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Justiz

Welcher Einfluss hat «Captain Morgan»?

Bei einer Schlägerei am Lyssbachmärit 2013 wurde einem jungen Mann der Kiefer zertrümmert. Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland klärte, was genau passiert ist.

Der Beschuldigte Ardit W*. (Bildmitte) und sein Anwalt Rolf G. Rätz, im Hintergrund sitzt Gerichtspräsidentin Silvia Holzer-Zaugg. Gerichtszeichnung: Tiphaine Allemann

von Andrea Butorin

Den Lyssbachmärit 2013 wird Philip E.* wohl nie mehr vergessen, denn er endete für den heute 21-jährigen Lysser äusserst schmerzhaft. Auf dem Rummelplatz geriet er in eine Rauferei; am anderen Tag stellte er fest, dass sein Kiefer zertrümmert ist. Was genau passiert ist, versuchte am Donnerstag das Regionalgericht Berner Jura-Seeland unter dem Vorsitz von Gerichtspräsidentin Silvia Holzer-Zaugg herauszufinden.

Von hinten Schlag ins Gesicht

Er habe den Abend vom 22. Juni 2013 mit seiner Freundin verbracht. Nachdem diese nach Hause gegangen sei, habe er seinen Bruder auf dem Rummelplatz gesucht, schildert E. Dort traf er auf zwei Gruppen junger Männer, die er aus seiner Schulzeit kennt:Erstens die Gruppe um Thomas K.* und Marko G.* und zweitens die Gruppe um den Beschuldigten Ardit W.* und dessen Freund Celal A.*

Nachdem er K. und G. begrüsst hatte, wollte er nach Hause gehen. «Da packte mich Ardit W. an der Schulter und fragte, weshalb ich ihn nicht grüsse. Ich antwortete, ich könne grüssen, wen ich wolle.» Die beiden hätten sich daraufhin geschubst, E. wollte sich aber entfernen. «Als ich mich umdrehte, erhielt ich von hinten einen Schlag ins Gesicht und ging zu Boden», sagt er. Ab diesem Moment habe er keine Erinnerungen mehr. Die kommen erst wieder ab dem Moment, als sich seine Freunde Thomas K. und Marko G. um ihn kümmern und ihn auf Umwegen nach Hause schicken.

Am nächsten Tag bemerkte er, dass er wohl mehr als «ein blaues Auge» davontrug. Die Ärzte im Spital Aarberg stellten fest, dass die Kieferhöhle zersplittert war. Zudem wies er Einblutungen am Hals und unter dem rechten Auge sowie diverse Hautabschürfungen auf.

Eine Woche später wurde E. im Berner Inselspital operiert, daraufhin war er anderthalb Wochen arbeitsunfähig und musste zwei Monate lang auf jeglichen Sport verzichten. Am meisten schmerzte ihn, dass er sein Ziel, im Militär Fallschirmaufklärer zu werden, wegen den Verletzungen aufgeben musste.

Während Philip E. den Sachverhalt darlegt, wirkt er ruhig und gefasst. Heute gehe es ihm gut, sagt er. Er spüre den Kiefer aber, wenn er erkältet sei und wenn sich ein Wetterwechsel ankündige. Eine weitere Operation zur Entfernung  einer Platte im Kiefer stehe derzeit noch an.

Betrunken oder nicht?

Der Beschuldigte Ardit W. gibt zu, Philip E. eine Faust ins Gesicht geschlagen zu haben. Daraufhin habe es unter den anwesenden Männern ein Gerangel gegeben, sodass er gar nicht mehr gesehen habe, was genau passiert sei.

In zwei Punkten widersprechen sich die Aussagen von W. und dessen Freund Celal A., der als Auskunftsperson vorgeladen wurde, von denjenigen der beiden Zeugen Thomas K. und Marko G. Letztere behaupten erstens, W. und A. hätten weiter auf Philip E. eingeschlagen, als dieser bereits am Boden lag. Mit Fäusten und möglicherweise auch mit Füssen. W. und A. bestreiten das.

Zweitens machen diese beiden geltend, dass sie zum Zeitpunkt der Tat eine grosse Menge Alkohol intus gehabt hätten. Denn bevor sie an den Lyssbachmärit gegangen seien, hätten sie gemäss W. mindestens zweieinhalb Flaschen Rum der Marke «Captain Morgan», gemischt mit Cola, getrunken. Aufgrund früher gemachten Aussagen ging das Gericht von vier Flaschen aus, was bei W. gemäss einem Gutachten einen Promillewert von 3,2 bis 5,2 ergeben hätte. Weder dem Privatkläger E. noch den Zeugen K. und G. sei der Beschuldigte und dessen Freund allerdings übermässig alkoholisiert erschienen.

«Es tut mir leid»

«Es tut mir leid, was passiert ist. Schlagen und einen Faustschlag verpassen – das kann ich nicht mit meinem Charakter vereinbaren», sagt W. Dies widerlegt Staatsanwalt Andreas Jenzer, der in seinem Plädoyer darauf hinweist, dass W. ein Jahr zuvor, damals noch minderjährig, eine ähnliche Tat beging. Während des Lyssbachmärits 2013 befand sich W. in der Probezeit. Zudem seien gemäss aktuellem Strafregisterauszug zwei weitere Verfahren hängig. Da die Aussagen von W. und A. teilweise von jenen in den Polizeiprotokollen abwichen, halte er diese für unglaubwürdig. Den erwähnten Alkoholkonsum bei angeblich nicht trinkfesten 19-Jährigen halte er für unwahr. «Ansonsten ginge ich von Lebensgefahr oder gar von Tod aus», so Jenzer.

Der Staatsanwalt plädiert auf Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung sowie wegen einfacher Körperverletzung. Denn wer massive Gewalt gegen Kopf und Gesicht anwende, nehme Hirnverletzungen oder dauerhafte Gesichtsentstellungen bewusst in Kauf. Jenzer fordert eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, davon sechs Monate unbedingt. Ausserdem seien sämtliche Verfahrenskosten sowie die staatsanwaltschaftliche Gebühr von 1500 Franken zu tragen. Philip E.’s Anwalt fordert zudem eine Genugtuung von 3000 Franken für seinen Mandanten.

W.’s Anwalt Rolf G. Rätz plädiert dagegen auf Freispruch von beiden Anklagepunkten. Er bemängelt, dass die Polizei Handyfotos von A., die das vorgängige Trinkgelage hätten beweisen sollen, nicht als Beweise aufgenommen hat. Seiner Meinung nach sei es unklar, dass E.’s Kieferverletzung von W.’s Faustschlag stamme. Sie könne genausogut bei E.’s Aufprall auf dem Boden geschehen sein. Das letzte Wort gehörte W., der mit leiser und brüchiger Stimme wiederholte, dass es ihm Leid tue, was geschehen war. «Ohne Alkohol wäre es nicht so weit gekommen.» Mit der Urteilseröffnung wird am Freitag Vormittag gerechnet.


*Namen von der Redaktion geändert.

Kommentare

manolo

ws für ein idiot dieser Anwalt!


Gulliver

Schon wieder zwei "Einzelfälle". Lügen können sie wie gedruckt. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Unsere Kuscheljustiz wird die Täter schon genug schützen. Sie wurde wohl einfach zu wenig gut integriert.


Biennensis

Unglaublich, all diese Lügen! Abstreiten, relativieren, die Schuld abschieben – am Gericht ist das an der Tagesordnung. Dabei wird gelogen, bis sich die Balken biegen! Wie kann man sich als Richter „nur“ diese alltäglichen Lügengeschichten bis zur Rente anhören? Ich jedenfalls kann mir diesen Beruf als Einnahmequelle nicht erklären…


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