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Bieler Wahlen

«Wir brauchen einen Effort, 
um den Sitz zu halten»

Die FDP will den Gemeinderatssitz von Silvia Steidle mit drei Parteigrössen und zwei Unbekannten verteidigen. 
Die Freisinnigen wissen: Ohne Verbündete ist das ein schwieriges Unterfangen.

Will für ihr Engagement für Biel wiedergewählt werden: Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR). Bild: Peter Samuel Jaggi

Lino Schaeren

Der Bieler Freisinn hat gestern seine Liste für die Gemeinderatswahlen vom 27. September präsentiert. Schon länger bekannt ist, dass diese von der Bisherigen Silvia Steidle (PRR) angeführt wird. Jetzt ist auch klar, dass der 47-Jährigen drei Männer und eine Frau bei der Mission Wiederwahl zur Seite gestellt werden: Es handelt sich dabei um Bernhard Leuenberger (64), Natasha Pittet (52), Roman Eggimann (41) und Michel Tschank (27).

Mit FDP-Fraktionspräsident Leuenberger und der langjährigen PRR-Stadträtin Pittet sind zwar zwei politisch profilierte Kandidaturen dabei. Trotzdem setzt der Freisinn mit seiner Liste nicht auf die grösstmögliche Parteiprominenz. Eggimann hat zwar viel Politikerfahrung, sass acht Jahre im Lysser Parlament und führte die FDP-Fraktion an. In Biel ist er aber in Politkreisen noch kaum bekannt. Tschank tritt als Vertreter der Jungfreisinnigen Biel-Seeland an, und was für Eggimann gilt, trifft auch auf den Welsch-Jungfreisinnigen zu: In der Bieler Politik hat er noch kaum Spuren hinterlassen. Für FDP-Parteipräsident und Wahlkampfleiter Reto Lindegger allerdings keine Schwäche: «Wir präsentieren eine vielfältige Liste, sowohl was Alter, Geschlecht und Sprache betrifft. Aber auch in Bezug auf die Themen, welche die Kandidierenden abdecken.»

Die FDP hatte keine Wahl

Dass der Bieler Freisinn alleine auf einer Liste zu den Regierungswahlen antritt, hat es seit 2008 nicht mehr gegeben. 2012 und 2016 konnte der Freisinn auf ein breites bürgerliches Bündnis vertrauen, das Silvia Steidle den Gemeinderatssitz komfortabel sicherte. Doch dieses Jahr ist alles anders: Die einstigen Bündnispartner haben sich zu einer Mitte-Liste zusammengeschlossen und sind plötzlich zur ärgsten Konkurrenz für die FDP geworden. Wahlkampfmanager Lindegger stellte die Ausgangslage bei der gestrigen Präsentation der FDP-Liste dennoch positiv dar: «Wir haben entschieden, alleine anzutreten, um uns stärker zu profilieren.» Wobei die Liberalen eben eigentlich gar keine echte Wahl mehr hatten.

Zwar gab es einen vorsichtigen Kontakt mit der SVP, der PRR machte dann aber öffentlich bekannt, für eine Zusammenarbeit mit der Rechtspartei nicht zur Verfügung zu stehen. Erste Gespräche fanden auch mit der Mitte statt, wobei die GLP bereits früh eigene Ambitionen anmeldete. Das überraschte nach dem Erfolg der Grünliberalen bei den Nationalratswahlen im vergangenen Herbst kaum. Hinzu kam, dass mit dem gemeinsamen Ergebnis von 2016 eigentlich niemand zufrieden war: Da erstmals mit GLP-Beteiligung mit hohen Zielen angetreten, landete die bürgerliche Liste gar noch ein schlechteres Ergebnis als 2012. Die Gründe für das enttäuschende Abschneiden suchten die Verantwortlichen damals bei der grossen Parteipalette im Bündnis: Man habe in der Kampagne zu viele Kompromisse eingehen müssen. Mit genau dieser Argumentation unterstreicht der Freisinn jetzt in diesem Wahljahr auch die Vorteile eines Alleingangs. «Alleine können wir uns besser profilieren», sagt Lindegger, «dies auch mit einer längerfristigen Perspektive.»

Knappes Rennen

Trotzdem wissen die Liberalen natürlich auch um die Risiken des Alleingangs. Ob es dem Freisinn ohne Unterstützung zu einem sicheren Regierungsmandat reicht, ist unklar. Rund 17 Prozent Wähleranteil wäre dafür nötig. Nimmt man die Nationalratswahlen als Gradmesser, könnte es schwierig werden: Bei diesen verlor die FDP im letzten Jahr gegenüber 2015 in Biel 1,5 Prozentpunkte. Zwar ist die Ausgangslage bei den kommunalen Wahlen nicht dieselbe, da der Welschfreisinn hier viel mehr Gewicht hat. Setzt sich aber die Tendenz der Verluste bei der FDP und der Aufschwung bei der GLP fort , muss Steidle zittern: Bei den Stadtratswahlen 2016 kamen FDP und PRR zusammen auf einen Wähleranteil von 16 Prozent. GLP, BDP, EVP und CVP, die sich nun für die Gemeinderatswahlen zur Mitte-Liste zusammengetan haben, erreichten bei der Parlamentswahl zusammen 14 Prozent (wobei die BDP/CVP-Liste auch noch von der inzwischen aufgelösten BVP mitgetragen wurde). Lindegger weiss deshalb: «Wir brauchen einen Effort, um unseren Sitz zu halten. Aber es ist möglich.»

Dabei sind die Liberalen vor allem auf Zugpferd Steidle angewiesen. Diese will das tun, was sie die letzten Jahre erfolgreich gemacht hat: Sich als Kämpferin für die Interessen der Stadt präsentieren. So war Steidle schweizweit in den Medien präsent, als sie sich als bürgerliche Finanzdirektorin im Abstimmungskampf um die Unternehmenssteuerreform III vehement gegen tiefere Unternehmenssteuern engagiert und damit für eine eigentlich linke Sache geweibelt hat – weil sie ein Loch in der Stadtkasse befürchtete. «Ich habe die letzten Jahre sehr parteidifferenziert politisiert, immer zum Wohle der Stadt», sagt Steidle dazu. Den Kampf um die Unternehmenssteuern haben die Städte bekanntlich gewonnen. Ihrem Engagement in der Öffentlichkeit gegen die USR III hat Steidle wohl auch das Präsidium der Finanzdirektorenkonferenz der Städte eingebracht, das sie heute bekleidet. «Gerade jetzt mit Corona, wo eine Finanzkrise auch auf die Städte zukommt, ist das eine der wichtigsten Positionen der Schweiz», sagt sie.

Deshalb sei es für Biel ungemein wichtig, dass sie in diesem Amt bleibe, da Biel als nicht ständiges Mitglied der Konferenz seinen Sitz ansonsten verlieren könnte. Das wiederum bedingt, dass Steidle Bieler Finanzdirektorin bleibt – und eine Kandidatur um das Stadtpräsidium deshalb nicht infrage kommt, was ihr zusätzliche Aufmerksamkeit im Wahlkampf eingebracht hätte. «Ich habe mir das gründlich überlegt», sagt sie. «Das Stadtpräsidium ist wichtig. Der Sitz in der Finanzdirektorenkonferenz ist für Biel aber mindestens genauso wichtig. Wir müssen verhindern, dass die Gemeinden und Städte als letztes Glied in der Kette von den Folgen der Krise besonders stark getroffen werden.»

Nicht nur die Finanzen

Steidle will sich aber auch nicht nur als Hüterin der Stadtkasse verstanden wissen. Sie verweist auf ihren Einsatz in der Funktion ihres Amts für die neue Schulinformatik, für das Reglement zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, für das Theater, für das X-Project und das Autonome Jugendzentrum (AJZ).

Ebenso wenig will die FDP als reine Wirtschaftspartei wahrgenommen werden. Sie will im Abstimmungskampf zwar einen Schwerpunkt beim lokalen Gewerbe setzen, will weniger Vorgaben und Verbote. Gleichzeitig will sie aber auch mit den vier Kandidierenden neben Steidle ein möglichst breites Themenspektrum abdecken, um Stimmen zu generieren. Dabei haben alle vier, Leuenberger, Pittet, Eggimann und Tschank, gestern offen kommuniziert: Ambitionen auf einen Gemeinderatssitz hegen sie nicht. Sie treten an, um Steidle zu unterstützen, ihr Mandat zu behalten. Nur das zählt bei dieser schwierigen Ausgangslage.

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