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Peter Hans Kneubühl

Vor Gericht, weil er die Therapie verweigert

Ende Woche entscheidet sich vor dem Regionalgericht die Zukunft des Mannes, 
der Biel einst in einen Ausnahmezustand versetzte und einen Polizisten schwer verletzte.

Peter Hans Kneubühl im Jahr 2013, auf dem Weg in den Bieler Gerichtssaal. Bild: Keystone
  • Dossier

Cedric Fröhlich

Peter Hans Kneubühl. Vor gut zehn Jahren hat sich der Name des Mannes ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Als er in Biel zu den Waffen griff, auf Polizisten feuerte, einen verwundete, entkam. Als ein Grossaufgebot der Sicherheitskräfte tagelang damit beschäftigt war, den Rentner dingfest zu machen.

Morgen beschäftigt die Causa Kneubühl die Justiz aufs Neue. Am Regionalgericht Berner Jura und Seeland wird seine Verwahrung verhandelt.

Konkret geht es um den Antrag der Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD), welche die ursprünglich angeordnete stationäre Therapie Kneubühls aufgehoben haben – wegen Aussichtslosigkeit. Kneubühl sitzt seit geraumer Zeit im Regionalgefängnis Thun. Der heute 76-Jährige weigert sich strikt, eine Behandlung mitzumachen, trat mehrfach in Hungerstreik, als die Behörden eine Platzierung in einer geeigneten Einrichtung durchzusetzen versuchten. Weil diese Situation auf Dauer nicht tragbar ist, soll er nun verwahrt werden.

Jahrelanger Konflikt eskalierte

Biel, 8. September 2010. Kneubühl verschanzt sich in seinem Elternhaus am Mon-Désir-Weg. Kneubühl und seine Schwester liefern sich seit Jahren einen Erbschaftsstreit. Das Haus spielt eine zentrale Rolle. Die Liegenschaft soll versteigert werden. Es ist ein Besichtigungstermin angesetzt. Die Behörden rechnen mit Schwierigkeiten; Kneubühl war mehrmals auffällig geworden. Er drohte, beleidigte.

An jenem Tag mündet all das in einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Kneubühl hat ein Arsenal an Schusswaffen im Haus, eröffnet das Feuer auf die angerückten Spezialeinheiten.

Die Eskalation, sie steht für viele Dinge. Zum einen für den jahrelangen Konflikt eines Mannes mit den Behörden, der sich aus heutiger Optik wohl hätte vermeiden lassen, hätte man denn Kneubühls Vorgeschichte und seine Drohgebärden ernst genommen. Für den Wahn dieses Mannes, der sich bis heute in einem «Polizeistaat» wähnt, im Krieg mit dem Justizsystem und mit seiner Schwester. Dieser Tag steht auch für die Überforderung der Berner Polizei, die Kneubühl zuerst unterschätzt und ihn dann aus den Augen verliert.

Kneubühl gelingt die Flucht aus seiner kleinen Festung. Er schiesst einen Polizisten an, verletzt ihn schwer. Es folgt eine neuntägige Grossfahndung – über 1000 Beamte, Luftunterstützung, mediale Dauerbeschallung. Bei all dem kann Kneubühl tatsächlich noch einmal an «seine» Strasse zurückkehren, noch einmal Schüsse abgeben, ein zweites Mal entwischen. Als er schliesslich verhaftet wird, sind neun Tage vergangen, hat ihn kein Spürhund gefunden, keine Wärmebildkamera im Unterholz entdeckt – eine Passantin hat ihn erkannt.

Peter Hans Kneubühl sieht sich bis heute als Opfer eines «staatlichen Überfalls». In seiner Wahrnehmung handelte er in Notwehr. Erst kürzlich sagte er der «Schweiz am Wochenende»: «Ich habe mich nur verteidigt und niemanden angegriffen. Ich bin nicht gefährlich.» Kneubühl akzeptiert die Verurteilung wegen mehrfacher versuchter Tötung noch die therapeutische Massnahme, die angeordnet wurde, weil ihm die Ärzte eine wahnhafte Störung attestieren.

Eine paradoxe Situation

Und so sitzt der Mann seit Jahren im Regionalgefängnis Thun. Faktisch unter U-Haft-Bedingungen – 23 Stunden in der Zelle, eine Stunde auf dem Hof. Das ist ein Problem. Denn dieses Haftregime ist auf Dauer nicht verhältnismässig. Selbst wenige Wochen unter diesen Bedingungen sind hart. Für die Verbüssung einer langjährigen Freiheitsstrafe ist das Regime zu hart. Und für einen Menschen, der an einer psychischen Erkrankung leidet, schlicht nicht akzeptabel.

Das setzt die Berner Justiz unter Zugzwang. Kneubühl sollte eine Therapie in einer geeigneten Einrichtung erhalten, stattdessen lebt er unter Bedingungen, die seine Grundrechte über Gebühr einschränken. Die Situation ist paradox. Kneubühl hat diesen Zustand gewählt, zieht ihn offenbar einem komfortableren Aufenthalt vor. Aber der Staat kann das nicht länger verantworten.

Darum also nun dieser Antrag. Darum die ordentliche Verwahrung. Denn im Unterschied zur stationären Massnahme kann eine Verwahrung auch in einer gewöhnlichen Strafanstalt vollzogen werden.

Ob es so weit kommt, entscheidet sich in der Stadt, die Peter Hans Kneubühl einst in Atem hielt. Das Urteil am Regionalgericht in Biel soll bereits am Freitag verkündet werden.

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