Der Bieler, zum Tatzeitpunkt stand er kurz vor seinem20. Geburtstag, hörte aus seinem Umfeld, dass der spätere Täter, ein gebürtiger Slowake und zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt, schlecht über ihn rede. Er erzähle herum, dass er sich vor ihm fürchte. Das wollte der Bieler nicht auf sich sitzen lassen. Er verschickte eine erboste Nachricht – auf die noch viele weitere folgen sollten. «Die Nachrichten waren haarsträubend, und zwar von beiden Seiten. Sie haben davon geredet, dass sie sich treffen und abstechen wollen», sagt Henauer.


Verschiedene Geschichten

In der Nacht vom 16. auf den 17. August kam es dann tatsächlich zu einem Treffen. Kurz vor Mitternacht fanden sich die Kontrahenten auf dem Sportplatz der Schule Madretsch wieder. Beide hatten für Unterstützung gesorgt; der Slowake wurde von einem Kollegen begleitet, der Bieler je nach Erzählweise von zwei Freunden oder gar einer Gruppe von rund 15 Personen.

Es ist dies nicht der einzige Punkt, in dem sich die Schilderungen der beiden unterscheiden. Der Beschuldigte erzählt, dass er vom Bieler und seinen Kollegen mit Steinen beworfen worden sei. Daraufhin habe er ein Sackmesser gezückt und sich gewehrt. Das Opfer dagegen schildert, dass er beim Aufeinandertreffen direkt einen Faustschlag kassiert habe. Als er zurückgeschlagen habe, sei der Täter plötzlich mit einem Messer auf ihn losgegangen.

Klar ist: Am Ende der Auseinandersetzung flüchtete der mutmassliche Messerstecher. Das Opfer blieb schwer verletzt liegen und wurde anschliessend von einer Ambulanz ins Spital gebracht. Beim Zweikampf hatte der junge Mann eine Schnittverletzung am Handgelenk davongetragen, eine Stichverletzung, die den Dünn- und Dickdarm zerstach und die linke Niere traf sowie eine weitere Stichverletzung zwischen den Rippen, die eine Bluttransfusion nötig machte. Er musste notoperiert werden, landete auf der Intensivstation und verbrachte eine Woche im Spital. Nur dank den notfallmässigen medizinischen Interventionen hätte eine Lebensgefahr abgewendet werden können, heisst es in der Anklageschrift. «Es ist dem Zufall zu verdanken, dass nicht die Lunge oder eine Arterie getroffen wurde», ergänzt die Staatsanwältin.


Fortlaufende Drohungen

Vor dem Gericht schildert der Bieler, dass er noch heute mit den psychischen Folgen der Tat zu kämpfen habe. Er träume fast jede Nacht vom Angriff, müsse Medikamente nehmen und leide unter Angstzuständen. Gefördert wird diese Furcht durch Geschehnisse, die sich nach der Messerstecherei ereigneten.

So trafen die beiden nur zwei Wochen nach der Tat erneut aufeinander. Vor der Provisorium-Bar soll der Beschuldigte dem Opfer mit einem Messer in der Hand gedroht haben, dass etwas passieren würde, wenn er bei der Polizei gegen ihn aussage. Auf Social Media machte sich der mutmassliche Täter über das Opfer lustig. Und im Mai 2020 soll der Messerstecher gegenüber einem Kollegen des Bielers gesagt haben, dass er nicht wegen versuchten Mordes ins Gefängnis gehe – wenn schon, dann wegen vollendeten Mordes. Der junge Mann erfuhr von dieser Aussage und wurde abermals in Angst versetzt.

Der Verteidiger des Beschuldigten argumentiert, dass das Opfer nicht so unschuldig und hilflos sei, wie es behaupte. Er zweifle an dessen Glaubwürdigkeit. Beide jungen Männer hätten am besagten Abend Alkohol und Drogen konsumiert und sich anschliessend gegenseitig angestachelt. «Mein Mandant hat sich nur verteidigt. Der Gebrauch des Messers zur Selbstverteidigung war völlig verhältnismässig», so Schöni.

Geht es nach der Staatsanwältin, muss der Slowake für acht Jahre und vier Monate ins Gefängnis. Ausserdem soll er einen Landesverweis von neun Jahren kassieren. Hinzu kommt eine Forderung von Fürsprecher Philipp Kunz, der für seinen Mandanten eine Genugtuung von 15'000 Franken verlangt. Der Verteidiger dagegen plädiert auf Freisprüche in allen Anklagepunkten – mit einer Ausnahme: Wegen der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz habe sein Klient eine Busse von 350 Franken zu berappen.

Das Urteil wird morgen verkündet. Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

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