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Verurteilt zum Glücklichsein

Niklaus Baschung ist Journalist, Kommunikationsfachmann und Hundehalter.

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von Niklaus Baschung

Jedes Mal, wenn die UNO ihren jährlichen «Weltglücksreport» vorstellt, haben wir Schweizer und Schweizerinnen Grund zum Staunen. Über unsere sehr gute Platzierung. Das ist doch gar nicht zu fassen, so viel Glück. Manchen schlägt es direkt auf die Stimmung. Wer hat uns das wieder eingebrockt? Müssen wir aus Protest sofort aus der UNO austreten?

Noch glücklicher sind die Menschen nämlich nur noch in den nordeuropäischen Ländern. 2019 liegt die Schweiz in der Happiness-Rangliste auf Platz sechs beim Vergleich mit 156 Ländern. Das kann doch irgendwie nicht mit rechten Dingen zu- und hergehen, wenn ich in die unglücklichen Gesichter hierzulande etwa beim Zugfahren gucke. Aber vielleicht liegt’s auch am schwindelerregenden Neigezug.

Die Rangliste kommt folgendermassen zustande: Zum einen werden die Menschen direkt befragt, wie glücklich sie sich selber fühlen; zum anderen werden Faktoren berücksichtigt, wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, die Lebenserwartung und die Korruption in der Regierung und der Wirtschaft.

So kann sich ein langes Leben positiv auf die Glücksbilanz auswirken, auch wenn ein Grossteil davon missmutig und nur auf den eigenen Vorteil bedacht verbracht wurde. Angesichts unseres schönen Landes, der Sicherheit hier, den ausgezeichneten Bildungs- und Gesundheitssystemen, den wirtschaftlichen Möglichkeiten, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als glücklich zu sein. Wir sind zum Glücklichsein verurteilt. Als Tarnung, damit niemand neidisch wird, und uns womöglich das ganze Glück noch klaut, läuft ein Teil der Bevölkerung griesgrämig und mit permanentem Selbstmitleid in der Gegend herum.

Die Helvetas-Ausstellung «Global Happiness», zurzeit bis Mai 2020 im Naturama in Aarau zu sehen, stellt das Glücklichsein in einen grösseren Zusammenhang. Die Besucher und Besucherinnen werden eingeladen, über globales, nachhaltiges Glücklichsein nachzudenken. Unter anderem können sie in einem Glückstest Fragen zu ihren Lebensumständen, zu ihrem persönlichen, gemeinschaftlichen und globalen Glück beantworten. Der Test ist durchschaubar und lässt sich zu seinen eigenen Gunsten beeinflussen, aber ich habe mir Mühe gegeben – ausnahmsweise – ehrlich zu sein.

Das Ergebnis: Von 100 möglichen erreichte ich 79 Glückspunkte. Das entspricht der Selbsteinschätzung: Ich habe allen Grund glücklich zu sein. Eine andere Zahl hingegen schockiert. In der Auswertung wird auch der Durchschnitt der anderen Besucher und Besucherinnen mitgeteilt: Er liegt bei 47 Glückspunkten. Also entweder betrüge ich schon so perfekt, dass ich es nicht einmal mehr selber merke; oder dieser Test zeigt gnadenlos auf, wie es um das Glücklichsein in der Schweiz tatsächlich steht. Wahrscheinlich stimmt beides.

Meine Partnerin hat übrigens 81 Glückspunkte erreicht. Wie sie zu so viel Glück gelangt ist – also damit muss sie selber zurechtkommen.

kontext@bielertagblatt.ch

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