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Wochenkommentar

Wenn Rebellen gern gesehen sind

Am 18. Juni entscheiden die Stimmbürger in Moutier über den Verbleib beim Kanton Bern. Eine deutliche Aufforderung von BT-Chefredaktor Bernhard Rentsch im Wochenkommentar.

Bernhard Rentsch
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Bernhard Rentsch

Ungezügelte Emotionen gehören in der Schweiz selten zum politischen Alltag. Häufig wird mit Zahlen und Fakten argumentiert. Meist wirkt das trocken und interessiert keine Mehrheiten. Dass Politik aber auch wie ein Thriller wirken kann, erkennt, wer zurzeit den Blick nordwärts richtet. In Moutier wird in einer Woche über die Kantonszugehörigkeit abgestimmt. Allein die Möglichkeit eines solchen Urnengangs ist bemerkenswert. Sie ist ein deutlicher Beweis zum Funktionieren unserer direkten Demokratie.

Zu erwarten ist ein äusserst knappes Resultat. Selbst Experten wagen keine verbindlichen Prognosen. Moutier entschied sich historisch stets für die Abspaltung vom Kanton Bern, allerdings nie mit einer überzeugenden Mehrheit. Die Stadt blieb in dieser Sache immer zweigeteilt.

Moutier tickt speziell. Für Aussenstehende sind die Grabenkämpfe, die sogar Freundschaften und Familien entzweien, kaum nachvollziehbar. Im erbitterten Kampf der beiden Lager stehen Mentalitätsfragen und eben Emotionen im Zentrum – weniger kühles Kalkül. Und doch darf es nicht sein, dass nur die Gefühlslage über das Geschäft entscheidet. So einfach sind die Ausgangslage und vor allem die Zukunftsaussichten nun auch wieder nicht.

Mitentscheiden wird die Abstimmungsbeteiligung. Von 80, ja gar von 90 Prozent wird gesprochen. Damit wird die Meinung fast der ganzen stimmberechtigten Bevölkerung erhoben. Das ist mit Blick auf die Akzeptanz des Resultats wichtig. Das macht das Ganze aber noch komplizierter und unberechenbarer.

Eine offene und wichtige Frage ist, wie sich die Jungen entscheiden. Sie äussern sich zwar in Umfragen recht deutlich – aber eben auch zweigeteilt. Es dominieren bei ihnen vielfach sogenannte Softfaktoren wie die Möglichkeiten zum Ausgang, wohin sich Freunde bewegen, wohin sie sich für Lehre oder Schule orientieren oder in welchem Kanton man sportlich engagiert ist und die entsprechenden Infrastrukturen findet. Genau diese Faktoren werden für den Ausgang der Abstimmung entscheidend sein. Aber vor allem auch: Nehmen die Jungen die Möglichkeit der Stimmabgabe auch wahr?

Die harten Fakten sprechen für einen Verbleib beim Kanton Bern. Da ist die Frage der Sicherung von Arbeitsplätzen, die im grösseren Kanton traditionell besser verwurzelt sind. Dass die Unternehmenssteuern im Kanton Jura höher sind, ist für viele Firmenbesitzer und Arbeitgeber entscheidend. Da sind die Argumente von den bestehenden Anbindungen ans Ausbildungs- und Gesundheitssystem.

In grossen Teilen des Kantons scheint die Frage, ob Bern mit oder ohne Moutier in die Zukunft blickt, nicht gross thematisiert zu werden. Es ist aber wohl nicht Gleichgültigkeit, die den Kantonsgenossen von Bern-Untreuen vorgeworfen wird. Es ist viel mehr Überforderung. Im Grunde schreit ein ganzer Kanton «bleib bei uns», wenn auch nur leise. Die neutrale Haltung des offiziellen Biels gehört zur Zurückhaltung und zur Taktik. Aber auch Biel hat gute Gründe, sich pro-Moutier zu äussern: Über 7000 benachbarte und dem gleichen Kanton angehörende Romands, die die Minderheit stärken, sind für unsere zweisprachige Stadt nicht zu unterschätzen.

Dass Rebellen etablierte Systeme und Gewohnheiten hinterfragen, begrüsse ich sehr. In diesem Sinn sind Rebellen gern gesehen. Denn Stillstand heisst auch in politischen Fragen häufig Rückschritt. Die brachiale Umsetzung von Veränderungen, die sich nicht aufdrängen, halte ich aber für Zwängerei. Um letztlich grundsätzliche Richtungswechsel zu vollziehen, braucht es gute Argumente und triftige Gründe. Die sehe ich nicht. Moutier, bleib bei uns!

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