Sie sind hier

Abo

Beziehungen

«Wir shoppen gerne zusammen»

Vor wenigen Jahren ging die 13-Jährige Fiorina gerne mit ihrer Mutter Katharina Rappazzo in den Tierpark. Heute kochen und backen sie zusammen – oder die Teenagerin dekoriert die Wohnung neu.

«Wir haben bewusst Biel als Wohnort gewählt»: Die 13-jährige Florina, ihre Mutter Katharina Rappazzo und Schäferhund Yami. Bild: Mattia Coda
  • Dossier

Deborah Balmer

Wer die Parterrewohnung der Familie Rappazzo im Bieler Gurzelenquartier betritt, dem springt als erstes Schäferhund Yami entgegen. Er bellt zwei Mal laut. «Er ist im Teenageralter», sagt Besitzerin Katharina Rappazzo entschuldigend, weist den Hund zurecht und bietet dem Besuch ein Glas Wasser an.

Der zweite Teenager des Hauses, Fiorina, kommt nun ebenfalls aus ihrem Zimmer in die grossräumige Küche geschlendert: Sie wird dieses Jahr 14 Jahre alt, geht in Biel in die siebte Klasse, hat viele Freundinnen und spielt Volleyball in einem Bieler Klub. Und sie isst gerne Pizza.

Mutter und Tochter setzen sich an den grossen Küchentisch. Sie verstehen sich gut, wie sie sagen. «Wir shoppen zum Beispiel gerne zusammen», sagt Fiorina und lächelt. Das Mädchen wirkt etwas zurückhaltend und doch selbstbewusst. Auch die Mutter lacht nun und sagt: Noch vor Kurzem sei sie mit ihrer Tochter gerne in den Tierpark gegangen, doch das interessiere diese heute natürlich nicht mehr. Jetzt kochen und backen sie dafür oft gerne gemeinsam. Oder Fiorina lässt sich von ihrer Mutter, eine Naturheilpraktikerin, massieren. «Sie trägt sich dafür von sich aus in meinen Kalender ein», sagt Katharina Rappazzo. Sie und ihr Mann, ein Architekt, haben vier Kinder, die drei älteren sind bereits ausgezogen, wohnen aber noch immer in der Nähe der Eltern. Und sie schauen regelmässig vorbei. Der Familienzusammenhalt ist gross. Fiorina ist die jüngste und ein Adoptivkind aus dem afrikanischen Tschad.

Waisenhaus in Afrika

Sechs Jahre lang haben Katharina Rappazzo und ihr Mann in Afrika zuerst mit Strassenkindern und dann in einem Waisenhaus gearbeitet. Eine unvergessene Zeit, die die Familie prägte. Immer noch denkt Katharina Rappazzo wie grün doch die Natur hier ist. Noch heute ist sie dankbar, wenn Wasser und Strom aus der Leitung kommen, auch wenn das nach einem Klischee klingt.

Tochter Fiorina kann sich hingegen nicht mehr an Afrika erinnern. Sie war wenige Monate alt, als ihre Familie mit ihr in die Schweiz kam. Katharina Rappazzo blättert in einem Fotoalbum. Zuvorderst sind Bilder zu sehen von einem Baby, das in einer Kartonschachtel liegt. «So wurde Fiorina damals im Waisenhaus ausgesetzt, sie war eben erst auf die Welt gekommen», sagt die Mutter. Weil im Babyhaus genau zu der Zeit eine Krankheit ausgebrochen war, nahm die Familie Rappazzo das Waisenkind auf. Nach zwei Wochen erfuhren sie, dass sie zur Adoption freigegeben wird. «Wir hatten sie längst ins Herz geschlossen, mussten nicht lange überlegen und haben sie sofort adoptiert. Es war so, als hätte Fiorina uns gefunden.»

Wie ihre Geschwister, die im Tschad die Schule besuchten, sollte auch Fiorina Französisch lernen. «Auch, weil sie vielleicht eines Tages in ihr Geburtsland zurückkehren will», sagt Katharina Rappazzo. Es sei mit ein Grund gewesen, wieso sich die Familie entschieden habe, nach Biel zu ziehen. In die weltoffene und tolerante Stadt.

Noch nie sei hier die Hautfarbe von Fiorina Thema gewesen. In ihrer Klasse habe es noch einen Jungen, der aus dem Kongo stamme. Besonders fühlt sie sich nicht: «Mein Aussehen spielt keine Rolle für meine Freundinnen und mich», sagt sie. Anders in ländlicheren Gegenden in der Schweiz: «Im Dorf meiner Grosseltern schauen mir die Leute manchmal nach, als wäre ich eine Ausserirdische», sagt das Mädchen. Und ihre Mutter erzählt, wie sie früher, als ihre Tochter Kleinkind war, abschätzige Blicke erhielt. Einmal wurde sie von einer fremden Frau angesprochen: «Sie haben also einen schwarzen Mann?» Es gebe bezüglich Rassismus noch einiges zu tun, findet Rappazzo. «Sobald wir an einem Ort sind, an dem es wenig Afrikaner gibt, fallen wir auf.» Die ganz besondere Geschichte habe sie aber eng mit ihrer Tochter verbunden.

«Nach Streit wird geredet»

So gut sich Mutter und Tochter verstehen, manchmal streiten sie auch. Dann kann es auch lauter werden. «Wir reden aber nach einem Streit immer darüber und verstehen uns wieder», sagt Rappazzo. Manchmal sei es auch ihre Tochter, die ihr direkt sage, wenn sie falsch reagiert habe. «Es gibt niemanden, der so ehrlich ist wie ein Teenager. Sie halten dir ständig einen Spiegel vor.» Viele Eltern würden in diesem Alter den guten Kontakt zu den Kindern verlieren, sie selber finde es aber eine sehr spannende Zeit.

Und wenn sie sich dann nach einer Meinungsverschiedenheit wieder verstehen, dekorieren sie zum Beispiel die Wohnung neu. So hatte Fiorina die Idee, das Sofa anders hinzustellen. Beide lieben es, mit dem Hund Yami zu spielen und mit ihm spazieren zu gehen. Er gehört zur sechsköpfigen Familie dazu.

Draussen vor dem Fenster tanzt die 13-jährige Fiorina jetzt zu Musik aus den Kopfhörern und filmt sich dabei. Ein ganz normaler Teenager halt.

Nachrichten zu Biel »