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Erich Fehr

«Wir haben hier ein klassisches Marktversagen»

Im grossen Gespräch über den Bieler Bilinguismus verteidigt der Stadtpräsident das Vorhaben des Gemeinderates, eine Pflicht für zweisprachige Werbung einzuführen, und kündigt ein striktes Regelwerk an, das kaum Platz für Ausnahmen lässt. Zudem erklärt er, wieso es der Verwaltung an frankophonen Kaderleuten fehlt und warum Romands Berndeutsch lernen sollten.

Stadtpräsident Erich Fehr ist überzeugt, dass man in Biel keinen Sprachkurs zu besuchen braucht. Besser sei irgendeine Form von gesellschaftlichem Umgang. Bild: Matthias

Interview: Parzival Meister

Erich Fehr, wenn Sie in Biel auf jemanden treffen, der Französisch spricht: Wie unterhalten Sie sich mit dieser Person?
Erich Fehr: Ich habe in meinem Kopf für alle Leute, die ich kenne, eine Sprache hinterlegt. Und in diese Sprache wechsle ich dann. Wenn mein Gegenüber ein Romand ist, spreche ich also Französisch. Das ist eine alte Angewohnheit von mir. Ich tue dies, weil ich problemlos die Sprache wechseln kann.

In Biel streicht man gerne hervor, dass hier gemischte Dialoge möglich sind: Also dass jeder in seiner Sprache spricht und man sich trotzdem versteht. Haben Sie das Gefühl, solche Deutsch-Französisch-Konversationen sind verloren gegangen?
Nein. Mit Ur-Bielern, also Menschen, die hier aufgewachsen sind, kann man so problemlos eine Konversation führen. Ich selber habe das eher selten gemacht, weil ich schon als Junge gut Französisch gesprochen habe. Aber ich treffe mich regelmässig mit Kollegen zum Kaffee. Da kommt es vor, dass wir zuerst alle Französisch sprechen, plötzlich sagt jemand etwas auf Deutsch, und dann geht die Konversation einfach in dieser Sprache weiter.

Wer wechselt öfter in die Sprache des Gegenübers: Der Deutschsprachige ins Französische oder umgekehrt?
Ganz klar der Deutschsprachige.

Wieso, glauben Sie, ist das so?
Für Romands ist der Wechsel wegen der Mundart und des Hochdeutschen anspruchsvoller. Zudem sind sie als Minderheit darauf bedacht, ihre Sprache in Wert zu setzen, sie öfters zu brauchen und damit zu schützen. Das muss man einer Minderheit zugestehen. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür – mal abgesehen von meinen alten Gepflogenheiten –, weshalb ich bei Romands ins Französische wechsle. Es ist eine Form des Respekts gegenüber einer Minderheit …

… die je länger je mehr keine Minderheit mehr ist. In Biel haben wir heute einen Anteil an Frankophonen von 43 Prozent.
Das stimmt. Die Parität rückt näher. Früher war das ganz anders. Und auch in einem anderen Punkt hat sich einiges verändert: In den 50er-Jahren etwa gab es in Biel nur die Volksschulen in Französisch. Es gab nicht mal einen frankophonen Gymer. Romands, die weiterführende Schulen besuchen wollten, mussten entweder nach Porrentruy oder sich für ein deutschsprachiges Angebot in Biel entscheiden. 90 Prozent haben sich für die Variante in Deutsch entschieden und somit mit Deutschschweizern die Schulbank gedrückt. Dadurch haben sie auch Berndeutsch gelernt. Heute ist das anders. Die Romands lernen in der Schule die deutsche Schriftsprache, die Mundart sind sie sich nicht gewohnt. Ich sehe das auch im Stadtrat: Die junge Generation spricht oftmals Hochdeutsch. Aber Pierre Ogi zum Beispiel, der zur älteren Generation von Romands gehört, regt sich darüber auf, wenn Hochdeutsch gesprochen wird. Denn er sagt, seine Interpretation von Deutsch sei Schweizerdeutsch. Er wurde halt durch die Bieler Gesellschaft sozialisiert.

Müssten Romands also Berndeutsch lernen, damit die Bieler Zweisprachigkeit weiter bestehen kann?
Berndeutsch zu verstehen, wäre wichtig, ja. Ein erster Schritt, dies zu fördern, ist die Filière Bilingue (zweisprachige Schulklassen in Biel, Anm. d. Red.). Das Projekt hat jetzt erst die Oberstufe erreicht, es wäre also noch zu früh, um wissenschaftliche Erkenntnisse daraus zu ziehen. Aber zweisprachige Klassen bedeuten ja auch, dass sich die Schüler auf dem Pausenhof unterhalten und die Frankophonen in Kontakt mit dem Berndeutschen kommen. Denn: Wo habe ich Französisch gelernt? Im Sandkasten und vor allem als Junior beim EHC Biel.

Es braucht also weder Mundart-Lektionen in der Volksschule noch sonstige Kurse, sondern vielmehr persönlichen Austausch zwischen Romands und Deutschsprachigen, um den Röstigraben zu überwinden?
Absolut. Es braucht irgendeine Form von gesellschaftlichem Umgang. Deshalb bin ich froh, dass es in Biel praktisch kein sprachgetrenntes Vereinsleben gibt.

Es gibt zum Beispiel den FC Aurore, also ein Romand-Fussballklub.
In der Tendenz ist dies ein Romand-Klub, ja, aber dort spielen trotzdem Deutschsprachige. Im Eishockey gibt es nur einen Klub. Auch in anderen Sportarten gibt es keine Teams, die nach Sprachen getrennt sind. Das alles hilft enorm. Aber nicht nur im Sport, auch im kulturellen Bereich braucht es diese Durchmischung.

Wenn immer möglich, sollte es in Biel also keine Sprachtrennung geben. Nun hat Ihre Partei, die SP, seit zwei Jahren keine zweisprachige Fraktion mehr. Die Frankophonen haben sich von den Deutschweizern losgelöst. Das wäre in Ihrem Sinne also als kontraproduktiv für den Bilinguismus zu werten?
Ja und nein. Es ist sicher so, dass der Austausch in der Fraktion wertvoll war. Gleichzeitig ist es für den Stadtrat ein Mehrwert, dass sich die SP auf Deutsch und Französisch äussern kann. Dasselbe gilt übrigens für die Freisinnigen.

Auch beim Freisinn kam es zu einer Fraktionsteilung in ein deutsch- und französischsprechendes Lager. Und seither arbeiten die Romands überparteilich öfters zusammen. Also Romands gegen Deutschschweizer quasi.
Es gab ein paar Ereignisse in den letzten Jahren, die dazu geführt haben, dass die Romands überparteilich zusammengearbeitet haben. Der Kampf gegen die einsprachigen Autobahnschilder ist das wohl bekannteste Beispiel. Aber solche Zusammenschlüsse sind thematisch bedingt. Parlamentarier sind am Ende doch mehr durch ihre politische Gesinnung als durch ihre Sprache geprägt. Es ist aber tatsächlich so, dass das frankophone Element in den letzten Jahren stärker in den Vordergrund gerückt ist.

Sie meinen, dass die Abspaltungen dazu geführt haben, dass sich Romands öfters überparteilich zusammentun, um sich für Ihre Sprache einzusetzen?
Nein, es ist eher so, dass die Abspaltungen eine Folge davon waren, dass sich Romands mehr für ihre Sprache einsetzen müssen.

Und was ist die Ursache dafür?
Eigentlich ist es unlogisch, dass die Sprachenfrage bei den Romands gerade in dieser Zeit eine wichtigere Rolle zu spielen beginnt, in der der Anteil Romands in der Bevölkerung zunimmt. Dahinter stecken wohl eher nationale Ereignisse. Ich erinnere zum Beispiel an die Diskussion um die Einführung des Frühfranzösisch. Ich glaube, viele Thurgauer und andere Ostschweizer waren sich gar nicht bewusst, was sie mit ihren Voten bei den Romands als Minderheit ausgelöst haben. Sie vermittelten die Botschaft, dass es nicht wichtig sei, die zweite Landessprache zu verstehen. Das machte den Romands Angst. Auch die Bearbeitung der letzten Elemente in der Jurafrage und der potenzielle Kantonswechsel von Moutier ist ein Beispiel dafür. Der Romand-Anteil im Kanton würde um rund zehn Prozent sinken. Da machen sich die Romands natürlich Gedanken, was das für sie bedeutet.

Wenn solche Ereignisse die Ursache waren: Was sind Ihrer Meinung nach die Folgen der Abspaltung? Tut sich damit der Röstigraben weiter auf?
Ich sehe keine Öffnung des Röstigrabens in Biel. Diese Ereignisse haben einfach die Bedürfnisse der Romands stärker in den Vordergrund gestellt. Für das Zusammenleben der beiden Sprachgruppen in Biel sind zwei Dinge sehr wichtig: Zum einen muss jeder die Sprache des anderen verstehen. Zum anderen müssen die Romands in den verschiedenen Organisationen und Ämtern gleichberechtigt vertreten sein. Nehmen wir als Beispiel die Stadtverwaltung: Es reicht nicht, einen Deutschschweizer einzustellen, der gut Französisch spricht, weil sich nicht nur die Sprache, sondern auch die Mentalität dieser beiden Gruppen unterscheidet.

Bleiben wir noch kurz bei der Fraktionsspaltung: Pflegen Sie als Mitglied einer Deutschschweizer SP-Sektion noch guten Kontakt zu den Romands?
Ja, sicher. Wissen Sie, bei der Abspaltung haben noch andere Elemente mitgespielt, die mit der Sprache wenig zu tun haben.

Ein Sprachproblem haben Sie aber auf der Stadtverwaltung. Wie Sie gesagt haben, ist eine ausgeglichene Vertretung beider Sprachgruppen wichtig. Auf 43 Prozent Romands kommen Sie hier nicht, oder?
Der Anteil Romands auf der Verwaltung beträgt rund 39 Prozent – mit einem klaren Defizit beim Kader.

Sie hatten Direktionen, in denen niemand Frankophones eine höhere Kaderposition besetzte. Wo stehen Sie heute?
Beim höheren Kader bewegt sich der Anteil Romands circa zwischen 10 und 12 Prozent. Doch die Verteilung ist je nach Direktion sehr unterschiedlich.

Das ist sehr tief.
Ja. Aber wir haben reagiert und diesbezüglich ein Massnahmenpaket zusammengestellt. Dieses werden wir am 25. April präsentieren.

Bereits Ende 2014, als die Stadt mit dem Label für Zweisprachigkeit ausgezeichnet wurde, war das massive Ungleichgewicht im Kader ein Thema. Da ist viel Zeit verstrichen, bis man ein Massnahmenpaket präsentieren kann.
Ich kann jetzt nicht alles vorwegnehmen, was wir am 25. April erzählen, aber es gab für uns grosse Herausforderungen, die wir angehen mussten. Ein Problem ist, dass unser höheres Kader nicht sehr gross ist und wir sicher nicht einfach Leute entlassen, um sie mit Personen einer anderen Muttersprache zu ersetzen. Zudem mussten wir einen Weg finden, bei dem wir nicht einfach von oben verordnen, sondern die Betroffenen zu Beteiligten machen – und das braucht seine Zeit.

Da gibt es aber einen Widerspruch: Ende 2017 wurden fünf neue stellvertretende Generalsekretäre eingestellt. Alle fünf haben die Muttersprache Deutsch. Es wären also keine Entlassungen nötig gewesen, um ein besseres Gleichgewicht zu schaffen.
Die Ausgangslage war so, dass fünf gleiche Stellen zu besetzen waren und jede Direktion aus ihrer Optik eine Entscheidung getroffen hat, ohne das Sprachenthema übergeordnet zu betrachten. Aber ich verrate jetzt noch etwas, auf das wir am 25. April zu sprechen kommen werden: Wir haben ein Problem beim Rekrutierungsverfahren. Wie kommen wir an die guten frankophonen Kandidaten heran? Wie können wir dafür sorgen, dass sich Romands trauen, sich auf einen Posten in einer zweisprachigen Verwaltung zu bewerben?

Sie wollen sagen: Es gibt mehr Deutschschweizer, die das Französische beherrschen, als umgekehrt?
Ich würde es frecher formulieren: Es gibt mehr Deutschschweizer, die glauben, das Französische genügend gut zu beherrschen, als umgekehrt.

Jüngst monierte Stadtrat Pascal Bord (PRR) in einem Vorstoss, dass die Bieler Verwaltung nicht immer in der Lage sei, die Bevölkerung in beiden Sprachen zu bedienen …
… also diesbezüglich habe ich eine andere Wahrnehmung. Zudem ist der Vorstoss nicht hilfreich, weil er verallgemeinert. Denn der Auftrag an die Verwaltung ist völlig klar: Jede Bürgerin und jeder Bürger wird in seiner Sprache bedient. Das klappt in 97 bis 98 Prozent der Fälle. Klar kann es Ausnahmen geben. Und vielleicht können diese plausibel begründet werden. Aber dazu müssten wir über konkrete Vorfälle reden. Dann wüssten wir auch, wo wir intervenieren können.

Lassen Sie in den Verwaltungsstellen regelmässig prüfen, ob das mit der zweisprachigen Bedienung funktioniert?
Nein, höchstens punktuell, aber nicht generell. Ich glaube auch nicht, dass das nötig ist.

Während es auf der Verwaltung offenbar nur schleppend vorangeht, im Kader ein Sprachengleichgewicht zu schaffen, wollen Sie im öffentlichen Raum rigoros durchgreifen: Der Gemeinderat arbeitet ein Reglement aus, das Aussenwerbung in Biel künftig zwingend zweisprachig sein muss. Warum greifen Sie in der Verwaltung nicht so hart durch?
Jetzt warten Sie doch erstmal ab, was wir am 25. April für ein Massnahmenpaket vorstellen werden. Zudem muss man hier unterscheiden: Die Härte bei den Reklamen ist nötig, weil es mit der Freiwilligkeit nicht funktioniert. Denken Sie zum Beispiel an die Grossverteiler. Oder Unternehmen wie zum Beispiel die Swisscom. Die sind in der ganzen Schweiz tätig und produzieren Plakate in allen Landessprachen. Warum schaffen es die französischsprachigen Plakate einfach nicht nach Biel? Wir wollen niemanden schikanieren, aber wir erwarten, dass sich im Werbemarkt etwas bewegt. Die nötigen Instrumente, also die zweisprachigen Plakate, wären ja schon vorhanden. Die müssen nicht extra für Biel produziert werden. Ich war neulich in der Migros. Da gibt es in den Regalen diese Schilder, die auf Aktionen hinweisen. Alles auf Deutsch! (Haut auf den Tisch). Warum gibt es diese Hinweise nicht in beiden Sprachen? Die Schilder würden ja bestehen. Wir haben hier ein klassisches Marktversagen, da muss der Staat einfach regulieren.

Roland Ehrler ist der Direktor des Schweizer Werbe-Auftraggeberverbandes. Im Interview mit dem BT hat er gesagt, dass sein Verband noch nie von der Stadt Biel auf diese Problematik aufmerksam gemacht wurde und er von ihrem Vorhaben aus der Zeitung erfahren hat.
Das erstaunt mich sehr. Vielleicht wurde sein Verband nicht angegangen. Aber mit den Grossverteilern haben die Diskussionen stattgefunden, da gibt es viele Briefe, die das belegen können. Zudem muss ich sagen, dass Herr Ehrler im Interview, dass er Ihnen gegeben hat, ja eigentlich nichts anderes macht, als unsere Position zu bestätigen. Was er erzählt, gibt uns recht.

Ach ja? Herr Ehrler bezeichnet Ihr Vorhaben als «unsinnig, unverhältnismässig, ja fast schon dumm», er sagt, Sie würden damit übers Ziel hinausschiessen und riskieren, dass die Unternehmen Biel in ihrer Werbeplanung weglassen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unternehmen das tun würden.

Und wenn doch: Wäre es Ihnen der Kampf für die Zweisprachigkeit wert, Einnahmen zu verlieren?
Ja, aber das wird nicht eintreffen. Ob mit oder ohne Regelung gibt es in Biel genau gleich viele potenzielle Kunden. Und die haben zunehmend Französisch als Muttersprache. Das sollte man bitte ernst nehmen.

Sie fühlen sich von Herrn Ehrler durch seine Aussage bestätigt, wonach es in Zürich, Basel oder Bern an der Erkenntnis fehle, dass die Französischsprechenden in Biel keine kleine Minderheit mehr sind?
Genau, das ist der Beweis für unsere Theorie. Was oft vergessen wird: Fribourg zum Beispiel ist nicht offiziell zweisprachig, Biel schon. Solche Finessen sind weder am Genfer- noch am Zürichsee bekannt. Jetzt ergreifen wir halt Massnahmen, um dies zu ändern.

Braucht es ein Verbot wirklich oder reicht schon die reine Androhung?
Das neue Regelwerk braucht es. Die Frage ist mehr, wie wir gegen Verstösse vorgehen werden. Sicher wird deswegen niemand ins Gefängnis gesteckt. (Lacht). Aber was wir hier tun, ist nicht nur ein PR-Gag. Wir wollen diese Massnahmen.

Betrachten wir konkrete Beispiele: Wenn jemand eine Podiumsdiskussion auf Deutsch veranstaltet, oder einen Anlass, der nur die französischsprachige Bevölkerung anspricht, wieso sollte man einen solchen Anlass zweisprachig bewerben?
Wir haben im Gemeinderat genau zu diesem Thema eine interessante Diskussion geführt. Es ging um die Frage, ob wir für monosprachliche Anlässe Ausnahmen schaffen sollen. Und unsere Antwort lautet Nein. Wir wollen keine Ausnahmen. Unser Ziel ist die Förderung der Zweisprachigkeit, wir wollen einen Austausch in der Bevölkerung, deshalb sollen auch bei solchen Anlässen beide Sprachgruppen angesprochen werden – einfach mit dem Hinweis, dass die Diskussionssprache Deutsch ist. Aber abholen soll man beide Gruppen.

Wenn man jemanden für einen Anlass gewinnen will, an dem auf Deutsch diskutiert wird, kann man davon ausgehen, dass sich nur diejenigen angesprochen fühlen, die sowieso Deutsch verstehen.
Es kann sein, dass ein Romand zwar Deutsch kann, das Plakat aber gar nicht liest, weil er sich davon nicht angesprochen fühlt. Wäre das Plakat aber zweisprachig gehalten, dann liest er es und sagt sich vielleicht, dass er da hingeht. Nur so setzt er sich überhaupt damit auseinander. Das ist unsere Überlegung dahinter.

Sie wollen die Zweisprachigkeits-Pflicht für Aussenwerbung also ohne Ausnahmefälle durchsetzen?
Der genaue Reglementstext ist noch nicht ausgearbeitet, aber ja, es ist die Idee, das möglichst breit durchzusetzen. Eben um gegenseitiges Interesse auch für monosprachliche Anlässe zu wecken. Bei den Romands ist das vielleicht ausgeprägter als bei den Deutschschweizern, aber wenn das Plakat nicht in ihrer Sprache ist, wird es von ihnen gar nicht beachtet.

Ein anderes Beispiel: Peach Weber wäre auf Deutschschweizer Tour und kommt mit seinem Mundart-Programm nach Biel. Wieso sollte er dann gezwungen werden, seine Plakate zweisprachig zu gestalten, mit dem Zusatzhinweis, dass auf der Bühne nur Aargauerdeutsch gesprochen wird?
Er muss ja sowieso Plakate für Biel drucken. Auf denen steht dann zum Beispiel: Freitag, 15. Februar, Kongresshaus Biel. Das wird dann nur ergänzt mit: Vendredi, 15 février, Palais des Congrès Bienne.

Und je nachdem braucht er eine Übersetzerin …
Jetzt übertreiben Sie aber. Wir reden hier von ganz einfachen Übersetzungen. Das sind Profis dahinter, die können das. Vor allem, wenn es nur um den Ort und das Datum geht.

Eben, man muss den Ort und das Datum übersetzen, obwohl es alle verstehen würden. Sehen Sie, dass das nicht verhältnismässig ist?
Nein, das sehe ich nicht.

Sie verfolgen mit dem Reglement einen übergeordneten Zweck: die Förderung der Zweisprachigkeit. Das mag aus dieser Perspektive richtig erscheinen. Aber Sie sehen doch ein, dass das nicht in jedem Fall Sinn macht?
Nein. Wieso sollte es keinen Sinn ergeben? Ort und Zeit kann man systematisch zweisprachig angeben. Das ist doch kein Problem. Auch ich schreibe bei Briefen systematisch Biel/Bienne.

Wie wäre es, wenn auf einem Plakat «opening time» statt «Türöffnung/Entrée» stehen würde? Damit würden ja beide Sprachgruppen von Biel gleich bedient?
Das geht gar nicht bei den Romands. Sie reagieren auf Anglizismen viel sensibler als wir Deutschschweizer. Ein Problem sind zum Beispiel auch diese ganzen «Sale»-Plakate. Der Romand spricht das wie «sale» aus, also dreckig.

Jetzt gehen Sie aber wirklich sehr weit.
Nein, warum kann man nicht einfach schreiben «Ausverkauf / Soldes»?

Filialen von grösseren Ladenketten erhalten von ihren Marketingabteilungen wohl einfach Schilder, auf denen «Sale» steht.
Mich stört dieses blöde «Sale». Warum muss es immer Englisch sein?

Die meisten verstehen es.
Ja, weil wir uns daran gewöhnt haben. Und trotzdem finde ich es schade, denn es dient nicht dem Erhalt der deutschen und französischen Sprache.

Was wollen Sie denn künftig tun: Das Polizeiinspektorat in die Nidaugasse und Bahnhofstrasse schicken, wenn irgendwo ein englisches Wort auf einem Plakat steht?
Für das Aufstellen solcher Strassenschilder braucht es sowieso eine Bewilligung. Und wenn man sich nicht an unsere Regeln hält, gibt es halt einfach keine Bewilligung.

Trotzdem: Das wird kompliziert.
Nein.

Ein anderes Beispiel: Künftig darf ein Lokal keine «Gala Night» mehr bewerben? Sondern nur noch eine «Gala-Nacht / Soirée de gala»?
Nein, wir werden ja nicht englische Wörter verbieten. Eine «Gala Night» ist als Marke erlaubt. Und auch wenn mir «Sale» nicht gefällt, wird es nicht verboten sein, dieses Wort als Marketingbegriff zu verwenden. Aber alle Zusatzinfos müssen in ausgeglichener Form in Deutsch und Französisch vorkommen.

Was wäre denn mit «le dimanche geschlossen»?
Das müsste man als kreatives Beispiel durchgehen lassen.

Unter dem Deckmantel der Kreativität wird man also doch willkürlich Ausnahmen schaffen?
Sie sind mit diesen Fragen ein halbes Jahr zu früh. Wir sind noch nicht bei den Ausführungsbestimmungen angekommen. Es geht ja auch nicht darum, mit juristischen Spitzfindigkeiten einen Sprachenkrieg zu führen. Es geht uns darum, dass allen Akteuren bewusst wird, dass Biel zweisprachig ist und sie ihre Werbung an beide Sprachgruppen adressieren müssen. Ich bin zudem überzeugt, dass über die Diskussion, die nun läuft, bereits eine Sensibilisierung stattfindet.

Hat eine fehlende Sensibilität für die Bieler Zweisprachigkeit dazu geführt, dass Biel keine zweisprachigen Autobahnschilder hat?
Ja, vor allem aber auch die Entwicklung der letzten 20 Jahre. Wenn Sie von Solothurn her kommen und im Osten von Biel die Autobahn verlassen, gibt es auch keine zweisprachigen Schilder. Meiner Meinung nach wurde das Beschilderungskonzept einfach so weitergezogen. Ich denke, da haben sich die Verantwortlichen einfach nicht viel überlegt. Da war kein böser Wille dahinter.

Dass aber Gemeinderat Cédric Némitz die Eröffnung des Ostasts genau deswegen boykottierte, wurde schon wahrgenommen?
Ja.

Hatte der Protest Wirkung?
In der ersten Phase hat es eher Unverständnis ausgelöst beim Bund. Sie waren der Meinung: Ihr habt eine so schöne Autobahn, warum diskutiert ihr über ein solches Detail? Inzwischen befinden wir uns aber auch da in einer Sensibilisierungsphase.

Und wie weit ist diese fortgeschritten?
Um das Dossier kümmert sich meine Kollegin Barbara Schwickert, sie kennt die Details. Ich denke aber, auf politischer Ebene ist das Verständnis mittlerweile da. In der Bundesverwaltung sind wir noch nicht so weit.

Wie wäre es, wenn die Stadt Biel einfach neue Autobahnschilder produzieren lässt und diese dann montiert?
Ich werde mich mit Händen und Füssen dagegen wehren, dass die Stadt Biel auch nur einen Franken für die zweisprachigen Schilder bezahlen wird. Wir sind offiziell eine zweisprachige Gemeinde. Wenn wir bezahlen würden, würde dies bedeuten, dass wir etwas wollen, dass uns nicht zusteht. Aber genau das steht uns zu. Wenn wir jetzt bezahlen würden, dann bezahlen wir künftig immer, wenn es um die Zweisprachigkeit geht. Und damit fangen wir gar nicht erst an.

Auch wenn Sie hier den Mehraufwand dem Bund zuweisen: Die Zweisprachigkeit verursacht auf der Stadtverwaltung Kosten und frisst Ressourcen. Nehmen Sie den Bilinguismus auch gelegentlich als Bürde wahr?
Wirklich nicht. Das ist Biel. On est comme ça. Ich kenne nichts anderes. Und ich habe noch nie einen Mitarbeiter sagen gehört: «Oh nein, eine Übersetzung.» Klar, manchmal dauert ein Prozess länger. Und ja, die Zweisprachigkeit kostet Ressourcen und Geld. Aber eine Bürde ist sie trotzdem nicht. Ohne dieses Element wäre Biel nicht mehr Biel, die Zweisprachigkeit ist Teil unserer DNA.

Wenn die Zweisprachigkeit so stark in der Bevölkerung verankert ist, sie Teil der Bieler DNA ist, würde sie sich dann nicht sowieso durchsetzen, ohne dass die Stadt regulierend eingreifen müsste?
Nein, wir müssen die Zweisprachigkeit politisch begleiten, sie in Wert setzen und eben manchmal steuernd eingreifen. Wir müssen sie pflegen.

Wie eine Ehe quasi?
Ja, das ist ein guter Vergleich. Wenn man jung und frisch verliebt ist, läuft alles von alleine. Aber später, wenn die Kinder da sind und der Alltag Einzug hält, muss man die Ehe pflegen. Wie die Zweisprachigkeit nimmt sie Zeit in Anspruch. Sie ist nicht einfach ein Selbstläufer.

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