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Kolumne

Wider den Dichtestress!

Stress heisst, auf Zug belastet, und dort findet er auch statt, der Dichtestress: im Zug. Nicht in Biel und Umgebung, aber trotzdem. Mehr so um Zürich, Basel, Genf herum, die haben ihn ja auch verdient. Aber beunruhigt sind wir trotzdem.

Benedikt Loderer. Bild: Adrian Streun

Man braucht keinen, um ihn zu haben. Die Vorzeichen sind längst da. Die Neuenburgstrasse am Sonntagnachmittag oder die unerträgliche Warterei am Zebrastreifen beim Bahnhofplatz! Auf der Post die Warterei mit dem Zeddeli in der Hand ist nervtötend. Ding dong! Erst 131, ich habe 148. Die verhürscheten Frauen, die an der Migroskasse ihr Portemonnaie erst hervorgrübeln, wenn sie den Coupon kriegen und dann noch mühsam im Münz wühlen, die sind eine unerträgliche Gemütsbelastung. Die Leute auf dem Perron haben immer noch nicht gelernt, tifiger zu gehen, und kaum sind sie unten an der Treppe, bleiben sie dort noch stehen. Statt den Abfluss zu erhöhen, behindern sie den Durchsatz. Auf der Sonnenterrasse bleiben die Ausflügler beharrlich hocken, obwohl sie ihren Café crème längst erledigt haben und den Sonntags-Blick ebenso. Für neue Konsumenten machen die nie Platz. Also, wenn Sie den Stadtwanderer fragen, kommt der Dichtestress zuerst einmal von der Bequemlichkeit der andern.

Der Dichtestress ist das Gegenteil der Ruhe, und die habe ich zugut. Ich hab sonst schon Stress genug, da brauche ich nicht noch den dichten. Das Blöde an der Schweiz ist: Überall ist schon jemand. Dichte ist, wenn es keinen Platz mehr hat. Es ist nicht so, dass es zum Beispiel zu viele Autos hat am Sonntag auf der Neuenburgstrasse, es hat zu wenig Neuenburgstrasse. Es sind nicht zu viele Leute im Zug, der Zug ist nicht lang genug. Wäre er wenigstens dreistöckig, könnte ich wieder die Füsse hochlegen. Ich meine, mit ein bisschen Leistungswillen und Selbstverantwortung müsste das doch zu schaffen sein.

Und dann sind die noch zu dick. Schon jedes fünfte Schulkind ist übergewichtig. Wenn die mal erwachsen sind, wird’s noch enger im Täuffelenbähnli. Das kommt nicht von der Überfremdung, das kommt von der Dicke. Früher waren die Fremden dünn und brauchten wenig Platz, jetzt sind sie so reich, äh, dick wie wir und beanspruchen Platz für ihre Dicke. Das war früher ganz anders. Die Fremdarbeiter wohnten in Baracken, vier in einem Schlag, und heute wollen die importierten Manager auch noch Häuser mit Seesicht und Swimming Pool, Kunststück, dass das Platz braucht. Aber mit dem Verdichten kommen Sie mir ja nicht. Die wollen mir etwas wegnehmen. Wir sollen zusammenrücken. Nicht mit mir. Ich brauche Abstand. Abstand ist Anstand, wenn’s mir zu eng wird, werde ich leider unanständig. Man muss das endlich grundsätzlich anpacken. Die Wahrheit ist: Wir sind zu viele. Es hat nicht genug Platz in der Schweiz. Es gibt natürliche Grenzen, die man nicht ungestraft überschreiten darf. Mehr als vier Millionen verkraftet das Land einfach nicht. Wie so um 1950 herum, als die Schweiz noch in Ordnung war. Darum müssen wir zu unserer bewährten Tradition zurück. Lange waren wir ein Auswanderungsland und müssen dringend wieder eines werden. Wir müssen vier Millionen Leute exportieren. Klar, mal alle Fremden, aber das genügt noch lange nicht. Es bleiben dann noch über zwei Millionen Schweizer vorig, die wir im dünnbesiedelten Ausland verteilen müssen. Wir machen das echt eidgenössisch und stimmen in jeder Gemeinde ab, wer ausgeschafft werden soll. So werden wir den Dichtestress endgültig los, gemeindeautonom, föderalistisch und demokratisch.

Info: Benedikt Loderer ist Journalist, Architekt und Stadtwanderer.

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