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Biel

Wird mit dieser Plakataktion Wahlkampf betrieben?

Mit einer Plakataktion setzt sich die Stadt derzeit gegen Homo- und Transfeindlichkeit ein. Auf den Plakaten ist unter anderem eine Politikerin im Wahlkampf zu sehen. Dies sorgt für Kritik.

SVP-Frau Sandra Schneider spricht sich auf einem Plakat am Guisanplatz gegen Homo- und Transphobie aus. Bild: Peter Samuel Jaggi
Deborah Balmer
 
55000 Franken – so viel gibt die Stadt Biel für eine laufende Kampagne für mehr Toleranz aus: Mit Plakataktionen, Sensibilisierung in Schulen, einer Beratungsstelle für Betroffene und Schulung von Personen in der Stadtverwaltung und der Kantonspolizei unternimmt der Gemeinderat gezielt etwas gegen Belästigung im öffentlichen Raum, im Nachtleben und am Arbeitsplatz. Keiner soll in Biel aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität diskriminiert werden. So will die Stadt mit der  Kampagne, die sich «Divers BielBienne» nennt, ein Zeichen gegen Homo- und Transfeindlichkeit setzen (das BT berichtete). 
 
Die acht Plakate an verschiedenen Plätzen in der Stadt fallen auf: Es sind unter anderen die Mountainbikerin Emilie Siegenthaler, der Tiktoker Naswyn, die Musikerin Caroline Alves – alles mehr oder weniger bekannte Bielerinnen und Bieler, die auf den Plakaten für ein tolerantes Biel ohne Hass für queere Menschen werben. So weit so gut. 
 
Nun stören sich aber einige Politiker daran, dass auf mehreren Plakaten die Bieler SVP-Stadträtin und Grossrätin Sandra Schneider zu sehen ist, die ebenfalls für mehr Toleranz spricht. Denn Schneider ist die einzige Botschafterin aus der Politik und eine, die sich aktuell im Wahlkampf für den bernischen Grossen Rat befindet und um jedes Fünkchen Aufmerksamkeit froh sein dürfte. Gibt SVP-Gemeinderat Beat Feurer, dessen Sozialdirektion hinter der Kampagne steht, also im schlimmsten Fall einer Parteikollegin mitten im Wahlkampf eine Plattform auf Kosten der Steuerzahlerinnen? 
 
Kritisch sieht es zumindest der Bieler FDP-Politiker Peter Bohnenblust, selber Kandidat bei den kantonalen Wahlen am 27. März. «Ich habe mit grossem Erstaunen und Unverständnis festgestellt, dass auf den acht Plakaten eine Person aus der Politik gezeigt wird. Sie wird sogar als SVP-Stadträtin und SVP-Grossrätin genannt. Da fehlt der Stadt tatsächlich das Fingerspitzengefühl, und es ist politisch nicht korrekt, weil derzeit der Wahlkampf läuft», sagt Bohnenblust. 
 
Der pensionierte Staatsanwalt fordert sogar, dass das Plakat mit Schneider ersetzt wird, obwohl er weiss, dass er rechtlich nichts dagegen unternehmen kann. 
 
Kritik der Grünen
 
Unterstützung erhält Bohnenblust vom Präsident der Grünen der Stadt, Stadtrat Stefan Rüber. Er sieht die Aktion ebenfalls kritisch: «Aus meiner Sicht ist es nicht korrekt, dass eine Politikerin während des Wahlkampfs diese Plattform erhält», sagt er und betont zugleich, wie gut und professionell er die Kampagne an sich findet. Und auch gegen Sandra Schneider habe man nichts, «Toleranz in diesem Bereich ist im gesamten Parteienspektrum wichtig», sagt er. Rüber ist aber überzeugt: «Wir von den Grünen hätten uns sicher nicht gewagt, Grossratskandidat Christoph Grupp während des Wahlkampfs auf diesen Plakaten zu zeigen.» 
 
Was sagt also Beat Feuer zu den Vorwürfen? Kurz zusammengefasst: Er findet sie nicht stichhaltig. Seine Argumentation: Der Start der Kampagne sei ursprünglich zu einem früheren Zeitpunkt vorgesehen gewesen. Dieser habe dann kurzfristig aufgrund pandemiebedingter Lieferschwierigkeiten bei den Druckereien um zwei Monate verschoben werden müssen. «Wir mussten zudem in letzter Minute noch die Druckerei wechseln, da die Qualität des Papiers nicht akzeptabel war.» 
 
In Folge dieser Umstände seien die Plakate nun vom 4. bis 25. Februar aufgestellt und nicht wie geplant Ende letzten Jahres. «Die unglückliche Konstellation wurde mir relativ spät bewusst», sagt er. «Wir haben in der Folge abgeklärt, ob eine weitere Verschiebung in den Spätfrühling möglich wäre. Leider hat sich gezeigt, dass dies nicht ohne grösseren finanziellen Schaden möglich gewesen wäre, weshalb wir uns für die Beibehaltung des aktuellen zeitlichen Vorgehens entschieden.» 
 
Feurer sagt weiter, es sei nicht so einfach, wie man es sich vielleicht vorstelle, in dieser Thematik Personen zu finden, die zur anzusprechenden Zielgruppe passen und bereit sind, mit Name und Gesicht dazu zu stehen. «Etliche Personen sagten zu, dann wieder ab», so Feurer, der davon ausgeht, dass eine SVP-Politikerin, die sich so exponiert, ein gewisses Risiko eingeht. 
 
«Was den Vorwurf der Plattform für Sandra Schneider anbelangt, so dürfte hinlänglich bekannt sein, dass gerade SVP-Wählerinnen und -Wähler mit der Thematik LGBTIQ+ in der Tendenz nicht unerhebliche Schwierigkeiten haben. Wenn sich Sandra Schneider also gerade während einer Wahlkampfzeit zu diesem Thema exponiert, dürfte dies zumindest als mutig, wenn nicht sogar als für sie riskant bezeichnet werden.»
 
Den Vorwurf mangelnden Fingerspitzengefühls weise er deshalb in aller Form zurück, sagt Feurer. Es fehle auch die Absicht seinerseits, eine Parteikollegin im Wahlkampf zu unterstützen, da nicht er es gewesen sei, der den betreffenden Namen ins Spiel gebracht habe. Dies hätten Fachleute getan, die aus fachlichen Gründen zur Überzeugung gelangt seien, dass Schneider gerade für einen Teil junger Menschen, der Schwierigkeiten mit der Thematik haben, eine geeignete Botschafterin sein könnte. 
 
Viele positive Reaktionen
 
Was sagt also Sandra Schneider selbst dazu? Erhält sie Reaktionen auf die laufende Plakataktion? «Ja, ich bekomme sehr viele positive Rückmeldungen», sagt sie. Die Kampagne sei im Gespräch, es sei ihr persönlich sehr wichtig gewesen, ein Zeichen gegen Homo- und Transphobie und allgemein Diskriminierung zu setzen. Gerade in einer offenen und multikulturellen Stadt sei dies wichtig. «Komplimente für die Aktion kamen auch aus dem linken Segment. Man war positiv überrascht, dass ich für die Aktion hinstehe», sagt Schneider.
 
Und bedeutet es für sie in gewisser Weise auch Wahlkampf? «Wenn, dann ist es ein schöner Zufall, dass die Aktion auf die Zeit des Wahlkampfs fällt. Und natürlich freue ich mich, wenn ich dadurch ein paar Vorurteile aufbrechen kann», sagt die SVP-Grossrätin. 
 
Die Kampagne laufe aber ganzjährig und sei bereits im Herbst aufgegleist worden, als man noch davon ausging, dass die Plakate Ende 2021 gezeigt würden. 
«Will nicht einstampfen»
 
Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Plakate, die Sandra Schneider zeigen, ersetzt werden. Feurer sagt abschliessend dazu: «Es widerstrebt mir, eine Kampagne einzustampfen, deren Aufbau, vom Anfragen der Botschafterinnen über das Redigieren der Texte und Bearbeiten der Fotoaufnahmen bis hin zu den Plakatdrucken mehrere Monate in Anspruch genommen hat. Und dies nur, um politischen Animositäten von vorneherein ausweichen zu können.»
 
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Kommentar
 
Bei der  Sache bleibt ein Geschmäckle
 
Sich öffentlich gegen Homo-, Transphobie und gegen Hass gegenüber queeren Menschen stark zu machen, scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein. Erschreckend eigentlich, dass sogar junge Menschen Mühe bekundet haben sollen, bei der Plakataktion dabei zu sein. Man darf Sandra Schneider also durchaus eine gewisse Courage zusprechen. Aber: Ist es Absicht, dass die Kampagne mit dem Wahlkampf der Grossratswahlen zusammenfällt, für die Schneider kandidiert? Glaubt man Gemeinderat Beat Feurer, steckt kein Kalkül dahinter. Trotzdem ist es ungeschickt. Natürlich nicht von Schneider selbst, sondern vom verantwortlichen Gemeinderat Feurer. Denn ein Exekutivmitglied muss in dieser Kampagne neutral sein, darf nicht einer politischen Person eine Plattform bieten. Auch wenn schon viel Zeit und Geld investiert worden war, man hätte einen Ersatz für Schneider finden müssen. In der Sache für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen und Transpersonen bleibt also zumindest ein Geschmäckle zurück. Schade, denn die Kampagne an sich ist gelungen!  
 
Deborah Balmer, 
Stv. Ressortleiterin Region
. deborah.balmer@bielertagblatt.ch

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