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KOLUMNE

War Wilhelm Tell gedopt?

War Wilhelm Tell gedopt? Zugegeben, die Frage kommt 19 Tage nach dem 1. August etwas spät. Aber da seit den dramatischen Ereignissen damals in der Innerschweiz über 700 Jahre vergangen sind, kommt es auf die paar Tage auch nicht mehr an.

Martin Bühler

Martin Bühler

Die Frage ist, das sei eingeräumt, ziemlich ketzerisch. Zumal sie von einem bekennenden Schweizer Patrioten gestellt wird. Aber he nun, hier schreibe ich und kann nicht anders. Im schlechtesten Fall setzt die Nationale Anti-Doping-Agentur, die Nada, eine Sonderkommission ein, im besten Fall wird der Kolumnist als schwarzes Schaf von der SVP nach Moskau expatriiert.

Genau dort rannten und stiessen und warfen sie jetzt wieder, die Leichtathleten und Innen. Es ist WM. Natürlich habe ich den 100-Meter-Final der Männer verfolgt. Usain Bolt im Regen, seine Mimik und Gestik lohnen das Einschalten allemal. 9 Sekunden und 77 Hundertstel und ein paar zerquetschte Tausendstel. Ganz nett. Ich hätte länger.

Aber ehrlich: War der Mann ehrlich? Ist der Jamaikaner wirklich nur mit den jamaikanischen Spezialitäten Spaghetti, Spiegeleier und Schweinskoteletts und ein paar Dosen österreichischen Red Bulls zu seinen Muskeln gekommen?

Früher hiess es: Trau keinem über 30. Heute wissen wir: Trau keinem unter 10 (Sekunden). Das haben wir alles diesen Tyson Gays und Lance Armstrongs und Ben Johnsons zu verdanken, diesen Marion Jones und Jan Ullrichs und Erik Zabels, diesen biedern Hausärzten Eufemiano Fuentes oder Luis Garcia del Moral (ausgerechnet!). Sie haben Monster herangezüchtet, und wir waren blöd genug, in diesen Sportler zu sehen.

Früher war alles besser, auch im Sport. Wir hatten unseren Günthör Werni, der die Kugel durch die Luft warf, als wäre es ein Tennisball (Wir sind Weltmeister!). Wir hatten unseren Rominger Toni, der in einer Stunde phänomenale 55 Kilometer zurücklegte (Wir sind Weltrekord!) und ein paar Jahre später kurzzeitig mit der süssen Francine Jordi Tisch und Bett teilte. Wir hatten unseren Zurbriggen Pirmin, richtig! der fromme Walliser mit dem «Knie der Nation», der wenige Tage nach einer Meniskusoperation Abfahrtsgold holte (Wir sind Weltmeister!). Unsereiner wäre da noch wochenlang an Krücken gehumpelt.

Heute wollen es der Lauf der Zeit und die bösen Medien, dass die Stars unserer Jugend plötzlich auch im Verdacht stehen, das eine oder andere geschluckt oder gespritzt zu haben. Nun gut. Auf ärztliches Rezept. Nur ein paar Tage. Nur zur Genesung. Nur in therapeutischen Zeitfenstern.

Trotzdem ist unser Weltbild erschüttert, und zwar grad z’grächtem. Wem oder wessen Leistung können wir überhaupt noch trauen? Die Fragen, die sich stellen, schmerzen.

Hat unser Nationalheiliger Niklaus von Flüe 20 Jahre lang nur von Wasser gelebt, dort unten in seiner Klause? Oder hat ihm eines seiner zehn Kinder jeweils nachts ein Chacheli Geissenmilch hingestellt? Hat General Guisan seinen strategisch klaren Kopf durch den täglichen Ausritt behalten oder hat ihn seine Nikotinsucht zu geistigen Höhenflügen und dann ins Réduit getrieben? Auch Friedrich Dürrenmatt hat seine Weltbestseller nur schreiben können, wenn seine Schreibstube durch Zigarrenrauch verqualmt war.

Hat Wilhelm Tell die ruhige Hand beim Apfelschuss und den gewaltigen Sprung vom Boot auf die Tellsplatte seinen Genen zu verdanken, oder waren da Dinge im Spiel, auf die Schiller nicht im Detail eingehen wollte? Konnte Micheline Calmy-Rey die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea – in Turnschuhen mit Schweizer Kreuz – überschreiten und 24 Stunden später und Tausende Kilometer weiter westlich frisch und munter an der Bundesratssitzung teilnehmen, ohne sich im Bundesratsjet mit Ovomaltine volllaufen zu lassen, auf Kosten des Steuerzahlers? Kann ein Bundespräsident am Nationalfeiertag an neun verschiedenen Orten neun Mal das Gleiche predigen, ohne seine motorische Aktivität durch Amphetamin, Ephedrin, Koffein und ein paar Dezi Eigenblut zu stimulieren (ausser, er sei Langläufer und heisse Ueli)? Die Verunsicherung im Volk ist beinahe total.

Zum Glück ist wenigstens die heile Welt der Monarchien von der leidigen Dopingfrage verschont. Wenn in zwei Wochen in Burgdorf ein neuer helvetischer König us em Sagmäu stigt, sind wir gewiss, dass er sich nur von Wiesenmilch, höhlengereiftem Käse und proidiotischem Yoghurt ernährt. Emmi sei Dank.

Info: Martin Bühler war in seinem Berufsleben Chefredaktor BT und Sprecher VBS.

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Sportsmen

Ein interessanter Vergleich. Das einzige was mich an diesem Doping-Sumpf nervt, dass immer die Sportler Ihr Fett abkriegen. In der Politik. in der Wirtschaft, in der Unterhaltungs und in der Kultur wird betrogen, aber es sind immer die armen Sportler, die eins aufs Dach kriegen! Klar, haben Sie eine Vorbildfunktion, aber das haben doch die Politiker, Wirtschaftsführer und Unterhaltungsstars auch! Und da gibt es auch unlauteren Wettbewerb. Aber Vetterliwirtschaft wird wohl oder übel in unserer Gesellschaft akzeptiert!


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