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Kafipause

Vom Nesthocker zum Nestflüchter und wieder zurück

Im persönlichen Blog berichten BT-Chefredaktor Bernhard Rentsch und Parzival Meister, stellvertretender Chefredaktor und Redaktionsleiter, abwechslungsweise wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen und gesellschaftlichen Leben – immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Vom Nesthocker zum Nestflüchter und wieder zurück.

Bernhard Rentsch
  • Dossier

Durch eine Quizfrage wurde ich kürzlich auf den Unterschied zwischen Nesthockern und Nestflüchtern aufmerksam – es ging um die Unterschiede in der Tierwelt, vor allem um die Nuancen unter den gefiederten Freunden.

Nestflüchter kommen relativ weit entwickelt zur Welt. Sie können sofort nach dem Schlüpfen beziehungsweise nach der Geburt ihre Augen öffnen, können sehen, hören und sich fortbewegen. Sie sind in der Lage, sich schon am ersten Lebenstag selbstständig ein Stück vom Nest zu entfernen, finden sich in der Umgebung zurecht und können auch schon selbst Nahrung aufnehmen.

Tiere hingegen, die noch relativ unentwickelt zur Welt kommen und daher nach dem Schlüpfen beziehungsweise nach der Geburt wegen ihrer Hilflosigkeit noch wochen- oder monatelang an das Nest gebunden sind, nennt man Nesthocker. Sie geniessen durch das Instinktverhalten eines oder beider Elterntiere eine sehr lange Zeit der Brutpflege. Die Menschen, ganz klar, gehören biologisch zu den Nesthockern.

Uns beeindrucken die Nestflüchter, wenn wir sie mit der doch recht aufwendigen Aufzucht unserer Kleinen vergleichen. Wie hilflos und ungeschützt ist doch so ein Neugeborenes gegenüber andern Lebewesen, die wie beschrieben nach der Geburt aufstehen und selbstständig (über)leben. Das Nesthockertum ist uns also angeboren.

Dies soll nun aber kein Argument für jene sein, die irgendwie nie erwachsen werden wollen. Wer (zu) lange vom Hotel Mama profitiert, darf sich nicht auf die Tatsache berufen, als Nesthocker geboren zu sein. Irgendwann ist es an der Zeit, sich zum Nestflüchter zu entwickeln. Unabhängigkeit und räumliche Distanz sind keine Zeichen der Entfremdung. In der Tierwelt ist bekannt, dass sich einige Lebewesen nicht an die Eltern erinnern. Das ist beim Menschen anders – zumindest bei den meisten.

Wer kennt es nicht: Während in Jugendjahren die Sonntage mit schier endlosem Ausschlafen genutzt wurden, treibt es einen mit zunehmendem Alter immer früher aus den Federn. Das heimlich als «senile Bettflucht» bezeichnete Phänomen ist jedoch auch nicht der Goldweg. Mögen sich die und der eine oder andere wieder vom Nestflüchter zum Nesthocker zurückentwickeln.

Selbst weiss ich übrigens noch nicht so recht, wohin ich tendiere. Das ruhige Chillen hält sich mit dem Beschäftigtsein die Waage. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie immer in der Mitte.

brentsch@bielertagblatt.ch
 

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