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Wochenkommentar

Wie Chlorothalonil ein neues Bewusstsein weckt

Bis letzten Sommer dachte noch niemand an Pestizide im Trinkwasser, wenn er zuhause den Wasserhahn aufdrehte und seinen Durst löschte. Bis das Antipilzmittel Chlorothalonil alles auf den Kopf stellte.

Symbolbild: Pixabay

Brigitte Jeckelmann
, Redaktorin

Zuvor machten sich wohl nur wenige Gedanken darüber, was alles hinter dem Hahn steckt. Doch verfolgt man den Weg des Wassers zurück, durch die Leitung im Haus, bis zum Reservoir, dem Pumpwerk, und der Fassung, dort, wo das Wasser unterirdisch aus dem Gestein quillt, oder in Biel bis zum Seewasserwerk in Ipsach, wo das Bielerseewasser verschiedene Reinigungsstufen durchläuft, dann wird der Konsumentin und dem Konsumenten so richtig bewusst, wie sehr unser Trinkwasser in den Kreislauf der Natur eingebunden ist. Und wie verletzlich durch die menschlichen Einflüsse. Nicht nur Pflanzenschutzmittel und Dünger aus der Landwirtschaft und von Hobbygärtnern gelangen ins Grundwasser und somit ins Trinkwasser, sondern auch Chemikalien aus Industrie und den Haushalten. Hinzu kommen Rückstände von verschiedenen Medikamenten, die Menschen einnehmen: Schmerzmittel, Antibiotika, Antidepressiva, Antiepilepsiemittel, Hormone von Antibabypillen und sogar Drogen gelangen via Ausscheidungen ins Abwasser und landen letztlich wieder in unserem Trinkwasser, wenn auch in allerwinzigsten Mengen, die um ein Vielfaches kleiner sind als die 0,1 Mikrogramm pro Liter, der Höchstwert, den der Bund für die Abbauprodukte von Chlorothalonil festgelegt hat. Kurz: Wir Menschen sind selber Teil eines Kreislaufs. Was wir essen und trinken und in unserem Alltag nutzen, kehrt mit dem Trinkwasser in irgendeiner Form wieder in unseren Körper zurück. Die gute Nachricht: Das Chlorothalonil hat manch einen dazu gebracht, sich dafür zu interessieren, wo unser Trinkwasser überhaupt herkommt und welche Arbeit die Wasserversorger leisten. Plötzlich ist das Wasser buchstäblich in aller Munde. Wasser, das bei uns im Überfluss vorhanden ist und um das Menschen in anderen Ländern kämpfen müssen. Für manche ist es ein Schock, das so rein geglaubte Wasser nun von einem Pflanzenschutzmittel verschmutzt zu wissen, das womöglich Krebs erregt. Die Schuld allein den Bauern zuzuschieben, greift aber viel zu kurz. Diese haben sich auf die Behörden verlassen, die dem Mittel die Zulassung erteilt haben. Dass dies nun auf einmal nicht mehr so ist, dafür können sie nichts. Trotzdem kann sich die Landwirtschaft nicht einfach mit dieser Entschuldigung aus der Pflicht nehmen. Chlorothalonil hat den Diskussionen rund um gesunde Ernährung, Tierwohl und Biodiversität Schub verliehen. Und dies gerade jetzt, wenn die Abstimmungen über die Initiativen für sauberes Trinkwasser und gegen Pestizide näher rücken. Zufall oder höhere Macht? Sicher ist: Landwirte kommen immer mehr in Zugzwang. Umstellen auf Bio ist für manche heute eine Option, an die sie vorher kaum einen Gedanken verschwendet haben. Chlorothalonil hat ein Umdenken ausgelöst, das vielleicht sonst nicht stattgefunden hätte. Auch die Behörden des Kantons Bern mussten umdenken. Sie hatten sich nach Bekanntwerden der Messresultate im Frühsommer hinter der Schweigepflicht verschanzt und die Bevölkerung im Ungewissen gelassen, bis sie die Medien mit Hilfe des Öffentlichkeitsgesetzes diese Woche zur Transparenz zwangen. Die Zahlen zeigen klar: Das Problem Chlorothalonil im Kanton ist weiter verbreitet als angenommen. Nahezu 180000 Einwohnerinnen und Einwohner trinken Wasser, das nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Die Tatsache, dass das Öffentlichkeitsgesetz greift, zeigt, dass die Kantonsbehörden dem Volk zu Unrecht die Informationen verweigert haben. Zumal andere Kantone wie Solothurn, Schaffhausen und Freiburg ihre Zahlen von Anfang an offenlegten. Die Berner Kantonsbehörden machten es sich zu einfach, indem sie die Informationspflicht allein in die Verantwortung der Wasserversorger legten. Denn die meisten von ihnen mussten sich bisher nie damit auseinandersetzen, wie man mit der Bevölkerung kommuniziert. Sie stellten einmal jährlich ihre Untersuchungsberichte aufs Netz und fertig. Chlorothalonil hat sie überrumpelt und überfordert. Nur wenige wie etwa die Seeländische Wasserversorgung in Worben informieren konsequent transparent. Auch die kleine Gemeinde Rüti bei Büren scheute sich nicht, ihre Bürger klar ins Bild zu setzen. Auf der Website erfahren sie in gut verständlichen Worten, wie hoch die Werte sind und was diese konkret für sie persönlich und die Gemeinde bedeuten. Nicht zuviel Information, aber auch nicht zuwenig, sondern gerade richtig. Andere Gemeinden wiederum sind der Ansicht, eine zu detaillierte und umfangreiche Information schade mehr als sie nütze, indem sie unter der Bevölkerung Verwirrung stifte. Das ist vielleicht gut gemeint, aber alles andere als transparent. Und auch etwas bequem. Offene Kommunikation schafft Vertrauen, Schweigen dagegen schürt Misstrauen. Das zeigt sich auch in der laufenden Diskussion rund um das Thema 5G-Mobilfunk, das bei der Bevölkerung Ängste auslöst. Unter anderem weil manche Gemeinden sich weigern, 5G bei Baugesuchen zu deklarieren. Jüngst hat sich nun die Berner Regierung nach einem Vorstoss im Parlament für mehr Transparenz bei Baugesuchen für neue Antennen entschlossen. Na also, geht doch.

bjeckelmann@bielertagblatt.ch

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