Interview: Carmen Stalder
In den vergangenen Jahren hat das Bieler Regionalgefängnis nicht mit den besten Schlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht. Als Schimmelknast wurde es bezeichnet, es war die Rede von Rissen in den Wänden und von Türen, die sich nicht mehr richtig schliessen lassen. Im 2018 publizierten Zustandsbericht des Kantons war zu lesen, dass das Gefängnis nicht mehr den Minimalanforderungen entspricht – unter anderem, weil die Zellen zu klein sind. Gemäss Handbuch für Bauten des Straf- und Massnahmenvollzugs muss eine Einzelzelle inklusive Nassbereich mindestens zwölf Quadratmeter gross sein. In Biel dagegen sind es nur gerade 7,6 Quadratmeter, auf denen sich das Bett, ein Tisch, ein Stuhl, sanitäre Anlagen sowie ein Bücherregal befinden.
Klar ist: Das Gebäude mit Baujahr 1887 hat bald. Ein Neubau ist bereits geplant (das BT berichtete). Aktuell prüft der Kanton Bern, ob das neue Gefängnis mit 250 Plätzen in Witzwil oder Prêles gebaut werden soll. Der 280 Millionen Franken teure Neubau soll 2032 betriebsbereit sein. Bis dahin muss das altersschwache Gefängnis in Biel noch durchhalten.
Seit Januar ist Beatrice Büchner die Direktorin des Bieler Regionalgefängnisses. Sie hat damals den langjährigen Direktor Bruno Graf abgelöst. Auf einem Rundgang zeigt die 59-Jährige das Resultat der Bauarbeiten, die seit zwei Jahren in Gange sind. Das Gefängnis mit seinen 44 Plätzen, die meisten davon für männliche Gefangene in Untersuchungshaft, soll dadurch fit gemacht werden für das nächste und voraussichtlich letzte Jahrzehnt seines Bestehens. Und tatsächlich: Es sind weder Risse in den Wänden noch Schimmel sichtbar. Viele Räume haben einen neuen Anstrich erhalten, Türen und Fenster wurden ersetzt und die technischen Installationen erneuert.
Beatrice Büchner, wie steht es um das Bieler Regionalgefängnis?
Beatrice Büchner: In den letzten zwei Jahren ist extrem viel gegangen. Weil das Gebäude abgesunken und in Schieflage geraten ist, gab es Risse in den Wänden sowie Türen, die man nicht mehr einwandfrei schliessen konnte. Das war eine unhaltbare Situation. Deshalb musste das ganze Gebäude stabilisiert werden. Das Gebäude wird jetzt in regelmässigen Abständen auf Bewegungen kontrolliert.
Und was ist mit den schimmligen Wänden?
Das Regionalgefängnis Biel ist beinahe 150 Jahre alt. Ohne Luftaustausch in den Räumen kann es zu Feuchtigkeitsansammlungen kommen, wodurch wiederum die Gefahr von Schimmelbildung besteht. Um einen Luftaustausch in den Zellen zu gewährleisten, wurde eine Lüftung eingebaut. Für eine weitere Verbesserung des Raumklimas in den Zellen werden neue, mehrfach verglaste Fenster sorgen.
Im laufenden Jahr kam es bereits zu zwei Bränden in Zellen. Gibt es ein Problem mit dem Brandschutz?
Die Gefangenen dürfen in ihren Zellen rauchen und verfügen entsprechend über Zündhölzer. In allen Gefängnissen kommt es immer wieder vor, dass jemand ein Feuer legen will. Jetzt haben wir eine neue Brandüberwachungsanlage. Zudem wurden die alten Gittertüren zu den Zellenkorridoren durch Brandschutztüren ersetzt.
Trotzdem wurde im Mai ein Insasse bei einem Brand schwer verletzt.
Wir hatten diesen gravierenden Fall, der zum Glück nicht tödlich geendet hat. Das Verfahren zu den genauen Umständen ist noch hängig, deshalb kann ich nichts dazu sagen. Doch dank der Brandschutzanlage und den eingeübten Abläufen ist alles extrem schnell gegangen: Innerhalb von ein, zwei Minuten war das Feuer gelöscht, die Feuerwehr und die Polizei waren sofort da.
Wie steht es grundsätzlich um die Sicherheit im Gefängnis?
Rein technisch entspricht alles den neuesten Standards. Geht es um die bauliche Sicherheit, haben wir aktuell noch eine Baustelle mit der Stromversorgung, für die wir einen eigenen Netzanschluss erhalten.
Dann hat das Bieler Gefängnis kein Sicherheitsproblem?
Absolut nicht.
Löst die Aussicht, dass das altersschwache Gefängnis noch über zehn Jahre durchhalten muss, bei Ihnen keine Sorge aus?
Im Gegenteil, ich bin gespannt, was wir aus den räumlichen Gegebenheiten, die für ein Gefängnis im Jahr 2021 tatsächlich nicht optimal sind, herausholen können. Klar, die ungeeignete Infrastruktur kann man nicht wegdiskutieren. Aber jetzt hat man Geld investiert und das Beste daraus gemacht für die letzten 10, 15 Jahre. Wie ein Gefängnis funktioniert, ist sowieso vielmehr abhängig von der Führung und den Mitarbeitenden.
Sorgt der schlechte Zustand des Gefängnisses bei den Mitarbeitenden nicht für Unmut?
Ich versuche die Mitarbeitenden gemäss ihren Stärken und Interessen einzusetzen. Drei Mitarbeitende beispielsweise gehen jede Mittagspause ins Fitnessstudio. Sie haben nun von mir den Auftrag erhalten, ein Fitnessprogramm für die Gefangenen zu konzipieren. Wir haben keinen Fitnessraum, also müssen wir kreative Lösungen finden. Eine Mitarbeiterin ist sehr belesen – sie hat die Leitung der Bibliothek übernommen. Was wir nicht haben, ist genügend Platz. Dadurch, dass unsere Räumlichkeiten minimal sind, ist dafür das Team sehr eng miteinander verbunden. Viele Mitarbeitenden sagen, sie hätten noch nie in so einem tollen Team gearbeitet.
Wie sieht es bei den Gefangenen aus, die in zu kleinen Zellen wohnen müssen?
Es ist so oder so schwierig, in Untersuchungshaft zu sein. Für den Gefangenen hängt das Wohlbefinden letztendlich nicht davon ab, ob die Zelle zehn oder zwölf Quadratmeter gross ist.
Sondern?
Zum Beispiel von der Qualität des Essens. Wenn man sonst fast nichts mehr hat, wird das Essen zum wichtigen Thema. Seit eineinhalb Jahren liefert ein anderes Altersheim das Essen. Von allen habe ich gehört, dass es gut schmecke. Wo wir aber sicher noch Potenzial haben, sind Gespräche – zusätzlich zur Seelsorge und den Sozialarbeiterinnen; mit Menschen, die sich Zeit nehmen und zuhören.
Warum ist das so wichtig?
Früher ging es im Strafvollzug vor allem darum, die Leute einzusperren. Dreimal am Tag gab es Essen durch die Klappe, man durfte eine Stunde spazieren und das war es. Unter solchen Bedingungen entstehen sogenannte Haftschäden. Es ist mir deshalb ein grosses Anliegen, Beschäftigung zu bieten. Bei zu viel Langeweile beginnen die Gedanken zu kreisen, die Person kann beispielsweise nicht mehr schlafen und benötigt vielleicht Medikamente. Das ist ein Teufelskreis. Wenn man den irgendwo unterbrechen kann, haben wir schon viel gewonnen.
Im Regionalgefängnis Biel sitzen vor allem Männer in Untersuchungshaft. Es gibt aber auch acht Plätze für Frauen. Was sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Haft?
Vor allem die Kommunikation ist ganz anders. Männer sind klar und direkt. Wenn es ihnen nicht passt, werden sie – etwas plakativ gesagt – eher aggressiv. Die Emotionen müssen raus, sie schreien, schlagen die Faust an die Tür oder zerstören im dümmsten Fall etwas. Danach ist es wieder gut. Bei Frauen muss man mehr investieren, mit Gesprächen und viel Geduld. Sie beziehen die Probleme eher auf sich selbst. In Schweizer Gefängnissen sitzen rund 93 Prozent Männer und 7 Prozent Frauen. In Psychiatrien ist es genau umgekehrt.
Haben Sie selbst es als Frau in diesem Beruf schwieriger als ein Mann?
Bisher hatte ich in meiner Laufbahn im Strafvollzug nie ein Problem damit, dass ich eine Frau bin. Im Gegenteil, bei männlichen Gefangenen kann es sogar ein Vorteil sein.
Warum das denn?
Männer in Uniform rufen bei den Gefangenen Bilder von Polizei, Militär oder Zoll hervor. Für Kriminelle sind das Gegner. Ich als Frau in zivil, und dazu schon etwas älter, habe bei den Gefangenen eher den Mutterstatus inne. In den Ländern, aus denen viele der Männer herkommen, ist die Mutter eine Respektsperson. Von diesem unbewussten Bild kann ich profitieren. Es gibt natürlich auch solche, die mir gegenüber aggressiv werden, wenn ich ihren Forderungen nicht nachkomme. Das muss man einfach spüren und rechtzeitig aus der Situation gehen, sonst kann es auch bei mir eskalieren.
Gibt es Situationen, die Ihnen Angst machen?
Das ist mir noch nie passiert. Es ist unterschiedlich, wie ich mit den Gefangenen spreche: Es gibt Situationen, in denen ich von Mitarbeitenden begleitet werde. Es kann aber auch sein, dass ich ein Gespräch unter vier Augen führe.
Das entscheiden Sie mit Ihrem Bauchgefühl?
Wir haben natürlich Standards. Nachts beispielsweise öffnen wir nie eine Zelle. Wenn jemand ein Medikament braucht, wird nur die Klappe geöffnet. Und wenn jemand über Bauchschmerzen klagt und ein Blinddarm vermutet wird, öffnen wir die Zelle mit polizeilicher Unterstützung. Es kommt wirklich auf die Situation an.
Was haben Sie für eine Beziehung zu den inhaftierten Personen?
Die Mitarbeitenden, die auf den Etagen arbeiten, spüren die herrschenden Dynamiken sehr gut. Mir selbst fehlt leider die Zeit, ich komme meist erst ins Spiel, wenn es Schwierigkeiten gibt.
Wie ist es für Sie, das richtige Mass an Nähe und Distanz zu finden?
Man muss sich immer wieder kritisch reflektieren und hinterfragen. Als ich auf dem Thorberg gearbeitet habe, gab es einmal einen 24-jährigen Gefangenen. Da dachte ich automatisch: Der hat den gleichen Jahrgang wie mein Sohn! Das könnte mein Sohn sein! Ich dachte an dessen Mutter in Algerien, die keine Ahnung hat, wo ihr Sohn ist und die sich Sorgen um ihr Kind macht.
Sie waren ursprünglich Lehrerin. Wie wird man da Gefängnisdirektorin?
Ich habe immer gewusst, dass ich das nicht bleiben will. Mit 38 Jahren habe ich eine therapeutische Ausbildung absolviert und wurde anschliessend als Betreuerin in der Justizvollzugsanstalt St. Johannsen angestellt. Das hat mir direkt den Ärmel reingezogen. Es ist eine Kombination aus Themen, die mich sehr interessieren: Psychiatrie, Politik und Justiz. Ich mag Menschen und bin beziehungsorientiert, deshalb hat das gepasst.
Und wie sind Sie hier in Biel gelandet – in einem Gefängnis, das nicht den besten Ruf hat?
Der Ruf interessiert mich nicht. Im Leben gibt es schlicht immer wieder Situationen, in denen man im richtigen Moment am richtigen Ort steht. Als Bruno Graf pensioniert wurde, war das so ein Moment. Ich war in zwei verschiedenen Justizvollzugsanstalten stellvertretende Direktorin. Dazu habe ich 20 Jahre in Biel gewohnt, meine Kinder gingen hier zur Schule und ich spreche Französisch. Die Voraussetzungen haben einfach gepasst. Es gibt noch etwas, das mich in meinem Leben extrem geprägt hat.
Und das wäre?
Als junge Familie haben wir während zwei Jahren in Brasilien gelebt. Dort war ich selbst Ausländerin und bin zuerst nicht zurechtgekommen mit der fremden Kultur. Später habe ich für Non-Profit-Organisationen Projekte im Ausland begleitet, vor allem in Afrika. Das hat mir ein Verständnis für andere Kulturen gegeben und nützt mir heute in meinem Berufsalltag.