Sie sind hier

Abo

Kanaren

«Wie das Rauschen eines Bunsenbrenners»

Der Vulkan auf La Palma arbeitet ununterbrochen, und Stefan Müller musste sich temporär eine neue Bleibe suchen. Der ehemalige Bieler Stadtschreiber erzählt, wie es ihm auf der Insel geht.

Bild: Luismi Ortiz (AFP)

Stephan Künzi

La Palma. Das tönt nach Ferien, nach einer Region, in der das Leben pulsiert. Und tatsächlich strömen in normalen Jahren jeweils gegen 300 000 Erholungsuchende auf die grüne Insel, die zu den Kanaren gehört und die spanische Inselgruppe im Nordwesten zum Atlantik hin abschliesst. Die Strassen sind belebt, die Restaurants gut besucht.

Doch seit knapp drei Wochen ist auf La Palma nichts mehr so, wie es einst war. Schuld ist der Vulkanausbruch an den Hängen der Cumbre Vieja. Die Naturkatastrophe hat nicht nur die Einheimischen aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen, komplett von der Insel verschwunden sind auch die Touristinnen und Touristen. Strassen und Restaurants bleiben heute weitgehend leer.

«Die Stimmung ist gedrückt, die Leute sind paralysiert», stellt Stefan Müller fest.

 

Den Traum erfüllt

Der 69-jährige Stefan Müller lebte lange Jahre in Biel, arbeitete dort zuerst als Stadtschreiber, wechselte dann zum Kanton und wurde Generalsekretär der damaligen Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion. Nach seiner vorzeitigen Pensionierung vor acht Jahren erfüllte er sich einen Traum: Er kaufte sich auf La Palma ein Haus und verbringt seither mit seiner Frau viel Zeit im Feriendomizil. «Ich hatte mich in die Insel verliebt», sagt er.

Auf dem kleinen Anwesen schauen regelmässig Gäste vorbei. Das war auch am 19. September so, einem Sonntag. Schon Tage zuvor war es immer wieder zu kleineren Beben gekommen, und der Besuch aus der Schweiz fragte schon mal vorsichtshalber, ob das Treffen überhaupt stattfinden könne. «Ich antwortete ihnen, das sei problemlos möglich. Dass die Erde bebt, sind wir gewohnt.»

Er sollte sich täuschen. So, wie die gesamte Fachwelt sich täuschte.

 

Das Spektakel

Als es an jenem Nachmittag um Viertel nach drei an der nahen Cumbre Vieja losging, war das Spektakel gewaltig. Bis zu 300 Meter hoch sei die Feuersäule gewesen, erinnert sich Stefan Müller. Noch verlief der Alltag in gewohnten Bahnen. Am Abend kochte er für seine Gäste. Später wurde es richtig ungemütlich. Zuerst klopften Freunde an der Tür, die näher am Vulkan wohnten und bereits evakuiert wurden. Kaum hatten sich alle provisorisch für die Nacht eingerichtet, stand die Polizei auch bei Stefan Müller vor der Tür. Nun musste er ebenfalls weichen, die erste Nacht verbrachte er mit seinen Leuten am Strand. Am nächsten Tag konnte er mit viel Glück eine Hotelunterkunft ergattern.

Selbst die Experten seien erstaunt gewesen, wiederholt er. Sie hätten den Ausbruch, wenn schon, weiter südlich erwartet.

 

Unendlicher Strom

Mittlerweile dürfte Stefan Müller zwar ins Haus zurückkehren, die unmittelbare Gefahr ist gebannt. Dennoch zieht er es vor, weiterhin auswärts zu leben. Statt im Hotel wohnt er nun in einer kleinen Unterkunft, die sonst an Feriengäste vermietet wird – in sicherer Distanz zum Vulkan, denn der Ausbruch ist längst nicht ausgestanden. Noch immer tritt viel Lava aus, der Strom wird wohl noch mehrere Wochen nicht versiegen.

Über dem Haus regnet es deshalb nach wie vor Asche. Im Moment allerdings fallen eher kleine Lavastücke vom Himmel, alles wird mit einer zentimeterdicken Schicht überzogen. «Wir müssen dauernd putzen, sind deshalb regelmässig vor Ort», erzählt Stefan Müller. Nur zu schnell blieben sonst grössere Schäden zurück.

Begleitet wird die Sisyphusarbeit von einem permanenten, unheimlichen Grollen. «Es tönt wie das Rauschen eines Bunsenbrenners, nur viel lauter», umschreibt er den Lärm des Vulkans, der ununterbrochen arbeitet.

 

Grosse Solidarität

Stefan Müller hat Glück im Unglück, denn andere haben alles verloren. Über 1000 Gebäude und gar eine Kirche sind nicht einmal zwei Kilometer von ihm entfernt von der Lava zermalmt oder regelrecht verschluckt worden, wie er sagt. Teilweise erreicht der erstarrte Strom eine Höhe von 15 Metern.

Strassen und andere Infrastrukturen seien unterbrochen, fährt er fort. Getroffen habe es zum Beispiel die Wasserleitung zu grossen Bananenplantagen, wo nun Existenzen auf dem Spiel stünden. Mit dem behelfsmässigen Einsatz von entsalztem Meerwasser versuche man, die bewässerungsintensive Kultur zu retten.

Persönlich kennt Stefan Müller niemanden, den es derart hart getroffen hat. Umso eindrücklicher erlebt er dafür die Solidarität in der Bevölkerung. Wer sein Obdach verloren hat, kommt oft bei Verwandten und Bekannten unter. Auch er, der Auswärtige, bekommt das Mitgefühl zu spüren. «Wir zahlen nichts für unsere Unterkunft.»

Trotz alledem – für Stefan Müller kommt der Vulkanausbruch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Weil das Ferienhaus mit dem dazugehörenden Umschwung im Alter zunehmend zur Last wird, hat er sich schon länger zum Verkauf durchgerungen. Dass es nun im weiteren Gefahrenkreis des Vulkans steht, wird der Suche nach einem Käufer kaum förderlich sein. Noch ist Stefan Müller zuversichtlich, zumal er einen ernsthaften Interessenten an der Angel hat. Sein Makler hat ihm auch vor Augen geführt, dass es einen Markt gibt. Viele Betroffene suchen nun in der Nähe ihres zerstörten Daheims eine neue Bleibe.

Der Abschied von La Palma naht also. Wie sich dazu seine Liebe zur Insel verhält? Stefan Müller ist da offen. «Sie hat unter den Ereignissen der letzten Wochen arg gelitten.»

Stichwörter: Kanaren, Biel, Ausbruch, Vulkan

Nachrichten zu Biel »