Sie sind hier

Abo

Nidau

Wohnen in der ehemaligen Fabrik

Wo früher Druckmaschinen standen, leben heute zehn Menschen. Der Nidauer Architekt Beat Müller hat für sich und seine Familie eine alte Fabrik zu drei Loftwohnungen umgebaut.

Drei Generationen unter einem Dach: Beat Müller (oben neben seiner Frau) mit den Töchtern, Schwiegersöhnen und Enkeln. Matthias Käser
  • Dossier

von Carmen Stalder

Von zuhause ausziehen ist bei vielen Jugendlichen ein sehnlichst herbeigewünschter Schritt ins Erwachsenenleben. Bei den beiden Töchtern von Beat Müller war das wohl nicht anders. Doch dann haben sie ihn vor ein paar Jahren darum gebeten, wieder bei ihm einziehen zu dürfen. Er fühlte sich geehrt. Und so lebt nun seit gut drei Jahren die ganze Familie unter einem Dach: Müller und seine Frau, die beiden erwachsenen Töchter mit ihren Partnern sowie insgesamt vier Enkelsöhne. Das findet Müller einfach wunderbar. «Ich war schon immer ein Familienmensch».

Das Gebäude, in dem sie leben, ist genauso ungewöhnlich wie die Vorstellung, dass drei Generationen im selben Haus wohnen. Es handelt sich um eine ehemalige Druckerei, gebaut nach dem Zweiten Weltkrieg. Wer sich der Liegenschaft an der Dr. Schneiderstrasse in Nidau nähert, sieht ein unscheinbares anthrazitfarbenes Fabrikgebäude. Zu sehen sind zwei Stockwerke, grosse Fenster mit blauen Stoffjalousien, davor ein grüner Streifen mit Blumen und Büschen.


Ein spontaner Entscheid

Drinnen ist es vorbei mit der Unauffälligkeit, jedenfalls in der Wohnung von Beat Müller und seiner Frau. Sie erstreckt sich über die gesamte obere Etage und die Räume sind bis zu fünfeinhalb Meter hoch. Im Wohnbereich steht eine offene Küche, ein Holztisch, an dem wohl eine ganze Fussballmannschaft Platz finden würde, eine grosszügige Sofaecke und ein kniehohes mit Büchern gefülltes Gestell, das den gesamten Raum einrahmt. Bunte Kunstwerke hängen an der Wand. Als Halterung für die Lampen dienen alte Sanitärrohre, alle elektrischen Installationen sind sichtbar und der Boden besteht aus hellgrauem Zement. «Ich wollte den industriellen Charakter beibehalten», sagt Müller.

Der 64-jährige Architekt war seit Längerem auf der Suche nach einer neuen Wohnung oder einem Haus für sich und seine Frau, als er per Zufall und noch vor Markteintritt von der leer stehenden Fabrik erfuhr. «Die nehme ich», sagte er sich – und entschied sich innert fünf Minuten eigenhändig und ohne jegliche Rücksprache für den Kauf der Liegenschaft. Vor allem die Lage im ruhigen Wohnquartier und in der Nähe von Aare und See hat ihn überzeugt. Gerade für Nidau sei die Liegenschaft ein grosser Glücksfall. «Wir haben eine Fabrik», habe er zu seiner Frau gesagt. Diese fand sich bald darauf in einem Gebäude in desolatem Zustand wieder. «Alles war überstellt, der Boden war wüst, die Fenster schlecht», so Müller.

Trotzdem konnte er innert Kürze die ganze Familie von seinem spontanen Kauf überzeugen, und zwar so sehr, dass eben sogar die Töchter mit ihrem Vater zusammen wohnen wollten. «Das mussten wir natürlich zuerst gut besprechen», sagt er. Schliesslich sei man in einer Familie auch einmal wütend aufeinander, und gerade mit kleinen Kindern könne es durchaus laut werden. Aber das sei das Leben, meint er, und alles in allem erlebt er die Wohnform als «extrem bereichernd».

Doch bevor der Grossvater mit seiner Frau, den Töchtern, Schwiegersöhnen und Enkeln ins neue Daheim einziehen konnte, war viel Arbeit gefragt. Mit seinem Team vom eigenen Architekturbüro machte sich Beat Müller an die Projektierung: Aus der einstigen Gewerbeliegenschaft sollte ein Wohnhaus mit drei unabhängigen Loftwohnungen entstehen, jede von ihnen mit direktem Zugang zum Garten. Ausserdem sollte das bestehende Haus mit zwei Anbauten ergänzt werden, in denen sich die Autoabstellplätze, Keller, Gartengeräte und Velos befinden sollten.

Die Familie packte ebenfalls mit an, teilweise während die Töchter hochschwanger waren: Mit vereinter Kraft wurden unnötige Einbauten und alte Böden herausgerissen, gemeinsam wurden die Holzbalken unter der Decke weiss gestrichen. «Ich hätte nicht in ein fertiges Objekt einziehen wollen», sagt Müller. Durch die gemeinsame Arbeit könne sich die Familie heute viel stärker mit dem Zuhause identifizieren. Davon, auf einer grünen Wiese ein neues Einfamilienhaus zu bauen, hält der Architekt nicht viel. Das sei doch langweilig, viel spannender sei es, etwas Bestehendes umzunutzen und umzubauen.


Ein gemeinsames Reich

Beat Müller legt Wert darauf, dass es sich bei der umgebauten Fabrik nicht um eine Wohngemeinschaft handelt. Der Austausch untereinander sei zwar rege, dennoch könne jede Familie auch mal die Türe hinter sich schliessen. Ganz klar ein gemeinschaftlicher Bereich ist dagegen der grosse Garten, der sich hinter dem Wohnhaus versteckt. Bunte Plastiktiere liegen auf dem Rasen, Dreiräder und Traktoren warten auf ihre kleinen Fahrer, Sitzgelegenheiten und eine Feuerstelle laden zum geselligen Beisammensein ein.

Besonders geschätzt hat Beat Müller die Nähe zu seinen Liebsten während der Corona-Lockdowns. Im Gegensatz zu vielen anderen Grossvätern konnte er seine Enkel weiterhin so oft sehen, wie er wollte. Dass die Familie unter einem Dach wohnt, hat aber noch weitere Vorteile. Die Töchter, die beide als Pflegerinnen arbeiten, hüten regelmässig gegenseitig die Kinder . So oder so, nach drei Jahren in der alten Fabrik ist für Müller eines klar: Er würde alles wieder genau gleich bauen.

Info: Welches ist die grösste WG in Biel? Wo steht das ungewöhnlichste Haus im Seeland? Wer in der Wohn-Serie mitmachen möchte oder Vorschläge hat,sendet diese gerne an region@bielertagblatt.ch

Nachrichten zu Biel »