Sie sind hier

Abo

Yukon

Wenn am Himmel 
die Lichter tanzen

Bei Christine Mäder im Yukon herrscht derzeit Partystimmung: Am Sourdough Rendezvous-Fest wird alles getan, damit kein Winterkoller aufkommt. Und wenn gleichzeitig noch die Nordlichter am Himmel leuchten, geben sich alle der magischen Stimmung hin.

Aurora Borealis: Das faszinierende Naturschauspiel, das unsere dunklen Winternächte erhellt. Bild: zvg/ Andrea Altherr
  • Dossier

Christine Mäder

Sonst im Vergleich zur Schweiz eher prüde, gibt es in der Rendezvous-Zeit kaum Hemmschwellen: Männerstriptease erfreut sich bei den Yukonerinnen ebenso grosser Beliebtheit wie die aus Grossstädten eingeflogenen Stripperinnen oder einheimischen Variété-Tänzerinnen bei der männlichen Bevölkerung. Von allen gern gesehen sind die 
Darbietungen der lokalen Cancan-Truppe in ihren farbenfrohen Kostümen und die Auftritte der Snowshoe Shufflers, die beweisen, dass man sogar mit Schneeschuhen an den Füssen tanzen kann.

Noch immer verkleiden sich viele Rendezvous-Besucher in elegante Kostüme aus der Goldrauschzeit oder als Goldschürfer. Obligat ist das Tragen eines Strumpfbands am Oberarm; denn wer von den in schwarze Mäntel und Bobby-Helme gekleideten Keystone Kops, die unermüdlich durch Strassen und Bars patrouillieren, ohne 
erwischt wird, muss entweder in den rollenden Gefängniskäfig oder Strafe bezahlen.

Wettstreit im Axtwerfen, Spalten, Heulen
Heute ist das traditionell in der zweiten Februar-Hälfte stattfindene Festival familienfreundlicher geworden; mit einem Kidsfest, wo sich der Nachwuchs im Mini-Mehlsackschleppen und Holzstammwerfen misst. Für die Erwachsenen standen dieses Jahr unter anderem Holzspalten auf Zeit, Kettensäge- und Axtwerfen zur Auswahl. Für Vierbeiner gab es einen Hundeheul-Wettstreit und eine Parade, bei der die am lustigsten verkleideten Tiere prämiert werden.

Als ich im Februar 1997 mein erstes Yukon Sourdough Rendezvous miterlebte, konzentrierte sich das Festgeschehen auf die Main Street von Whitehorse. In der nächsten Dekade wuchs die Bevölkerung an, und das Festival wurde aus logistischen Gründen in den nicht ganz so zentral gelegenen Shipyards Park verlegt, was der Beliebtheit nur bei einigen alteingesessenen Yukonern abträglich war.

Viele Aktivitäten finden im Freien statt, doch während in den Anfängen extra ein Eispalast gebaut wurde und danach bis im letzten Jahr die musikalische Unterhaltung in einem beheizten Zelt stattfand, wurde das 2019 «Under the Emerald Lights» betitelte Festival neu in das indianische Kwanlin Dun Cultural Centre am Flussufer verlegt. Damit ist das Rendezvous nun weniger von den Temperaturen abhängig, die um diese Jahreszeit zwischen 0 Grad und minus 40 Celsius schwanken können.

Die Mystik der Aurora
Mit Emerald Lights sind die smaragdfarbenen Nordlichter gemeint, die von Mitte August bis
Mitte April in klaren Nächten oft unseren Himmel erhellen. Sobald jemand in einem Restaurant oder einer Bar «the lights are out» ruft, oder diese
Meldung auf Facebook zu sehen ist, strömen
Yukoner und Touristen ins Freie, um sich an diesem eindrücklichen Schauspiel von Mutter Natur zu erfreuen. Seit Jahrtausenden fasziniert die himmlische Lightshow, die knapp 150 Millionen Kilometer weit weg auf der Sonne beginnt, die Menschheit. Die Aurora Borealis in der nördlichen Hemisphäre und die Aurora Australis auf der Südhalbkugel tritt entlang zweier ovaler, um die
magnetische Pole angeordneter Bänder auf. Bei Stürmen auf der Sonnenoberfläche werden stromgeladene Teilchen in Form eines Sonnenwindes weggeschleudert. Wenn diese auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in den oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen und diese ionisieren, ist das Polarlicht zu sehen.

Wegen der hohen Empfindlichkeit des Auges für grünes Licht und die relativ hohe Konzentration von Sauerstoff ist im Yukon grünliche Aurora am häufigsten zu sehen. Manchmal kommen rote oder violette Farbtöne dazu. Ganz selten sind blaue Nordlichter – die habe ich leider bisher
noch nie erlebt. Ob in Bogenform, als Band am
Horizont, als wehender Vorhang oder als pulsierende Strahlen, das Naturschauspiel ist immer grandios und einmalig!

Mythen und Legenden
Für die Ureinwohner Kanadas, Alaskas und Grönlands hat das Nordlicht spirituelle Bedeutung. Während ein Volksstamm glaubte, dass man durch Pfeifen die Aurora dazu bewegen könne, nach unten zu schwenken und ihr Botschaften für verstorbene Angehörige zu übermitteln, waren andere davon überzeugt, Pfeifen locke böse Geister an, die Menschen entführen wollen. Durch Händeklatschen könne das Nordlicht angeblich gezwungen werden, sich zurückzuziehen.

Die Inuit glaubten, das Nordlicht würde durch Fackeln verursacht; in der Hand von Geistern, welche die Seelen von Verstorbenen sicher über den Abgrund der Welt in die Ewigkeit geleiten wollen. Eskimos sahen die Aurora auch als himmlisches Ballspiel von Geistern mit einem Walross-Schädel oder aber von Walross-Geistern, die mit einem menschlichen Schädel Unfug treiben. Laut isländischer Folklore macht das Nordlicht eine
Geburt weniger schmerzhaft. Aber man dürfe es ja nicht anschauen, sonst schielt danach das Kind.

Laut chinesischer Überlieferung ist das Lichterspiel am Himmel ein Kampf zwischen guten und bösen feuerspuckenden Drachen. Und etliche asiatische Völker glauben noch heute, dass unter der Aurora gezeugte Kinder ganz besonders mit Glück und gutem Aussehen gesegnet werden.

Kein Wunder also, dass japanische, chinesische und koreanische Besucher wesentlich zum Aufschwung unseres Wintertourismus in den letzten Jahren beigetragen haben.

Info: Alle Fernweh-Beiträge finden Sie unter
www.bielertagblatt.ch/fernweh

Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». Nach weiteren drei Jahren als Musikredaktorin in Zürich und Baden wanderte sie in die «hintereste obere Ecke» von Kanada aus: ins spärlich besiedelte Yukon Territorium, wo sie ihre Sprachkenntnisse zuerst im Tourismus anwendete, seit 2014 nun aber in Whitehorse als Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

Nachrichten zu Biel »