Sie sind hier

Abo

Obergericht

Wenn die Mühlen der Justiz zu schnell mahlen

Das Regionalgericht in Biel wartete zu wenig lang auf einen Beschuldigten. Nun erhält er eine zweite Chance.

Symbolbild: Pixabay

Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland machte kurzen Prozess mit einem Beschuldigten. Dieser war für Ende September 2021 vorgeladen, nachdem er einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft angefochten hatte. Um 14 Uhr sollte die Verhandlung stattfinden. Weil der Mann nicht auftauchte, schloss das Gericht die Akte um 14.05 Uhr. Die Einsprache galt als zurückgezogen, weil er unentschuldigt nicht erschienen war.

Was das Gericht zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Der Mann wollte sich sehr wohl gegen den Strafbefehl wehren. Doch er hatte sich in der Adresse geirrt. Er ging ins Gebäude der Staatsanwaltschaft, die ihm den Strafbefehl ausgestellt hatte. Dort erhielt er die Auskunft, dass er ans Regionalgericht müsse.

Sofort informierte er das Gericht per Telefon über seinen Irrtum und eilte die paar Hundert Meter in Biel von der Ländtestrasse zum Gerichtsgebäude an der Spitalstrasse. Doch um 14.14 Uhr war es schon zu spät: Seine Akte war wegen des Nichterscheinens bereits geschlossen.

 

Keine fixen Fristen

Gegen dieses Vorgehen des Regionalgerichts beschwerte sich der Mann vor Obergericht. Er beantragte, dass der Entscheid aufgehoben und eine neue Verhandlung angesetzt werde. Und er hatte Erfolg.

Das Obergericht weist in seinem Urteil darauf hin, dass es keine absolute Frist gebe, die zwingend zur Absage der Verhandlung führe. Überspitzter Formalismus sei jedoch verboten. Das heisst, dass eine Verspätung von wenigen Minuten nicht bereits Konsequenzen haben dürfe.

Eine frühere Regelung ging von einer Respektviertelstunde aus, die man warten sollte, fährt das Obergericht fort. Bedingung sei allerdings, dass der Betroffene nicht absichtlich zu spät komme, um Termine hinauszuschieben. Das sei im Einzelfall zu prüfen.

Im konkreten Fall unterstellt das Obergericht dem Mann keine Absicht. Für einen juristischen Laien sei es oft schwierig, zwischen den einzelnen Behörden zu unterscheiden. Deshalb sei es ihm nicht vorzuwerfen, wenn er zuerst bei der Staatsanwaltschaft erschienen sei, und zwar rechtzeitig.

Zudem habe er das Gericht sofort über seinen Irrtum informiert. Laut einer Aktennotiz rief der Mann acht Minuten nach dem angesetzten Verhandlungsbeginn bei Gericht an, sechs Minuten später traf der Mann am richtigen Ort ein.

«Die Verspätung von 14 Minuten ist zwar nicht unbedeutend, liegt allerdings innerhalb der Respektviertelstunde», hält das Obergericht fest. Der Mann habe zudem mit seinem Anruf über die Verspätung informiert. Bei einer vorgesehenen Dauer von einer Stunde hätte noch genügend Zeit bestanden, die Verhandlung durchzuführen.

 

Verhandlung neu ansetzen

Damit habe das Regionalgericht gegen das Verbot des überspitzten Formalismus verstossen, folgert das Obergericht. Es sei offensichtlich zu früh gewesen, die Verhandlung bereits um 14.05 Uhr zu schliessen.

Das Regionalgericht muss die Verhandlung neu ansetzen. Die Kosten für das Verfahren vor Obergericht in der Höhe von 1200 Franken trägt der Kanton.

Nachrichten zu Biel »