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Standpunkt

Zur Ehrenrettung eines Zauns

Welch ein Ärgernis! Was kann man sich doch trefflich aufregen ob dieses Werks.

Und was, bitteschön, soll hier eigentlich passieren? Bild: Peter Samuel Jaggi

Tobias Graden

Auf der Esplanade steht es, dieses «Texas» vom Künstlerduo Haus am Gern, also auf einem öffentlichen Platz. Ein weiss gestrichener Zaun umfasst eine öde Fläche, deren bedürftige Begrünung gegen Ende dieses Hitzesommers noch kümmerlicher aussieht, als das bisschen magere Gras auf dem weiten Beton eh schon ist. Im Innern der umzäunten Fläche mit dem seltsamen Grundriss steht eine einfache Tribüne, auf die sitzen mag, wer will, und dort beobachten kann, wie… nun: wie nichts passiert. Dieses Vergnügen ist erst noch nicht einmal ganz gratis zu haben, immerhin gilt es, unter sengender Sonne den Zaun zu überklettern.

Und das soll Kunst sein? Sicher nicht! Was hat es gekostet? Viel zu viel! Wer hat es bezahlt? Natürlich der Steuerzahler!

Also vergeht seit mehr als einem Jahr kaum ein Tag, an dem sich nicht jemand über «Texas» echauffiert. Passanten reiben sich die Augen; Bürgerinnen schreiben erboste Leserbriefe; in Kommentaren wird festgestellt, das Werk sei ja gar nicht «schön»; ein Lokalpolitiker persifliert in einem Text zum Zaun hochgestochenes Intellektuellenvokabular. Kurzum: Das Unverständnis ist gross, der Ärger bricht sich wortreich Bahn – mitunter gar unter Aufbietung der Fantasie.

Und plötzlich beginnt man nachzudenken, um die erste Ecke herum und dann um die zweite. Man kommt als erstes vielleicht darauf, dass der Vorwurf der Steuergeldverschwendung gar nicht stimmt oder zumindest höchst unpräzise ist. Bezahlt hat das Werk nämlich die Parking Biel AG. Diese gehört zwar der Stadt, ihre Einnahmen bestehen aber aus den Parkgebühren, die wohlweislich nicht in der regulären Stadtrechnung bilanziert werden. Es ist also gar nicht so, dass alle Bielerinnen und Bieler an «Texas» gezahlt haben – sondern nur jene Autofahrer, die ihren Wagen in einem Parkhaus der Stadt parkieren, und das sind wohl zu einem guten Teil auswärtige Besucher. Nicht uninteressant, oder? Und hoppla, schon lauert eine Ecke: Könnte also «Texas», diese eingezäunte und damit abgegrenzte Fläche, ein Statement darüber sein, dass der motorisierte Privatverkehr Raum verbraucht, der sonst wahrhaft öffentlich sein könnte?

Doch das ist erst der Anfang. Denn Achtung: Kaum ist man um eine Ecke gebogen, folgt eine weitere; jede Türe, die man öffnet, führt zur nächsten, die noch geschlossen ist. Vielleicht sinniert man alsbald über die Esplanade, über diese riesige leere Fläche, darüber, was auf ihr los ist – meistens nämlich nicht viel. Warum eigentlich? Könnte man sie denn füllen? Womit? Hätte man gerade an diesem Ort, wo eigentlich das Verwaltungsgebäude hätte zu stehen kommen sollen, etwas Besseres hinstellen können? Was wäre dies? Ist «Texas» also ein Kommentar zum Umgang mit Raum in der Stadt? Oder ist es eine Metapher, vielleicht ein Bild für etwas ganz Ungegenständliches wie dem Entstehen von und dem Umgang mit Ideen?

Es geht auch konkreter. Um «Texas» entspannte sich eine Kontroverse um die Zugänglichkeit: Wer im Rollstuhl sitze, könne nicht ins Innere gelangen, das sei diskriminierend, hiess es. Könnte gerade dies eine Aussage des Werks sein? Ist die Abgrenzung ein Kommentar zum Umgang mit Ausgegrenzten? So gesehen wäre die Symbolik ja nicht schwer zu lesen, im Gegenteil.

Es geht aber auch ganz grundsätzlich. In München gibt es die Installation «Never ever» von Benjamin Bergmann, ein Basketballkorb in unerreichbarer Höhe. Am Bieler Kongresshaus-Hochhaus prangt «Beautiful steps #2» von Sabine Lang und Daniel Baumann, eine Treppe im luftigen Nirgendwo. Und nun eben «Texas», eingezäunte Kargheit an einem Unort. Die Kontroversen um solche Werke ähneln sich, rasch ist der Kommentar zur Hand, der mehr Ausruf ist als Erkundigung: Was soll das?! Es stellt sich also die Frage nach dem Sinn, und diese ist nicht eben gering, es ist mithin die grösste Frage überhaupt. Und nun breitet die sich in Form von Kunst einfach mal so unverfroren aus, auf über 1000 Quadratmetern, mitten in der Stadt, ohne dass wir gefragt worden wären, ob uns das passt! Das irritiert heftig, zumal sie sich nicht eben kurz im effizienzgetrimmten beschleunigten Alltag vorbeihuschend beantworten lässt, diese sperrige Frage.

Sie ist Sand im Getriebe, eine Zumutung ist sie, diese ausgebreitete Frage, sie mutet uns etwas zu: das Innehalten, das Nachdenken. Und das ist ein Gang ins Labyrinth, es droht schier kein Ende mehr zu nehmen und erdreistet sich sogar, Fragen an uns selber zu stellen.

Wahrlich, welch ein Ärgernis, dieses «Texas»!

 

E-Mail: tgraden@bielertagblatt.ch

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