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Farben

Was fühlen Sie, wenn Sie Grün sehen?

Hoffnung, Neuanfang, Natur – die Farbe Grün steht für Vieles. Doch wie wir sie wahrnehmen, ist bisher kaum erforscht. Therapeuten wie die Bielerin Antoinette Aebi versuchen, Krankheiten mit Farben zu behandeln.

Grün wird von Farbtherapeutin Antoinette Aebi zur Behandlung von Allergien oder Gelenkschmerzen eingesetzt. Illustration: Hannah Frei
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Hannah Frei

Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die ersten und einfachsten Farben ansehen, (...) zusammenbringt, so entsteht diejenige Farbe, welche wir Grün nennen.

Unser Auge findet in derselben eine reale Befriedigung. Wenn beide Mutterfarben sich in der Mischung genau das Gleichgewicht halten, dergestalt, dass keine vor der andern bemerklich ist, so ruht das Auge und das Gemüt auf diesem Gemischten wie auf einem Einfachen.

(«Zur Farbenlehre» von Johann Wolfgang Goethe, 1810)

 

Grün: die Farbe der Hoffnung, der Natur, des Frühlings und des Lebens. Dem Grün werden Eigenschaften zugewiesen, die wir beim Betrachten wahrnehmen. Gemäss dem Dichter und Philosophen Johann Wolfgang Goethe wirkt die Farbe Grün beruhigend, ausgleichend und wohltuend. Deshalb rät er in seinem Buch «Zur Farbenlehre» viel besuchte Zimmer im Eigenheim grün zu tapezieren oder zu streichen. Doch seine Theorie der Wirkungen von Farben wurde wissenschaftlich bis heute nicht verifiziert. Trotzdem würde wohl niemand sagen, dass die Farbe Grün aufregender ist als die Farbe Rot.

Was also fühlen wir, wenn wir Farben sehen? Und welche Wirkung haben die Farben auf uns Menschen?

 

Grün als Anzeiger für Leben
«Grün steht für die Natur, für Pflanzen, und daher klar für etwas Positives», sagt der Bieler Philopsoph Markus Waldvogel. Dies sei besonders im Frühling, der Zeit, in der das Grün die Landschaft dominiert, für viele Menschen spürbar. Dem Philosophen fällt es zwar schwer, einer Farbe gewisse Eigenschaften anzuhängen. Doch für ihn ist die Farbe Grün noch am ehesten einzuordnen. Das Grüne weise auf Leben hin. «Damit ist alles Grüne sekundär. Es entsteht erst durch das Primäre.» Im Fall der Pflanzen sei das Primäre das Blaue, das Wasser. Er verbindet Leben daher eher mit der Farbe Blau, als mit Grün. «Ohne Wasser gäbe es weder Pflanzen, noch Tiere, noch Menschen.»

Da die grüne Farbe immer für etwas Positives stehe, sei es nicht verwunderlich, dass diese Farbe auch bei den Signalen als Komplementärfarbe zum starken Rot eingesetzt werde. «Eine grüne Ampel zeigt an, dass man gehen darf. Rot verwehrt einem den Durchgang. Das ist nicht willkürlich gewählt worden.»

Grundsätzlich betont Waldvogel jedoch: «Es gibt nicht die eine Wahrnehmung der Farben, die für alle geltend ist.» Dies sei auch der Grund, weshalb die Wirkungen der Farben auf den Menschen bis heute kaum erforscht wurden. Kulturelle und soziale Einflüsse, das Alter, ja gar das Geschlecht führen ihm zufolge dazu, dass jeder Mensch eine andere Wahrnehmung der Farben hat. «Ein Metzger, der jeden Tag die unterschiedlichsten Rottöne im Fleisch sieht, hat sicherlich einen anderen Bezug zur Farbe Rot als ich.»

 

«Farbe kann alles bedeuten»
Zudem sei auch der Gefühlszustand ausschlaggebend für die Wahrnehmung. «Man sieht mit den Emotionen», sagt Waldvogel. Sehen allein reiche nicht aus, um die feinen Nuancen der Farben wahrzunehmen. «Man muss sehen wollen.» An manchen Tagen sei das Gras daher grüner als an anderen.

Obwohl es keine empirischen Belege für die Zuordnung von Eigenschaften zu einer Farbe existieren, weisen Studien darauf hin, dass die Wahrnehmung von Farben subjektiv ist. Der britische Neurowissenschaftler Beau Lotto fand sogar heraus, dass Menschen, die sich mächtig fühlen, sensibler auf Farbveränderungen reagieren als andere.

Und er geht noch einen Schritt weiter als Waldvogel: «Das Licht, das auf unsere Augen fällt – die sensorische Information – ist bedeutungslos, weil sie buchstäblich alles bedeuten kann. Was wir mit den Informationen tun, das ist wichtig», sagt Lotto in einem seiner weltberühmten Vorträge.

Ist die Wahrnehmung von Farbe also nur ein soziales Konstrukt? Haben wir uns irgendwann grundlos dafür entschieden, dass die Farbe Grün für etwas Positives steht? Oder verknüpfen wir bestimmte Farben mit Eigenschaften, weil unser Körper genetisch bedingt auf Farben reagiert?

 

Farbe als Therapieform
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Menschheit bereits seit Jahrhunderten. Urvölker aus dem alten Ägypten, aus China oder Südamerika wiesen den Farben eine besondere Wirkungskraft zu und setzten sie zur Behandlung von Krankheiten ein. In der chinesischen Volksmedizin wurden Menschen mit einer Darmerkrankung mit gelber Farbe eingestrichen und Scharlacherkrankte in ein rotes Tuch eingewickelt. Wie gross die Erfolgsquote solcher Therapieformen war, wurde jedoch nicht überliefert. Und auf die oben genannten Fragen gibt es bis heute keine abschliessenden Antworten.

Farbtherapien gibt es mittlerweile nicht nur in Asien, sondern auch in der Schweiz. Im Internet stösst man unter dem Suchbegriff Farbtherapie auf rund 64 diplomierte Therapeuten in der Schweiz, zwei davon aus Biel. Antoinette Aebi ist eine von ihnen. Die Behandlungen bei Aebi beginnen immer gleich: Zuerst werden die Füsse der Patienten untersucht. «Sie sind die Bibliothek, in der man vieles über die Person lesen kann», sagt Aebi. Anhand dessen wählt sie die Farbe aus, die sie für die Behandlung einsetzt. Denn sie merke beim Abtasten der Füsse, welche Organe betroffen seien, ähnlich wie bei der chinesischen Akupunktur. Mit einem sogenannten Chromoliten, einer Lichtquelle, dessen Farbe man einstellen kann, behandelt sie anschliessend die betroffene Stelle am Körper.

 

Zwei Arten von Grün
Bei dieser Therapieform geht es nicht um die psychische Wahrnehmung der Farbe, sondern um die Bestrahlung der Körperoberfläche. Die Mikrowellen, die den Lichtstrahl einer bestimmen Farbe freisetzt, sollen folglich zur Heilung der Erkrankung oder Verletzung beitragen. Aebi unterscheidet bei ihrer Behandlung zwei Arten von Grün. «Das helle Apfelgrün hat eine antiallergische Wirkung, löst und lockert die Gelenke und hilft bei chronischen Schmerzen. Das Waldgrün ist antibiotisch, tötet Pilze und fördert die allgemeine Ausgewogenheit.» Bei den Behandlungen käme jedoch nie nur eine Farbe zum Einsatz, sondern immer auch deren Komplementärfarbe.

Viele würden wegen Rückenschmerzen oder Narben zu ihr kommen. Bei manchen helfe schon eine Behandlung, die bei Aebi bis zu zwei Stunden dauern kann. Für die erste Behandlung verrechnet die Therapeutin 100 Franken, für jede weitere 90 Franken. Ihre Behandlungsmethode wird von den Krankenkassen nicht anerkannt. Denn der wissenschaftliche Beweis für deren Wirksamkeit fehlt gänzlich, obwohl Aebi eine diplomierte Farbtherapeutin ist und ihr Wissen auch in Schulungen weitergibt.

Laut Waldvogel ist die wissenschaftlich bewiesene Wirkung einer solchen Therapie jedoch nebensächlich. Denn dass Farben etwas bewirken können, steht für ihn fest. «Auch wenn es nur der Glaube daran ist», sagt Waldvogel.

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