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Matthias Knecht

Vom seltsamen Gefühl, allein im Grossraumbüro zu arbeiten

Die meisten Journalistinnen und Journalisten beim BT haben längst vom Newsroom ins Homeoffice gewechselt. Einer der Letzten in der Redaktion ist der Blattmacher Matthias Knecht.

Arbeiten in Zeiten von Corona: Bei Matthias Knecht laufen an diesem Morgen alle Fäden der ausgelagerten BT-Redaktion zusammen. Bild: Mattia Coda
  • Dossier

Aufgezeichnet: Deborah Balmer

Wenn ich morgens zur Arbeit komme, bin ich jetzt der einzige verbliebene Mitarbeiter vor Ort. Eigentlich bin ich Blattmacher beim «Bieler Tagblatt», ich arbeite aber auch in der Funktion als Nachrichtenchef im Tagesdienst. Bei mir am Newsdesk laufen alle Fäden von allen Ressorts zusammen, ich bin also Teil des Teams, das die eigentliche Zeitung produziert.

So allein zu sein, ist ein seltsames Gefühl. Sämtliche Schreibtische im Grossraumbüro sind zurzeit leer. In einem Raum also, in dem sonst 20, manchmal 30 Leute arbeiten. Es ist hier normalerweise immer laut, jemand redet, ständig klingelt ein Telefon, Mitarbeiter gehen umher. Jetzt ist da plötzlich niemand mehr, ich bin bis Vormittags komplett allein, dann kommt der Layouter. Ehrlich gesagt finde ich es sogar schön, so zu arbeiten, weil man sich gut konzentrieren kann. Ich kann in Ruhe die Mails abarbeiten, die Agenturmeldungen durchschauen und effizient schauen, was gerade läuft.

Was aber fehlt, ist die Diskussion und der Austausch mit anderen. Eine Zeitung entsteht ja immer in der Diskussion. Was interessiert die Leserinnen und Leser? Was ist spannend an dieser und jener Frage? Was interessiert am Coronavirus?

Seit zwei Wochen arbeiten die meisten Journalistinnen und Journalisten des BT im Homeoffice. Wir lernen derzeit also alle, die Diskussion, die es vorher in der Redaktion gab, durch die Videokonferenz und das Telefon zu ersetzen. Es ist ausgesprochen viel Wille da bei allen. Ich habe den Eindruck, dass sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derzeit auch mehr arbeiten, als sie eigentlich müssten.

Wir arbeiten beim BT mit der Kollaborations-Software Zoom und Slack. Das ist quasi ein redaktionsinternes Whatsapp, in dem man chattet, in dem man Gruppen bildet, telefonieren und Fotos schicken kann – und eben auch Videokonferenzen abhalten.

Während wir sonst mehrere Sitzungen pro Tag abhalten, hat sich das nun auf eine tägliche Sitzung am Morgen reduziert. Damit es nicht zu aufwendig wird. Letzte Woche hatte ich einmal eine Videokonferenz mit sieben Teilnehmerinnen und Teilnehmern, was etwas anstrengend war und noch nicht so gut lief. Dabei sind jeweils die Leiterinnen und Leiter der verschiedenen Ressorts zugeschaltet, der Redaktionsleiter Parzival Meister und der Chefredaktor Bernhard Rentsch. In dieser Morgensitzung wird also die Ausgabe des kommenden Tages geplant. Wir schauen, welche Beiträge in die Zeitung kommen, überlegen uns, was die Frontgeschichte wird und wie wir welche Artikel bebildern könnten. Ist es das aktuelle Sportthema oder doch die Story aus der Region, die man gross auf der Titelseite bringen sollte? Das alles per Videokonferenz zu beschliessen, ist eine Herausforderung. Es ist viel schwieriger, mitzukriegen, was die anderen wirklich wollen, wenn man sich nicht sieht. Sprich: Ich vermisse die physische Präsenz. Doch wie gesagt, wir lernen das gerade.

Vor zwei Wochen, zu Beginn der Homeoffice-Zeit bin ich mit E-Mails von Journalisten geradezu überschwemmt worden. Ich kam gar nicht mehr hinterher mit lesen und zurückschreiben. Innerhalb von zwei Wochen sind nun aber alle viel effizienter und disziplinierter geworden.

Es gibt allerdings gewisse Abläufe, die man nun nicht mehr so ausführen kann wie zuvor: beispielsweise die Texte auf ausgedruckten Seiten gegenzulesen und dann weiterzugeben.

Ab späterem Nachmittag sind wir dann jeweils zu viert, um die Ausgabe fertig zu produzieren – dabei sind wir jetzt im gesamten Grossraumbüro verteilt. Normalerweise sitzen wir ja eng beieinander am Newsdesk, nun rufen wir uns quer durch den Raum Dinge zu.

Geht es um die Berichterstattung zum Coronavirus, versuchen wir jegliche Sensationsgier zu vermeiden. Bevor der Bundesrat die ausserordentliche Lage erklärt hatte, hiess es, die Medien würden da etwas aufbauschen. Von Anfang an haben wir aber stets versucht, sachlich zu informieren. Herauszufinden, was die relevanten Informationen sind, ist aber derzeit schwieriger als sonst. Denn es kommen nun jeden Tag so viele Informationen herein: Die neusten Coronazahlen aus den USA, Boris Johnson, der infiziert ist und neue verschärfte Massnahmen in Spanien – so läuft es den ganzen Tag. Meine Aufgabe ist es, immer wieder durchzuatmen und mich zu fragen, was von all dem nun wirklich wichtig ist.

Unsere Fotografinnen und Fotografen begleiten das Coronathema sehr eng und liefern jeden Tag tolle Fotos dazu. Für die Journalistinnen und Journalisten laufen nun die meisten Gespräche und Recherchen übers Telefon oder per Videotelefonie ab. Es gibt sicher Themen, für die man noch immer jemanden trifft. Im Zweifelsfall ist es derzeit aber wichtiger, sich und andere zu schützen. Mein Eindruck ist es aber, dass die Menschen auch übers Telefon sehr viel erzählen, weil das nun salonfähig ist.

Zurzeit rufen auch so viele Leserinnen und Leser in der Redaktion an wie nie zuvor. Bei vielen merkt man, dass sie sich etwas von der Seele reden möchten, um mit der schwierigen Situation zurechtzukommen. Eine Bielerin hat mich angerufen, und sich geärgert. Sie selber achte darauf, dass ihre Kinder nicht rausgehen, was sehr viel Energie brauche. Dann schaue sie raus und sehe viele ältere Menschen draussen, die eigentlich daheim bleiben müssten. Andere rufen an, sie hätten im Wald eine Gruppe gesehen, die nah beieinander stehen würde. Andere, weil der Nachbar Besuch eingeladen hat. Viele fühlen sich wohl einfach auch einsam in ihrer Wohnung.

Ich war lange als Auslandredaktor bei der «NZZ am Sonntag» beschäftigt. War Auslandkorrespondent in Lateinamerika. Politische und wirtschaftspolitische Themen haben mich immer sehr interessiert. Heute ist es die Nähe zu den Lesern, die ich beim «Bieler Tagblatt» schätze. In Coronazeiten und auch sonst. Dass wir also am Tag vorher beschliessen, über was wir berichten und wir danach sehr direkte Rückmeldungen kriegen.

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