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Biel

Velos sollen an erster Stelle stehen

Kopenhagen und Amsterdam sind wahre Paradiese für Radfahrerinnen und -fahrer. Davon ist Biel noch weit entfernt: Durchgehende Routen fehlen und es gibt manche gefährliche Ecke. Jetzt reichts, sagt die SP – und prescht vor.

Auf dem Oberen Quai will die SP eine von mehreren Velostrassen einführen. Peter Samuel Jaggi
von Carmen Stalder
 
Auf der schmalen Strasse kommt ein Auto entgegen und weicht keinen Zentimeter zur Seite. Im Kreisel schneidet ein Lieferwagen den Weg ab. Auf dem Arbeitsweg schalten die Ampeln alle paar hundert Meter auf Rot und verhindern ein zügiges Vorankommen. Für Fahrradfahrerinnen ist Biel kein einfaches, ja teilweise ein gefährliches Pflaster. So gibt es keinen durchgehenden Veloweg vom Westen in den Osten der Stadt. Der Sachplan Velo 2035 mit 80 Massnahmen ist zwar in Arbeit, lässt aber noch auf sich warten. Und immer wieder ereignen sich Unfälle, bei denen Velofahrende verletzt werden.
 
Von politischer Untätigkeit kann man derweil nicht sprechen. Insbesondere die Grünen und die Sozialdemokratinnen fordern seit Jahren eine Verbesserung der Situation. Sie verlangten bereits Velobahnen beziehungsweise -strassen, eine Transportvelostadt, eine bessere Schneeräumung und vieles mehr, wie Matthias Rutishauser, Geschäftsleiter von Pro Velo Biel-Seeland-Jura bernois, im vergangenen Jahr im «Velojournal» festhielt. Einiges davon wurde angenommen, allen Anträgen deren Wichtigkeit anerkannt. «Passiert ist jedoch wenig bis nichts», so Rutishauser.
 
Veloweg statt Autobahn
 
Nun scheint es, dass die Bieler SP nicht länger warten mag. Gestern hat die Partei ihre verkehrspolitische Vision für die Stadt vorgestellt. Diese sieht eine sogenannte Velooffensive vor – und kommt mit einer Flut von Massnahmen und Vorstössen daher (siehe Infobox). Kurz gesagt kämpft die Partei dafür, dass Biel zu einer Velostadt wird. «Unsere Bevölkerung wünscht sich hochwertige, städtische Lebensräume anstelle von Autobahnschneisen», so Susanne Clauss, Co-Präsidentin der SP Biel – und spielt damit auf den erfolgreichen Protest der Bevölkerung gegen den A5-Westast an.
 
Geht es nach den fünf an der Medienkonferenz vertretenen SP-Stadträten und -rätinnen, gibt es zahlreiche Gründe, die für ihre Offensive sprechen. So könne damit der Verkehrslärm in der Innenstadt verringert werden und die Luftverschmutzung nehme ab, was auch dem Klimareglement entspreche. Man könne damit die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden verbessern, beim Fahrrad handle es sich um das billigste Transportmittel, Biel habe die ideale Grösse, um sich mit dem Velo von A nach B zu bewegen und viele Massnahmen könnten für wenig Geld umgesetzt werden. «Schliesslich zeigt die Bieler Bevölkerung ihren Wunsch nach dem Ausbau der sanften Mobilität schon seit vielen Jahren, sei es durch Volksabstimmungen, Demonstrationen oder Vorstösse im Stadtrat», so Joseline Stolz, Fraktionspräsidentin des PSR.
 
Von der Auto- zur Velostadt
 
Als Vorbilder nennt Anna Tanner Kopenhagen und Amsterdam. Beide seien noch vor 50 Jahren Autostädte gewesen. Heute sei die Veloinfrastruktur so gut ausgebaut, dass in Kopenhagen über die Hälfte der Bewohnenden mit dem Velo zur Schule oder zur Arbeit fährt. Und in Amsterdam ist das Fahrrad das häufigst gewählte Verkehrsmittel der Stadt. Davon sei Biel noch ziemlich weit entfernt, räumt Anna Tanner ein. «In Biel sind die Rechte für Auto- beziehungsweise Velofahrende sehr unverhältnismässig verteilt.» Doch sie zeigt sich optimistisch, dass auch hier die Situation für Velofahrende in kurzer Zeit verbessert werden könnte.
 
Auch Paris wird seit einigen Jahren zur Velostadt umgebaut. Damit die Stadt bis 2026 100 Prozent fahrradfreundlich wird, will die Regierung 250 Millionen Euro ausgeben. Davon kann Biel nur träumen. Doch die Parteimitglieder versichern, dass man die Velooffensive trotz der aktuell begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Stadt Biel ins Rollen bringen könne. Schliesslich könnten viele Verbesserungen auch mit wenig Geld erreicht werden – etwa, wenn es um einfache Markierungsarbeiten gehe.
 
Levin Koller, SP-Fraktionspräsident, räumt ein, dass Biel alleine mit den vorgeschlagenen Massnahmen noch nicht zu einer Velostadt werde. Doch auch dazu habe man sich bereits etwas überlegt: «Zusätzlich werden wir eine Motion einreichen, in der wir fordern, dass Biel bis 2035 eine Velostadt und der Anteil des Veloverkehrs am Gesamtverkehr bis zu diesem Jahr mindestens verdoppelt wird», so Koller.
 
Bei der zu erwartenden Vorstossflut sowie gewissen Ideen wie der Aufhebung von Parkplätzen ist absehbar, dass sich die Begeisterung auf bürgerlicher Seite in Grenzen halten wird. Führen die Sozialdemokraten hier nicht einen regelrechten Krieg gegen Autofahrerinnen? Provozieren sie mit ihren Forderungen nicht den Unmut vieler Ratskollegen? Darauf angesprochen, winkt Anna Tanner ab. Im Stadtrat gehöre es dazu, intensive Debatten anzuzetteln. Und nicht zuletzt würden auch Autofahrer und Lastwagenfahrerinnen von sicheren Velorouten profitieren: Nämlich dann, wenn auch ihnen weniger oft der Schweiss ausbricht, weil sie in eine brenzlige Situation geraten.
 
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So soll das Velofahren einfacher werden

Die SP schlägt konkrete Massnahmen vor, mit denen sie die Velooffensive anstossen will. An den nächsten Stadtratssitzungen will die Partei entsprechende Vorstösse ins Parlament tragen. So lauten die kurzfristigen Massnahmen:
  • Eine erste Velostrasse bis Ende 2022 mittels Velopiktogrammen und Anpassung der Vortrittsregelung umsetzen. Bis Ende 2023 sollen mindestens vier weitere folgen.
  • Infrastruktur durch einfache und kostengünstige Markierungsarbeiten verbessern, etwa bestehende Fahrradstreifen auf 2,2 Meter verbreitern.
  • Fahrradstreifen an gefährlichen Stellen rot einfärben.
  • Rechtsabbiegen für Velofahrende bei Rot einführen.
  • In der Innenstadt bis Ende 2023 mindestens 40 Parkplätze für Autos durch Veloabstellplätze ersetzen. Zusätzlich bis Ende 2022 acht Parkplätze vor dem Bahnhof aufheben und in Veloabstellplätze umwandeln.
  • Am nördlichen Oberen Quai für den Veloverkehr eine grüne Welle für Velofahrende erstellen.
  • Den Winterdienst so anpassen, dass die Schneeräumung auf Velostreifen möglichst rasch ausgeführt wird. Velowege sollen möglichst ganz oder mindestens zu zwei Dritteln vom Schnee geräumt werden.
 
 

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