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Beziehungen

Zwei Jahre lang waren sie sich so fern,
 nun sind sie sich so nah

In der iranischen Wüste, wo sich die Bielerin Sara Calmonte und der Iraner Ashkan Sharifi kennenlernten, war es ihnen verboten, sich zu berühren. Nach langem Kampf um ihre Liebe wohnen sie nun gemeinsam in Biel – als Mann und Frau.

Die Beziehung von Ashkan Sharifi und Sara Calmonte ist wie dieses Hochzeitsbild: ein bisschen verrückt. Bild: zvg/Mareke Groene Photography
  • Dossier

Hannah Frei

Sara Calmonte und Ashkan Sharifi sitzen nebeneinander auf dem weissen Sofa in ihrer Fünfer-WG in der Bieler Innenstadt und berühren sich. Manchmal legt sie liebevoll ihre Hand auf sein Bein, manchmal auf seine Schulter. Und manchmal schauen sich die beiden mit einem solch verliebten Blick an, dass man sich als Aussenstehende zwar für sie freut, aber trotzdem fast peinlich berührt ist, weil man die Zweisamkeit nicht stören möchte. Es sind intime Momente, von denen die beiden seit dem 7. März etliche erleben. Zuvor war das anders. Zwischen ihnen lagen über 3700 Kilometer, mehr als zehn Länder und gesetzliche Hürden. Ashkan, oder Ash, wie ihn seine Freunde und auch Sara nennen, ist 31 Jahre alt, Iraner und lebte bis Anfang Jahr in der Hauptstadt Teheran und danach in Antalya, Türkei. Sara ist 25 Jahre und ist in Biel aufgewachsen. Während zwei Jahren führten die beiden eine Fernbeziehung, telefonierten fast täglich, waren sich über Wochen so fern, und dann bei ihren Treffen über Tage so nah. Sehen konnten sich die beiden nur im Iran oder in einem der umliegenden Länder. Denn auf ein Visum für die Schweiz hätte Ash wohl Jahre warten müssen, sagt er.

Aber nun ist er hier in Biel. Und am 1. Mai haben sie geheiratet, an einem Spontantermin trotz Corona-Massnahmen. Plötzlich ging alles ganz schnell. Mit dabei waren lediglich die Trauzeugen, Saras war eine Freundin, Ashs einer der WG-Mitbewohner. Sein älterer Bruder, der in England lebt und eigentlich als Trauzeuge vorgesehen war, hat wegen der Grenzschliessung nicht einreisen können. Trotzdem sind die beiden überglücklich, diesen Schritt nun endlich gemacht zu haben. «Ich habe in Ash nicht nur einen Partner gefunden, sondern meinen engsten Begleiter und Freund», sagt Sara. Auch Ash kann kaum mehr aufhören, von ihr zu schwärmen. «Ihre Offenheit hat mich von Anfang an fasziniert», sagt er. Eine romantische Geschichte, die fast zu schön ist, um wahr zu sein. Manchmal wirkt es fast so, als würden die beiden ihre Liebe verteidigen müssen – was nicht unbegründet ist.

Alles begann in der Wüste

Sara und Ash haben sich in der Wüste Maranjab im Iran im Oktober 2018 kennengelernt, in einer Karawanserei, also einer alten ummauerten Herberge. Sara war mit zwei Reisebekanntschaften unterwegs, er mit einer. Sie war auf einer viermonatigen Reise durch Asien und er auf dem letzten Teil einer fast fünfjährigen Reise um die Welt. Beide sind richtige Vagabunden, sind naturverbunden, wollen die Welt und die Menschen entdecken, geben sich mit dem einfachen Leben zufrieden und wollen so unabhängig wie nur möglich sein.

In dieser Wüste gab es nur wenige Touristen, und vor allem kaum junge. In der Karawanserei waren es zu diesem Zeitpunkt eben nur diese beiden Gruppen. Sara, die normalerweise nur selten einen Ort verlässt, ohne dort Freunde gefunden zu haben, sprach einen der jungen Männer an – nicht Ash, sondern den anderen. Die beiden Gruppen verabredeten sich zum Teetrinken, Ash und Sara sahen sich zum ersten Mal. Und sie redeten, viel, lange, auf Englisch. Innert weniger Tage wurde ihre Verbindung intensiv. Da war der nächtliche Sandsturm, der Ashs Zelt auseinandergenommen hätte, wären ihm Sara und ihre Freunde nicht zu Hilfe gekommen. Da war der nächste Morgen, als Sara und Ash gemeinsam frühstückten und sich stundenlang über Gott und die Welt unterhielten. «Von Anfang an war ein Vertrauen da, das ich bis dahin in dieser Form nicht kannte», sagt Sara.

Auch Ash kommt wieder ins Schwärmen: Als er sie damals zum ersten Mal ansah, habe sie gestrahlt. Sie bot ihm eine Tasse Tee an. «Das berührte mich sehr», sagt er. Er habe gehofft, ihre Nummer zu erhalten, sei aber zu scheu gewesen, sie direkt darum zu bitten. Also fragte er eben die anderen aus Saras Gruppe nach der Nummer, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Und der Kontakt blieb – zumindest zu Sara. Am nächsten Tag trafen sich die beiden Gruppen wieder und mischten sich neu. Fortan gingen Sara und Ash zusammen weiter.

Ash erzählt, weshalb er Sara von Beginn an bewunderte: Wie sie sich um andere sorge, um das Zusammenleben, wie sie gebe und nehme. «Absolut selbstlos», sagt er. An einem der ersten Tage ihres Kennenlernens schüttete sie ihren Rucksackinhalt aus und zeigte ihm alles, was sie dabei hatte, auch ihren Organspende-Ausweis. Ash kannte das nicht, war jedoch sehr beeindruckt. Und als er ein paar Tage später krank wurde, blieb sie bei ihm und pflegte ihn, obwohl sie geplant hatte, weiterzureisen und das Land zu erkunden.

Aber auch für Sara war vieles neu. Schon nur die Verhaltensregeln für Unverheiratete in der Öffentlichkeit. Nebst dem, dass Umarmungen oder Zärtlichkeiten zwischen Mann und Frau in der Öffentlichkeit verboten sind, ist es Unverheirateten im Iran auch untersagt, gemeinsam in einer Wohnung oder einem Zimmer zu übernachten. Und die meisten Hotels nehmen laut Sara und Ash gar keine Einheimischen auf. Die nächsten Wochen ihrer Reise durch den Iran waren also geprägt von der Suche nach Einheimischen, die ein Auge zudrückten und die beiden gemeinsam in ein Zimmer liessen.

Bereits kurz nach ihrem ersten Treffen begann der leise Kampf, um beieinander zu sein, der später immer lauter und intensiver wurde und vor einer Woche endete. So gross die Hindernisse auch waren, so intensiv entwickelte sich die Beziehung zwischen den beiden. «Unsere Beziehung wäre wohl ganz anders, wenn wir all dies nicht zusammen erlebt hätten», sagt Sara. Deshalb sei es auch schwierig zu sagen, ob sie genauso schnell geheiratet hätten, wenn sie am selben Ort aufgewachsen wären und keinen Eheschein dafür benötigen würden, um langfristig beieinander zu sein. Die Frage nach dem Grund für ihre Hochzeit hatten sie in der Vergangenheit wohl schon zur Genüge gehört. «Wir haben uns dafür entschieden, weil wir uns lieben und gemeinsam eine Zukunft aufbauen wollen», sagt Sara in einem bestimmten Ton.

Geschichte schon oft erzählt

Die beiden erinnern sich gut zurück, an Daten, an kleine Details ihrer Treffen. «Weisst du noch, als du dort mit mir geredet hast, streichelte ich gerade eine Katze», sagt Sara zu ihm. Es ist nicht das erste Mal, dass sie ihre Geschichte erzählen. Zum einen waren es die neugierigen Freunde und Familienmitglieder, die genau wissen wollten, wie sich die beiden kennengelernt haben. Zum anderen war es aber auch die Schweizerische Botschaft im Iran. Es ist der Teil ihrer bisherigen Geschichte, der sie zittern und fast verzweifeln liess: die Visa.

Bereits nach ihrer ersten gemeinsamen Reise durch die Wüste war für die beiden klar, dass sie sich wiedersehen wollen. Und für Ash stand danach schon fest, dass Sara die Person ist, die er heiraten möchte. Zwei Monate später reiste Sara erneut nach Teheran, und im Februar wieder. «Der Papierkrieg kostete Nerven, aber irgendwie hat es immer geklappt», sagt Sara – zumindest für sie.

Bereits im Frühling 2019 haben sich die beiden dann verlobt und beschlossen, in der Schweiz zu heiraten. Denn Bekannte von ihnen sagten, dass im Iran die Hürden für binationale Hochzeiten noch grösser wären. Bis im Herbst darauf haben sie versucht, ein Besuchervisum für Ash zu erhalten. Doch dieses wurde abgelehnt. Bei ihrer nächsten gemeinsamen Reise im Herbst haben sie dann beschlossen, den langen, regulären Visumsprozess anzugehen. «Wir wussten damals nicht, wie lange es dauern wird, bis wir uns wiedersehen», sagt Sara.

Es gab Momente, in denen die beiden an ihrem Vorhaben zweifelten. Nicht aufgrund der Behörden, sondern wegen Personen auf ihrem Umfeld. Lohnt sich der Aufwand wirklich? Was bedeutet die Hochzeit für uns? «Doch wir haben schnell gemerkt, dass diese Zweifel nicht unsere sind, sondern die der anderen», sagt Sara.

Um ihre Liebe gegenüber den Behörden so gut wie nur möglich zum Ausdruck zu bringen, hielten sie in einem ganz persönlichen Schreiben detailliert fest, weshalb sie sich füreinander entschieden haben. Ash schrieb drei Seiten, Sara zwei. Die Texte schickten sie an die Schweizerische Botschaft in Teheran. Auch darin geben sie Einblick. Unter der Überschrift, weshalb er Sara liebt, schreibt Ash: «Ich muss gestehen, dass ich mit rationalem Verstand keinen einzigen Grund finden kann, weshalb ich nicht mein ganzes Leben mit ihr verbringen soll.» Und Sara schreibt dazu: «Mein Herz war offen, wie noch nie zuvor und ich habe meinem Bauchgefühl vertraut, mich auf diese Liebe einzulassen.»

Diesmal klappte es. Am 7. März durfte Ash in die Schweiz einreisen. Das war eine Woche, bevor die Schweizer Grenzen geschlossen wurden. Hätten die beiden noch ein paar Tage länger gewartet, hätten sie das Visum ein paar Tage später erhalten, wären die beiden heute nicht verheiratet und müssten die Coronapandemie getrennt voneinander überstehen. Ob es an den Briefen lag, oder pures Glück war, spielt für sie heute keine Rolle mehr.

Endlich ankommen

Doch wie hat sich ihr Alltag seither verändert? Das Zusammenleben funktioniere gut, sagt Sara. Sie teilen viele Interessen, wandern und kochen gerne, lieben elektronische Ethno-Musik und sind beide ein wenig verrückt – wie man auf den Hochzeitsfotos erkennen kann. Und sie lieben das Reisen. Aber eigentlich stammen sie aus total unterschiedlichen Welten. Ash wurde als Muslim erzogen – glaubt jedoch heute nicht mehr an Gott –, ging in eine Knabenschule, erlebte Korruption, Angst und Armut hautnah. Sein Studium zum Informatiker hat er abgebrochen, danach aber als Freelancer für verschiedenen IT- und Design-Firmen in den USA und Europa gearbeitet.

Sara hingegen wuchs in Busswil auf, genoss eine ziemlich offene und tolerante Erziehung, besuchte das Gymnasium Biel-Seeland und studierte danach Psychologie, nachhaltige Entwicklung und Erziehungswissenschaft an der Universität Bern. Zurzeit arbeitet sie für die Konzernverantwortungsinitiative.

Für die nächsten Monate haben die beiden nur einen Wunsch: Ankommen. Zusammen an einem Ort leben und gemeinsam etwas aufbauen. Ash lernt täglich Deutsch und sucht eine Stelle in der IT-Branche. Für ihn und Sara scheint die Welt nun in Ordnung zu sein. «Wir haben uns in den letzten Jahren nie so zuhause gefühlt wie jetzt», sagt Sara.

Unterstützung erhalten die beiden von ihren Familien und Freunden. Einwände zur spontanen Hochzeit habe es keine gegeben. Via Skype haben sich die Familien bereits kennengelernt, Saras Mutter hilft Ash beim Deutschlernen. Und Ashs Familie, unter anderem auch seine Grossmutter, die in Teheran lebt, hat Sara fest ins Herz geschlossen. «Ihr sagen sie öfter als mir, dass sie sie lieben», sagt Ash.

Irgendwann wird es die beiden sicher wieder in die Ferne ziehen, auf Reisen durch die ganze Welt. Doch bis dahin geniessen sie die Zeit zu zweit, die ihnen nun niemand mehr nehmen kann.

Stichwörter: Beziehung, Heirat, Paar

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