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Biel

«Wer weiss, vielleicht wäre der Täter heute ins Netz gegangen»

Erdrosselt und erstochen fand die Polizei vor rund 30 Jahren Ida Klara Germann in ihrem Massagesalon in Biel vor. Der Fall blieb ein ungelöstes Rätsel. Ein Ermittler und ein Reporter blicken zurück.

Illustration: Karin Widmer

Michael Bucher

Einen Tatort betreten war für Hubert Klopfenstein zur Routine verkommen. Rund 50 Leichen bei sogenannt «aussergewöhnlichen Todesfällen» hat er in seinen drei Jahren als Untersuchungsrichter zu Gesicht bekommen. Der Mann war sich also einiges gewohnt. Der Anblick, der sich ihm am 10. April 1989 bot, liess aber auch ihn leer schlucken.

Der damals erst 34-Jährige wurde in die Bieler Innenstadt beordert. Der Tatort: eine einfache Studiowohnung in einem Wohnblock, in dem vornehmlich junge Studierende wohnten. Die St. Gallerin Ida Klara Germann betrieb in der kleinen Wohnung einen erotischen Massagesalon. «Minouche» nannte sie sich. Als «junge, zierliche Frau» pries sich die 37-Jährige in Inseraten an und versprach, ihre Kundschaft «gekonnt in privater Atmosphäre» zu empfangen.

Nun lag diese zierliche Frau tot vor Hubert Klopfenstein. In einer Blutlache auf ihrem Bett. Erdrosselt mit einem Négligé. Den Brustbereich mit Stichwunden übersät. Der Verwesungsprozess hatte bereits eingesetzt. Die Gerichtsmediziner stellten später fest, dass die Frau bereits rund zehn Tage zuvor umgebracht worden war. Gemerkt hatte dies niemand. Erst als sich Unbekannte bei der Polizei meldeten, weil ihre Anrufe im Salon ins Leere klingelten, wurde die Leiche entdeckt.

 

Ein gekränkter Freier?

«Es war ein happiger Anblick», sagt Klopfenstein 31 Jahre später. Zumindest dies weiss er noch genau, auch wenn viele Details nach all den Jahren etwas verblichen sind. Der heute 64-Jährige war einst FDP-Grossrat und Bieler Baudirektor. Seit sieben Jahren ist er aufgrund einer Amtszeitbeschränkung frühpensioniert und wohnt in Zweisimmen. Den Fall «Minouche» konnten er und seine Nachfolger bis heute nie aufklären. Mittlerweile ist die brutale Tötung verjährt.

«Wir tappten völlig im Dunkeln», erinnert sich Klopfenstein. War die Tat geplant? Oder geschah sie im Affekt? War der Täter ein gekränkter Freier, der sich in die Frau verliebt hatte? Oder war es ein psychisch Gestörter mit einem Hass auf Prostituierte? Man weiss es bis heute nicht. Klar ist einzig, dass sich das Opfer gewehrt hatte. So konnte Blut einer Drittperson am Tatort nachgewiesen werden.

 

5000 Franken Belohnung

Die Kantonspolizei Bern wandte sich via Medienaufruf an die Öffentlichkeit: Hat jemand in besagtem Zeitraum eine verletzte Person gesichtet? Oder jemanden, der blutverschmierte Wäsche reinigte oder entsorgte? Doch der Aufruf brachte nichts. Auch im belebten Pickwick Pub gleich unter dem Salon wollte niemandem eine Person mit Blutflecken auf den Kleidern aufgefallen sein. Zehn Tage nach dem Leichenfund setzten die Untersuchungsbehörden gar eine Belohnung von 5000 Franken aus für sachdienliche Hinweise. «Es war ein letztes Mittel, das wir noch ausschöpfen konnten», sagt der damalige Untersuchungsrichter. Doch auch das nützte nichts.

«Dass die Ermittlungen so harzig verliefen, hat vor allem mit dem Rotlichtmilieu zu tun, in dem Diskretion und Anonymität wichtig sind», ist Hubert Klopfenstein überzeugt. Die Agenda von Ida Klara Germann lieferte kaum Verwertbares. Darin waren praktisch nur Vornamen notiert, die meisten dürften gar Fantasienamen gewesen sein. Die Telefonkartei des Opfers war schon aufschlussreicher. Unter der Kundschaft des Massagesalons befanden sich auch ein paar der Öffentlichkeit bekannte Namen. Doch was hiess das schon. «Es war sehr heikel auf diese Personen zuzugehen», sagt Klopfenstein heute, «wir konnten nicht einfach von all jenen, die in der Kartei waren, eine Blutprobe verlangen.»

 

Ermitteln in Schattenwelt

Ein weiteres Problem war: Kaum jemand in der Stadt kannte die aus der Ostschweiz zugezogene Frau. Dies musste auch Jürg Mosimann schnell einmal feststellen. Er war zu jener Zeit Reporter und Gerichtsberichterstatter beim «Blick». Von 1981 bis 1995 berichtete er über jeden Mordfall im Kanton Bern. Später wechselte er zur Kantonspolizei, wo er bis zu seiner Pensionierung als Mediensprecher tätig war. Der heute 74-Jährige erinnert sich noch gut an den 10. April 1989. «Ich war unterwegs ins Büro, als mich der Chef nach Biel schickte», erzählt Mosimann. Ein Polizeieinsatz sei dort im Gang, hiess es.

Vor Ort gabs für den Reporter nicht viel zu holen. Das ganze Haus war abgesperrt, die Polizei schwieg. Auf informellem Weg erfuhr er, dass eine Prostituierte umgebracht worden sei. Online-Recherchen via Google gabs damals noch nicht. Das hiess für Mosimann: hausieren gehen im Rotlichtmilieu. «Die meisten Sexarbeiterinnen kannten das Opfer nicht», erinnert er sich. Auf dem Strassenstrich sei sie nie gesehen worden, sie arbeitete offenbar bloss in ihrer Wohnung – damals ein Trend, der am aufkommen war. Den Nachbarn im Haus war nicht bewusst, dass die Ostschweizerin Liebesdienste angeboten hatte. «Die Frau lebte sehr zurückgezogen und ging ihrem Geschäft offenbar mit grösster Diskretion nach», so Mosimann.

Schon früh endeten sämtliche Ermittlungen in einer Sackgasse. «Der Fall geriet schnell wieder in den Hintergrund», sagt der ehemalige Reporter. Auch die Medien berichteten kaum mehr darüber.

Heute vermag sich wohl kaum noch jemand an den brutalen Mord erinnern. Ob das anders gewesen wäre, hätte es sich beim Opfer nicht um eine Prostituierte gehandelt? Sehr gut möglich. Denn das Rotlichtmilieu ist eine Schattenwelt. Und so hart es klingen mag: Dass sich Sexarbeiterinnen nun mal in einem gefährlichen Umfeld bewegen, dieser Gedanke habe sicher bei so einigen vorgeherrscht, meint Mosimann.

 

Kurzzeitige Hoffnung

In den frühen Nullerjahren blitzte Hoffnung auf, dass der Fall Ida Klara Germann doch noch gelöst werden kann. Denn in der Kriminaltechnik revolutionierten die neuen Möglichkeiten der DNA-Analyse die Ermittlungsarbeit. 2003 war der Fall Brigitte Didier einer der ersten, der dank DNA-Abgleich aufgeklärt wurde. Die Bielerin war elf Jahre zuvor ermordet worden. Doch auch die 2003 durchgeführte Blutanalyse im Fall Ida Klara Germann führte zu keinem Treffer. Die Akte verschwand wieder in einer Schublade.

Hubert Klopfenstein macht zum Schluss einen interessanten Gedankengang. Wären bereits vor 30 Jahren die heutigen technologischen Standards vorhanden gewesen, hätten die Ermittler viel mehr Möglichkeiten gehabt. So etwa die Auswertung der Handydaten des Opfers. Dies hätte es der Polizei ermöglicht, herauszufinden, wer, wann und von wo aus das Opfer kontaktiert hatte. «Wer weiss», meint der damalige Untersuchungsrichter, «vielleicht wäre der Täter heute ins Netz gegangen.»

Stichwörter: Biel, Mord, Polizei

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