Sie sind hier

Abo

Biel

«Von immenser Machtposition profitiert»

Eine Bordellbetreiberin soll sich in Biel des Menschenhandels schuldig gemacht haben. Die angeklagten Fälle seien dabei nur die Spitze des Eisbergs, glaubt die Staatsanwältin, sie fordert eine Freiheitsstrafe von rund drei Jahren.

Symbolbild: Pixabay

Lino Schaeren

«Menschenhändler interessieren sich nicht für das Schicksal ihrer Opfer, sondern nur für das eigene Geschäft.» Das sagte Staatsanwältin Susanna Moor gestern vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland einleitend zu ihrem Plädoyer. Und dieser Satz, er passte gut zum Bild, das sie in der Folge mit Worten von der Beschuldigten malte: Eine Bordellbetreiberin, die Prostituierte aus Thailand von Menschenhändler-Organisationen übernimmt, diese bei sich einstellt, 24 Stunden an sieben Tagen die Woche arbeiten lässt und ihnen erst noch den ganzen Verdienst abnimmt.

Wie die heute 63-Jährige zwischen 2008 und 2011 in Biel gehandelt habe, mache sie zwar nicht gerade zur ranghöchsten Menschenhändlerin der Schweiz, «aber sie ist gut vernetzt, ihr Rang ist wohl im Mittelfeld einzustufen», so die Anklägerin. Sie fordert für die Beschuldigte wegen Menschenhandel, Förderung der Prostitution, qualifizierter Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz und wegen Geldwäscherei eine Freiheitsstrafe von 40 Monaten.

 

Grosser Schuldendruck
Moor glaubt, mit ihrer Anklage nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar machen zu können. Viele Opfer der Beschuldigten seien ausgeschafft worden und im Ausland untergetaucht, bevor man sie habe befragen können. «Die Dunkelziffer bleibt hoch.» Das Verfahren habe sich letztlich auch deshalb immer wieder in die Länge gezogen, weil man neue Opfer habe ausfindig machen können; letztlich wird der Bordellbetreiberin diese Woche am Regionalgericht die sexuelle Ausbeutung von drei Frauen und einer Transsexuellen zur Last gelegt. Sie bestreitet alle erhobenen Vorwürfe.

Laut der Anklage habe die Thailänderin, die auch den Schweizer Pass besitzt, die thailändischen Opfer in eine absolute Abhängigkeitssituation geführt und dann von ihrer «immensen Machtposition profitiert». Die Frauen stammen aus Thailand und meist aus ärmlichen Verhältnissen, sehen sich gezwungen, ins Ausland zu gehen, um die Familie finanziell zu unterstützen. Alle vier in der Anklageschrift bezeichneten Opfer sollen durch Menschenhändler-Organisationen zunächst legal mit einem Touristenvisum in die Schweiz gebracht worden sein, ehe man sie hier in die Prostitution, und damit in die Illegalität, geführt habe.

Um in die Schweiz zu kommen, haben sich laut der Staatsanwaltschaft alle vier bei den Organisationen schwer verschuldet. In dem Bordell der Beschuldigten hätten sie dann wegen des Schuldendrucks keine Freier ablehnen können; die Verdienste wurden eingezogen, 50 Prozent der Einnahmen gingen an den Gläubiger, die andere Hälfte an die Bordellbetreiberin. «Indem sie nur über das Trinkgeld verfügen konnten, hatten die Opfer gar keine Chance, sich aus der Situation zu befreien», sagte Moor. Sie hätten sich zudem nicht nur in einer totalen finanziellen Abhängigkeit befunden, sondern auch in einer sozialen: Ausser der Arbeitgeberin und sich selber habe es für die Prostituierten kaum Kontaktpersonen gegeben, «sie kannten die Gegend nicht und beherrschten keine Landessprache». Zu den Behörden gehen konnten sie schlecht: Die Prostituierten wussten ebenso wie die Betreiberin, dass sie illegal in der Schweiz arbeiteten – und Letztere hat laut Anklage unter anderem auch das als Druckmittel ausgenutzt.

 

Schuldfähigkeit bezweifelt
Die Bordellbetreiberin, eine kalkulierende Menschenhändlerin, die einzig aus finanziellem Antrieb handelt und dafür von der Hilflosigkeit ihrer Opfer profitiert? Nein, findet die Beschuldigte, im Gegenteil: Sie kenne die angeblichen Opfer überhaupt nicht, habe sie noch nie gesehen, sagte sie gestern. Sie habe Ganzkörpermassagen angeboten und ihren Salon vermietet, wenn sie in Thailand weilte. Die illegalen Prostituierten seien in ihrer Abwesenheit tätig gewesen. «Niemand hat je für mich gearbeitet.» Sie habe nie mit ihren Kunden gesprochen, «ich kann zudem nicht lesen und schreiben und in Thailand ist es so: Wer nicht lesen und schreiben kann, der massiert».

Dem Umstand, dass seine Mandantin offenbar Analphabetin ist, schenkte Pflichtverteidiger Dieter Caliezi Gewicht: Der Fürsprecher beantragte, dass ein psychiatrisches Gutachten über die Beschuldigte zu erstellen sei, weil es ohne ein solches nicht möglich sei, «die intellektuellen Fähigkeiten meiner Mandantin zu beurteilen». Der Verteidiger bezweifelt, dass die Angeklagte überhaupt in der Lage gewesen sein soll, die ihr vorgeworfenen Machenschaften zu verstehen; habe sie doch nicht einmal die Anklageschrift verstanden. Die Taktik der Verteidigung schien klar auf eine verminderte Schuldfähigkeit der ehemaligen Bordellbetreiberin zu zielen. Die Staatsanwältin sagte dazu lapidar: «Sie einfach als dumm hinzustellen, wird der Sache nicht gerecht.»

Das Gericht wies den Antrag ab, «dass Leute nicht lesen und schreiben können, ist noch lange kein Grund, an ihrer Schuldfähigkeit zu zweifeln», sagte Gerichtspräsidentin Sonja Koch. Heute werden Privatklägerschaft und Verteidigung ihre Plädoyers halten. Das Urteil wird morgen erwartet.

Nachrichten zu Biel »