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Biel

Wohnformen der Zukunft: Gefragt sind kreative Ideen

Genossenschaften sollen das Zusammenleben zwischen allen Schichten der Gesellschaft fördern.Das fordert der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr zum 101-Jahr-Jubiläum des regionalen Genossenschaftsbaus.

Erich Fehr an der Eröffnung zur Ausstellung «Wie wollen wir wohnen?».Yann Staffelbach
von Brigitte Jeckelmann
Wohnbaugenossenschaften haben in der Schweiz eine lange Tradition. Die ersten entstanden ab 1860 als Folge der Industrialisierung. Tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern zogen in die Städte. Günstiger Wohnraum musste her. Gemeinnützige Wohnträger wie Wohnbaugenossenschaften sollten dies möglich machen. 1910 wurde in Nidau die Eisenbahner-Baugenossenschaft gegründet. 
In Biel herrschte damals grosse Wohnungsnot. Der Gemeinderat sah keine andere Lösung, als selbst für Wohnraum zu sorgen und baute 1917 die bislang erste und einzige kommunale Wohnsiedlung «im Wasen», die aus bescheidenen Unterkünften bestand. Knapp hundert Jahre später gingen die Liegenschaften in den Besitz der Wohnbaugenossenschaft Biwog und des Vereins Casa Nostra über. Heute ist die Siedlung autofrei und von einem breiten Mix verschiedenster Menschen bewohnt. 
 
Mehr als günstiger Wohnraum
Für eine solche Durchmischung von Bewohnerinnen und Bewohnern aus mehreren Schichten der Gesellschaft zu sorgen, gehört für den Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr (SP) zu den Aufgaben einer Wohnbaugenossenschaft. Diese sollen «mehr bieten als bloss günstigen Wohnraum», sagte er gestern zum Auftakt der Ausstellung «Wie wollen wir wohnen?». Diese findet anlässlich des 101-jährigen Bestehens des Regionalverbands gemeinnütziger Wohnbauträger Bern-Solothurn in den Städten Biel, Bern und Thun statt. 
In Biel sind in den Räumen von «Der Ort» an der Marktgasse 34 Plakate aufgehängt, Infomaterial ist aufgelegt und Fachpersonen stehen vor Ort für Fragen zur Verfügung. Die Ausstellung läuft bis am 30. September. Höhepunkt ist das Jubiläumsfest am 11. September auf der Esplanade in Biel. Von 10 bis 16 Uhr gibt es Vorträge und Podiumsdiskussionen. Vorgestellt wird etwa das Projekt Gurzelen Plus, wofür mehrere Bieler Wohnbaugenossenschaften eigens eine gemeinsame Baugenossenschaft gegründet haben (das BT berichtete). Gurzelen Plus soll Wohnraum für rund 230 Menschen bieten, aufgeteilt in verschiedene Wohnformen: Es gibt Klein-wie auch Grosswohnungen, Wohngemeinschaften und so genannte Clusterwohnungen. Diese sind zusammengesetzt aus privat und gemeinschaftlich genutzten Räumen. 
Eine bunt gemischte Vielfalt an Menschen soll dort wohnen. Gemeinsamkeit wird grossgeschrieben. Teilen statt Besitzen stehen im Vordergrund. Das Motto lautet: Gemeinsam leben statt einsam wohnen. Zudem werden Baumaterialien wiederverwendet. Für Erich Fehr ist Gurzelen Plus daher ein Vorzeigeprojekt. Er erwarte von den Wohnbaugenossenschaften, dass sie Trendsetter sind in Sachen Ökologie wie auch im soziokulturellen Zusammenleben. «Gefragt sind kreative Ideen», sagte Fehr.
 
Boom nach dem 2. Weltkrieg  
Der genossenschaftliche Wohnbau begann in Biel nach dem Zweiten Weltkrieg zu florieren. Allein in den Jahren zwischen 1945 und 1960 erstellten neu gegründete Genossenschaften rund 2750 Wohnungen. Das sind 45 Prozent aller damals gebauten Einheiten. 
In der Wirtschaftskrise der 70er- und 80er- Jahre kommt der Wohnungsbau bei den Genossenschaften praktisch zum Erliegen. In den 90er-Jahren zieht die Wirtschaft wieder an. Somit steigt auch der Bedarf an Wohnungen. Die Stadt erwirbt Industriebrachen, die sie Investoren zu günstigen Bedingungen oder im Baurecht abgibt. 
Politisches Bekenntnis
Heute bewirtschaften die Wohnbaugenossenschaften in Biel und dem Seeland über 4000 Wohnungen. Das entspricht einem Marktanteil von ungefähr 14 Prozent. Dieser Anteil soll weiter wachsen. Der Bieler Stadtrat hat 2016 ein Reglement verabschiedet, das die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus vorsieht. Das Ziel: Bis 2035 soll sich jede fünfte Wohnung in Biel im Besitz von gemeinnützigen Wohnbauträgern befinden.
Erich Fehr betonte, das Reglement sei im Bieler Stadtrat mit einer breiten Unterstützung angenommen worden. «Ein klares politisches Bekenntnis zum gemeinnützigen Wohnbau.» In Biel und dem Seeland gibt es über 30 Wohnbaugenossenschaften. Die Bewohnerinnen sind Mitglieder der Genossenschaft. Sie bezahlen kein Mietzinsdepot, sondern einen so genannten Anteilschein. 
Genossenschaftliches Wohnen ist somit eine Zwischenform zwischen Miete und Wohneigentum. Genossenschafterinnen und Genossenschafter sind daher Mitbesitzer der Liegenschaft. Sie haben ein Mitbestimmungsrecht und können ihre Vorstellungen vom Zusammenleben in der Siedlung mit einbringen. Die Interessengemeinschaft Wohnbaugenossenschaften Biel-Seeland vertritt die Interessen der Genossenschaften in der Region. 
Weitere Infos zur Ausstellung:www.wiewollenwirleben.ch

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