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Frauenstreik

Von den 3000 blieben zirka 550 übrig

Gestern haben rund 550 Personen in der Bieler Innenstadt für die Rechte der Frauen demonstriert. Am Frauenstreik vor genau einem Jahr waren es noch 3000. Doch auch die 550 waren mehr als erwartet – was Konsequenzen haben könnte.

50 Minuten dauerte der Umzug durch die Bieler Innenstadt. Anne-Camille Vaucher
Hannah Frei
 
«Immer no hässig» – diese Worte zierten das Plakat einer jungen Frau, die gestern in der Bieler Innenstadt für Gleichberechtigung kämpfte. Sie war eine von zirka 550 Personen an der Demonstration des Kollektivs Frauenstreik Biel. Vor einem Jahr, am nationalen Frauenstreiktag, machten in Biel noch zirka 3000 Menschen Lärm. Die Forderungen sind aber noch dieselben: Gleiche Löhne, gleiche Chancen, gleiche Unterstützung für Frauen, Männer und Transgender. «Es ist eine Lebensaufgabe», sagte eine ältere Demonstrantin an der gestrigen Veranstaltung. Sie habe bereits am letztjährigen Frauenstreik teilgenommen, genauso wie ihre beiden Freundinnen, die mit Schutzmaske und in violettem Oberteil mit einem Kochlöffel auf kleine Kochtöpfe schlugen. Denn von der Gleichstellung seien wir auch heute noch weit entfernt, sind die Drei überzeugt.
 
Exakt um 15.24 Uhr, dem Zeitpunkt, ab dem die Frauen in der Schweiz gemäss Frauenstreik Kollektiv im Vergleich zu den Männern gratis Arbeit leisten, wurde geschrien, getobt und gepfiffen. Und kurz darauf zogen die Demonstrantinnen und Demonstranten los Richtung Zentralplatz. Manche mit Maske, viele ohne. Die Passanten zeigten sich überrascht, besonders ab der Grösse der Veranstaltung. Und überrascht waren am Ende auch die Veranstalterinnen selbst, als sie feststellen mussten, dass die Demonstration in diesem Umfang gar nicht bewilligt war.
 
Als gemütliches Picnic begonnen
Angefangen hat alles ganz ruhig, bei einem Picnic um 13 Uhr auf der Esplanade. Erst kamen nur wenige, insgesamt waren es um die 50 Personen, darunter einige Familien. Mit der Zeit wurde der Platz vor dem Kongresshaus jedoch immer voller. Wie bereits im letzten Jahr machte auch gestern das Mikrofon die Runde. Nicht nur das Frauenstreik-Kollektiv verkündete seine Voten, sondern auch Vertreterinnen der kurdischen Frauenbewegung Biel, La Bise, dem afrofeministische Kollektiv Cabbak, Klimastreik Biel und Extinction Rebellion. Es ging also längst nicht nur um die Forderungen des letzten Frauenstreiks, sondern genauso um Rassismus, Diskriminierung und Gewalt.
 
Kurz nach 15.40 Uhr zog die Menschenmasse schreiend und lärmend Richtung Zentralplatz, wo sie den Verkehr zum ersten Mal lahmlegte. An der Haltestelle Mühlebrücke mussten mehrere Busse einen Halt einlegen. Die Buschauffeure zeigten sich weitgehend solidarisch, einer von ihnen regelte umgehend den Verkehr. Bei den Buspassagieren hielt sich das Verständnis hingegen in Grenzen, was sie mit Kopfschütteln zeigten.
 
Die Route führte der Seevorstadt entlang bis zum Museum Pasquart, wo die Masse wieder Richtung Innenstadt spazierte bis zum Guisanplatz, vorbei am Polizeirevier, bis sie schliesslich rund 50 Minuten später wieder auf der Esplanade endete. Einsatzkräfte der Polizei waren während des Umzugs vorerst keine erkennbar anwesend. Erst auf den letzten Metern wurde die erste Reihe von einem zivil gekleideten Mann begleitet, der im Einsatz der Polizei an der Spitze des Umzugs dabei mithalf, den Verkehr zu regeln.
Anna Tanner, Stadträtin (SP) und Mitorganisatorin des Frauenstreiks, ist überwältigt. Mit einem solchen Aufmarsch habe sie nicht gerechnet. «Dies zeigt, dass in der Bevölkerung immer noch ein Bedürfnis besteht, für Gleichstellung auf die Strasse zu gehen.» Mobilisiert habe man zurückhaltend, keine Flyer verteilt oder Plakate aufgehängt, auch aufgrund der Coronapandemie. Die Demonstration habe sich scheinbar hauptsächlich über Mund-zu-Mund-Propaganda gestreut, so Tanner.
 
Doch der Andrang hat für Tanner nicht nur Positives: Die Veranstaltung war in diesem Umfang nicht bewilligt, sagt Isabelle Wüthrich, Mediensprecherin der Berner Kantonspolizei, auf Anfrage. Nun prüfe die Bewilligungsbehörde, ob die Demonstration für die Veranstalterinnen Konsequenzen haben wird.
 
Wüthrich bestätigt, dass es aufgrund des Umzugs in der Innenstadt kurzzeitig zu Verkehrsbehinderungen kam. Die Polizei sei im Einsatz gestanden. Zwischenfälle oder Sachbeschädigungen seien jedoch nicht bekannt, die Veranstaltung sei friedlich verlaufen. Wüthrich sagt jedoch auch, dass die Kantonspolizei in Zusammenarbeit mit dem Polizeiinspektorat der Stadt Biel kurzfristig Massnahmen getroffen habe, um den Verkehr kurzfristig zu regeln.
 
Forderungen wurden vermischt
Anna Tanner weiss von den allfälligen Konsequenzen der Demonstration. Im Verlauf des heutigen Tages werde sie telefonisch erfahren, ob es dazu kommen wird.
Trotzdem ist sie zufrieden mit der Veranstaltung. Besonders schön fand sie, dass bei der Veranstaltung so viele verschiedene Kollektive zusammengekommen sind. Ob die Vermischung all dieser Gruppen die Forderungen der Frauenstreikbewegung nicht geschwächt hätten? «Nein», ist Tanner überzeugt. «Die Themen spielen sich nicht gegeneinander aus. Der Kampf um mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit ist bei all diesen Bewegungen zentral.»
 
Abschliessend lobte Tanner das Verhalten der Demonstrantinnen und Demonstranten. Die Gruppen hätten versucht, wo möglich Abstand voneinander zu halten, einige mit Schutzmasken ausgerüstet. Tanner sagt, die Organisatorinnen haben auch kostenlos Schutzmasken verteilt, es hätte sogar für alle Anwesenden eine gehabt.

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