
Hannah Frei
Sie sind um die 60 Jahre alt, alles Frauen, sie arbeiten seit 15, seit 20, manche sogar seit 30 Jahren in der Klinik Linde in Biel, reinigen die Operationssäle und alles drum herum. Und sie sind fassungslos. «Wir fühlen uns erniedrigt», sagt eine von ihnen beim Treffen gestern Morgen in den Räumen der Gewerkschaft Unia in Biel.
Kurz vor Weihnachten erhielten die acht Frauen die Kündigung. Ein Bereich der Reinigung werde ausgelagert, und zwar an die Firma Vebego AG, wurde ihnen an einer Mitarbeiterinneninformation erklärt. Es gebe neue Verträge – jedoch mit deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen. Eine der Frauen soll für ihr 90-Prozent-Pensum ab April über 900 Franken weniger verdienen als bisher. Und das für dieselbe Arbeit. Die entsprechenden Arbeitsverträge liegen dem BT vor. Bei den anderen Frauen sieht es ähnlich aus: 500 Franken weniger, 600 Franken weniger, 800 Franken weniger, bei einem Pensum von unter 100 Prozent.
In der Linde zuhause
Diese Lohnkürzung sehen die Frauen klar als Abwertung ihrer Arbeit. «Die Klinik Linde war für mich ein Zuhause, hier habe ich mein halbes Leben verbracht und viel geleistet. Nun werden wir einfach im Stich gelassen», sagt eine der Betroffenen. Das wollen sie nicht auf sich sitzen lassen: Sie wendeten sich an die Gewerkschaft Unia Biel-Seeland/Solothurn. Gestern marschierte diese vor der Klinik Linde auf, mit Plakaten und Unterschriftenbögen. Sie verlangen von der Hirslanden Klinik, sich mit den Betroffenen und der Unia an einen Tisch zu setzen und einen Sozialplan auszuarbeiten. «Es geht um das soziale Gewissen», sagt Unia-Regionalsekretär Alain Zahler. «Dieses Vorgehen ist eine Sauerei.»
Bei den Untersten sparen
Rechtlich könne man der Privatklinik nichts vorwerfen, sagt Zahler. Kündigungsgrund ist die Umstrukturierung, die Kündigungsfrist von drei Monaten wurde eingehalten. «Aber das Unternehmen spart bei denen, die am wenigsten haben. Und das während einer Pandemie», sagt Zahler.
Ende Januar hat er im Namen der Betroffenen schriftlich um eine Verhandlung über einen Sozialplan gebeten. Die Hirslanden Klinik Linde lehnte jedoch «dankend ab». Die beiden Schreiben liegen dem BT ebenfalls vor. Die Auslagerung der Reinigung in einem Spital gehöre zum Standard und sei an 15 der 17 Kliniken der Hirslanden-Gruppe bereits umgesetzt worden. «Dass dieser Schritt schmerzhaft ist für die konkret betroffenen Mitarbeitenden, dafür haben wir viel Verständnis», heisst es weiter.
Die Klinik treffe «freiwillig» zwei Massnahmen: Zum einen, in dem sie eine Anschlusslösung für die Betroffenen organisiere, in diesem Falle eben bei der Firma Vebego, zum anderen mit einer Pauschalen von 400 Franken pro Monat pro Mitarbeitende während sechs Monaten. Damit zeige die Privatklinik «viel Entgegenkommen und Kulanz».
Vier Angestellte der Wäscherei hatten da weniger Glück. Ihnen wurde ebenfalls der Vertrag auf Ende März gekündigt, jedoch ohne Anschlusslösung. Eine von ihnen, 61 Jahre alt, 20 Dienstjahre, hat bereits einen Termin beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV). «Ich rechne nicht damit, wieder eine Stelle zu finden», sagt sie.
Für Alain Zahler und die Betroffenen ist das Ganze ein Affront. Die Kündigungen kamen für die betroffenen Frauen plötzlich. «Es war ein Schock», sagen mehrere von ihnen. Zudem sei ihnen an der ersten Informationsveranstaltung versichert worden, dass die 400 Franken nicht nur sechs Monate, sondern ein Jahr lang gezahlt würden. Dies stellte die Hirslanden Klinik Linde in einem Schreiben vom 23. Dezember dann aber umgehend richtig – respektive, korrigierte es.
Zudem sei ihnen versprochen worden, dass zeitgleich zur Kündigung des alten Vertrags der neue unterzeichnet werden könne. Doch der neue Vertrag habe auf sich warten lassen. Bis am Montag haben die acht Frauen Zeit, zu unterschreiben. Eine von ihnen hat bereits unterschrieben. Die anderen weigern sich. Beim neuen Lohn bliebe nach den Abzügen kaum mehr als das, was sie als Arbeitslosengeld erhalten würden, sagt eine von ihnen. «Ich kann froh sein, dass mein Mann arbeitet. Aber ich habe lange dafür gekämpft, nicht abhängig sein zu müssen», sagt sie. Das könnte sich nun ändern. «Wären es hundert oder zweihundert Franken weniger, könnten wir damit leben. Aber so nicht», sagt sie.
Streik ist denkbar
Die acht Frauen aus der OP-Reinigung arbeiten überwiegend abends, manche bis spät. Falle jemand krankheitshalber aus, springe man ein, hänge ein paar Stunden an die Schicht an. Arbeit lasse keine von ihnen liegen. «Wir sind ein starkes Team und leisten viel», sagt sie. So kurz vor der Pensionierung auf Arbeitslosengeld angewiesen zu sein, sei für sie alle keine Option. «Wir wollen arbeiten», sagt eine. Die anderen nicken.
Aber die Frauen fürchten sich auch vor Repression. Davor, am Ende ohne Vertrag dazustehen. Das ist ein Grund dafür, weshalb sie nicht mit Namen und Bild in der Zeitung erscheinen möchten – dem BT sind die Namen bekannt. Sie setzen nun alle Hoffnungen in die Unterschriftensammlung der Unia. Sollte die Hirslanden Klinik Linde zu keinen Diskussionen mehr bereit sein, werde man weitere Schritte prüfen, sagt Zahler. Denkbar sei unter anderem, die Petition auszuweiten oder in einem weiteren Schritt Streik-Protestpausen einzulegen. Und im schlimmsten Fall würde die Unia zur Überbrückung auch lohntechnisch aushelfen, so Zahler.
Dürftige Stellungnahme
Die Stellungnahme der Hirslanden Klinik Linde fällt dürftig aus: Schriftlich erklärt die Direktorin Stefanie Ruckstuhl, dass ein Grossteil des Reinigungspersonals weiterhin bei der Klinik Linde angestellt bleibe. Mit den acht Betroffenen stehe man zudem seit Anfang Dezember «in regem Austausch». Von der gestrigen Unia-Aktion sei man überrascht, zumal sie mit der Unia in brieflichem Austausch stehe.
Dass man für die vier Betroffenen aus der Wäscherei «trotz Bemühungen» keine Folgelösung gefunden habe, bedauere man. Auch hier sei die Auslagerung branchenüblich, weshalb sich die Klinik Linde entschieden habe, die Spitalwäsche und die Berufskleider durch externe Anbieter aufzubereiten. Dies werde in zwei Schritten erfolgen. Gemacht ist nun der erste. Ob die Protestaktion der Unia Wirkung zeigt, beantwortet Stefanie Ruckstuhl nicht.