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Wenn da einfach ein Meter Haar hängt

«Eine Frau hat lange Haare und Stöckelschuhe zu tragen.» Das war der ultimative Tipp, den mir einmal ein Bekannter gab, als ich vor Jahren frisch auf Freierinnenfüssen war.

Bild: Sabine Kronenberg

Sabine Kronenberg

Der Haken an der Sache: Seit Kindertagen trage ich die Haare kurz, mal abgesehen von einer pupertären Phase, in der wohl jede junge Frau sich den anderen anpasst und am liebsten in der Masse verschwinden würde. Das waren ein paar wenige Jahre und dann musste die Matte wieder ab.

Ich habe nämlich viel und dichtes Haar, im Sommer ist das zu heiss. Ausserdem kann ich mich, seitdem ich im Bio-Unterricht gelernt habe, dass Haare und Fingernägel abgestorbenes Horn sind, nicht mehr so recht mit langen Haaren (und langen Nägeln, brrr) anfreunden.

Und spätestens seit ich meine Leidenschaft für Post-Rock-Konzerte entdeckt habe, stehe ich regelmässig in diesen Menschenreihen und finde diese Wuschelköpfe manchmal sogar befremdlich. Da hängt einfach ein Meter Haar.

Wenn ich mir dann überlege, warum hängt das da eigentlich, wird es abstrakt. Und dann ist dieses Haar leider oftmals behandelt mit billigsten Haarpflegeprodukten, deren Dämpfe einem in den Augen brennen. Und wenn abgetanzt wird, klebt es mit Sicherheit innert Kürze in meinem Gesicht und nicht im Gesicht der haartragenden Person. Aber item, ich verliere mich. Der 
ultimative Tipp also: Da ist man seit Kurzem wieder lonely woolfin und dann soll man sich das Fell wachsen lassen zwecks Steigerung der Anziehungskraft.

Alles Diskutieren mit betreffendem Bekannten hat nichts genützt. Er behauptete felsenfest, dass zum idealen Frausein die Haarmatte und die bis zur Behinderung erhöhte Ferse dazugehört. «Die Beinlinie ist einfach viel schöner mit hohen Absatzschuhen. Ballerina-Schuhe sollten verboten werden.» Nun gut, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Der ist archaisch drauf und sucht sich halt was, das er dank Behinderung (Stöckelschuhe) bei der Jagd leicht erlegen kann und dann per Henkel (Haare) in seine Höhle schleppen kann. Mag für ihn okay sein.

Ich habe mich eigentlich immer in Menschen verliebt, nie in Frisuren oder Schuhe (von dem einen oder anderen Halbschuh mal abgesehen). Nachdenklich wurde ich jedoch, als das Thema hartnäckig immer wieder an mich herangetragen wurde: Chefs, die mir in einem Nebensatz sagten, aha ja, das sieht man an den Haaren, dass du dich für Frauenrechte einsetzt. Und zwischen den Zeilen hörte es sich an, als ging’s nicht um soziale, sondern um meine sexuellen Neigungen. Wie bitte?

Oder beim Plaudern nach dem Yoga verlor der indische Yogalehrer, üblicherweise die Gelassenheit in Person (was zum Anforderungsprofil von guten Yogalehrern gehört), die Fassung und meinte, ich solle die Haare wachsen lassen. Wie bitte? Oder es kommt bedeutungsschwanger daher in der Art: «Die Indianer waren überzeugt, wer seine Haare abschneidet, schneidet seine Gedanken ab.» Besten Dank auch für das Kompliment.

Oder Frauen auf Toiletten im 
Ausgang sprachen mich an; so schöne Frisur, seufz, ich würde ja auch gern, aber ich habe halt kein schönes Gesicht. Typisch Mensch, Zusammenhänge schaffen, wo keine sind. Die Natur neigt zu Symmetrie, wir alle haben symmetrische Gesichter. Das Argument zählt nicht! Und überhaupt gibt es keine solche geheime Logik bei meiner Frisur. Mir ist’s wohl damit. Basta!

Info: Sabine Kronenberg ist Historikerin und Ausbildnerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Biel.

kontext@bielertagblatt.ch

 

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