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Biel

Wo Leben und Tod aufeinandertreffen

Stéphane Jaggi pflegt die Bieler Friedhöfe. Der 35-jährige Landschaftsgärtner braucht nicht nur einen grünen Daumen, sondern auch ein offenes Ohr für trauernde Menschen.

Für Stéphane Jaggi fühlt sich sein Arbeitsplatz mehr als Park denn als Friedhof an. Bild: Yann Staffelbach
  • Dossier

Aufgezeichnet: Carmen Stalder

Glücklicherweise sind wir ein gutes Team, wir sprechen viel miteinander. Ich schaue bewusst darauf, dass nicht immer dieselben an den Erdbestattungen und Urnenbeisetzungen dabei sind. Es ist unsere Aufgabe, die Löcher für die Särge und Urnen zu graben. Während des Begräbnisses lassen wir den Sarg ins Grab hinunter. Ich bin zwar ursprünglich Landschaftsgärtner, aber man benötigt auch eine gewisse Empfindsamkeit den Hinterbliebenen gegenüber. Das ist nicht allen gegeben. Ich weiss von Leuten, welche die Arbeit auf einem Friedhof nicht ertragen. Weil es hier so grün ist, ist dieser Ort für mich jedoch mehr ein Park als ein Friedhof. Es hat viele Tiere, es ist lebendig und es hat viele Farben, die sich in jeder Saison ändern. Das Leben und der Tod sind hier sehr nahe beieinander.

Es gibt Leute, die zum Spazieren hierhin kommen – einfach, weil es schön ist. Die vielen verschiedenen Pflanzensorten sind auf Plaketten angeschrieben, damit die Leute die Namen kennenlernen. Wir haben mehrere Biodiversitätsflächen mit Blumenwiesen geschaffen. Ausserdem haben wir ein Konzept für Schmetterlinge und in jedem Friedhof steht ein Insektenhotel. Wir versuchen, die Biodiversität stets weiter zu vergrössern.

Als Teamleiter plane ich jeden Morgen den Tag. Ich verteile meinen elf Mitarbeitern die Aufgaben für die anstehenden Urnenbeisetzungen, Erdbestattungen und Unterhaltsarbeiten. Vor Ort unterstütze ich das Team. Dazu organisiere ich viel, telefoniere und bestelle Pflanzen. Nächstens beginnen wir damit, die Sommerpflanzen zu setzen: In den drei Bieler Friedhöfen in Madretsch, Mett und Bözingen müssen wir insgesamt 60 000 alte Pflanzen entfernen, die Erde umstechen und düngen und anschliessend 60 000 neue Pflanzen setzen. Die Gräber selbst bepflanzen wir je nach Kundenwunsch. Sie können die Farben der Blumen auswählen und weitere spezifische Wünsche anbringen – beispielsweise, ob sie Pflanzen im Frühling wollen, im Sommer oder im ganzen Jahr. Manche möchten nur, dass wir giessen und Unkraut jäten.

An meiner Arbeit finde ich toll, dass sie so vielseitig ist: Einmal legen wir neue Bodenplatten, dann mähen wir den Rasen, stutzen die Hecken, pflanzen einen Baum. Auch jede Saison hat ihre Eigenheiten. Man lebt hier im Rhythmus der Jahreszeiten, das ist schön. Wir geben unser Bestes, um den Friedhof ansprechend zu gestalten. Ab und zu gibt es trotzdem Reklamationen: Wir werden regelmässig von Rehen besucht, welche die Dekorationen auf den Gräbern fressen. Die Leute fragen dann, was damit passiert sei – und wir müssen für Ersatz sorgen.

Wir haben ein Reglement, das besagt, dass man nicht einfach irgendetwas auf die Gräber stellen darf, Kieselsteine zum Beispiel. Das wird nicht immer respektiert. Oder die Leute pflanzen einen Strauch, von dem sie nicht wissen, dass er zu einem Baum wird. Den müssen wir dann halt entfernen. Vandalismus gibt es bei uns aber glücklicherweise praktisch nie. Auf dem Friedhof Madretsch gibt es muslimische und jüdische Abteilungen. Ich habe gehört, dass sie beispielsweise in Frankreich auch schon Probleme mit jüdischen Gräbern hatten. In der Schweiz dagegen herrscht grosse Toleranz.

Es gibt immer weniger Gräber mit Grabsteinen, da sie ziemlich teuer sind und unterhalten werden müssen. Die meisten Menschen lassen sich heutzutage kremieren und kommen ins allgemeine Grab. Mittlerweile lassen sich auch viele Katholiken kremieren – früher haben sie noch Erdbestattungen bevorzugt. Neben einem anonymen Grab haben wir vor zwei Jahren ein Gemeinschaftsgrab erstellt, auf dem die Namen auf kleinen Schildern stehen. So bleibt dennoch eine Erinnerung.

Da die Zahl der Gräber kontinuierlich abnimmt, bleibt für uns weniger Arbeit. Es ist an uns, die Konzepte zu verändern. In Deutschland beispielsweise gibt es Friedhöfe, die ein Bistro integriert haben, wo sich die Leute zum Kaffeetrinken treffen. Manche kommen sogar mit einem Liegestuhl, um sich zu entspannen. Schliesslich gibt es auf einem Friedhof keine Autos und es ist ruhig. Solange man dem Ort gegenüber Respekt zeigt, finde ich das in Ordnung. Laute Musik sollte man aber schon nicht gerade abspielen.

An meinen eigenen Tod denke ich nicht wirklich. Ich habe noch Zeit zum Leben – hoffe ich jedenfalls. Meine Arbeitskollegen und ich sind aber schon mehr mit diesem Thema konfrontiert als Menschen, die anderswo arbeiten. Besonders wenn es dunkel ist, herrscht eine spezielle Stimmung. Dann hat es Kerzen, die angezündet sind, und zusammen mit dem Nebel sieht es ein wenig aus wie in einem gespenstigen Film. Ich bin überzeugt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Ausserdem glaube ich, dass es Seelen gibt, die nicht in Frieden haben gehen können. Und dass sie immer noch hier sind. Angst macht mir das nicht – ich mag Geschichten, die sich um das Paranormale drehen.

Stichwörter: Biel, Friedhof, Arbeitsplatz

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