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„Krawattenzwang“

Wenn das Smartphone Todesfälle provoziert

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, publizistischer Leiter der Gesamtredaktion und Chefredaktor „Bieler Tagblatt“ wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Wenn das Smartphone Todesfälle provoziert.

Bernhard Rentsch: Krawattenzwang
  • Dossier

Sind Smartphones für den Tod von Menschen Schuld? Ja, leider. Dass dieses kleine, scheinbar unverzichtbare Ding, so weit in den Alltag dringt, muss uns allen zu denken geben. Mich eingeschlossen, denn bei der Nutzung von Handy und Co. bin ich keinen Deut besser.

Zur steilen These mit tödlichem Ausgang: Ich spreche vom Unglück in Moskau, bei dem am Sonntag 41 Menschen in einem Flugzeug verbrannten. Gemäss Augenzeugen zu viele – denn Rettung wäre für mehr möglich gewesen, wenn nicht auf der Flucht noch rasch der Griff zum persönlichen Handgepäck oder eine Aufnahme mit dem Smartphone «nötig» gewesen wäre. Im dadurch verstärkten Chaos und im Engnis fehlten dann für einige wertvolle Sekunden. Tödliche.

Der Bezug zum Unglück war deshalb besonders, weil ich kurz vorher selber auf einem Kurzstreckenflug als Passagier unterwegs war. Die Durchsage, dass bei einem Notfall das persönliche Handgepäck zurückzulassen sei, war gut zu vernehmen. Ist ja klar, so der Gedanke – wirklich klar? Jede und jeder überlegt sich da kurz, ob man wirklich alles Persönliche aufgeben soll. So Pass, Kreditkarte, Kleingeld und eben das Smartphone müssten dann schon mit. Wie das tragische Beispiel nun zeigt, haben (zu) viele so gedacht, es wurde gedrängelt und – noch schlimmer – gefilmt.

Bereits das «normale» Verhalten im Flugzeug löst Stirnrunzeln aus: Die Sitznachbarin, selber fünf Jahre als Flugbegleiterin unterwegs, erzählt Müsterchen, die im Notfall tatsächlich problematisch werden. Da ist zum einen das Handgepäck, das weit weg vom nötigen Kleinen ist. Viele Passagiere führen ihre kompletten Reiseutensilien mit, um die frühzeitig einzuplanende Gepäckaufgabe zu umgehen. Mit dem Ergebnis, dass letztlich viel zu viele Koffer und Taschen im Passagierraum landen und dort jegliches rasche und materialfreie Handeln verunmöglichen.

Unser Reflex, beim Kleinsten im Flugzeug lange Zeit stehend im (engen) Mittelraum zu verbringen, hilft bei einer geordneten Evakuierung auch nicht. Weshalb stehen alle auf, bevor irgendeine Bewegung in der Reihe festzustellen ist? Schon nach einer normalen Landung werden viele Passagiere viel zu früh aktiv, stehen auf und drängeln. Und erst bei einem Notfall?

Wir können uns Fragen stellen und Antworten geben – für 41 Menschen ist dies seit dem letzten Sonntag in Moskau nicht mehr möglich.


brentsch@bielertagblatt.ch

Twitter: @BernhardRentsch

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