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Bieler Wahlen

Zwei linke Rücktritte wecken bürgerliche Ambitionen

Die Rücktritte von Barbara Schwickert (Grüne) und Cédric Némitz (PSR) schaffen eine neue Ausgangslage für die Gemeinderatswahlen. Während Rot-Grün seine frei werdenden Sitze verteidigen will, wittert vor allem die GLP Morgenluft.

Barbara Schwickert will sich beruflich neu orientieren. copyright:bielertagblatt/matthiaskäser

von Lino Schaeren
Die eine Rücktrittsankündigung war überraschend, die andere sogar noch etwas mehr: Dass Barbara Schwickert (Grüne) und Cédric Némitz (PSR) nicht mehr zu den Gemeinderatswahlen im Herbst 2020 antreten werden, wirbelt die Bieler Politik durcheinander. Die heutige Bau-, Energie- und Umweltdirektorin, seit 2009 im Amt, hätte noch eine zusätzliche Legislatur bis zum Erreichen der Amtszeitbeschränkung anhängen können. Der Direktor für Bildung, Kultur und Sport, 2012 in die Stadtregierung gewählt, sogar noch deren zwei.
Trotzdem treten Schwickert und Némitz in einem Jahr vorzeitig ab. Und das mit derselben Begründung: Sie wollen im Alter von über 50 Jahren der Planung ihrer beruflichen Zukunft Priorität einräumen. Damit haben sie alle überrumpelt, auch ihre eigenen Parteien.
PSR hat Priorität
Grüne und PSR haben nun schleunigst eine Findungskommission eingesetzt, um mögliche Nachfolgerinnen oder Nachfolger zu sichten. «Wir müssen nun jemanden finden, der fähig ist, viele Stimmen auf sich zu vereinen», sagt Samantha Dunning, Co-Präsidentin des PSR. Das könnte durchaus auch sie selber sein, war sie bei den Gemeinderatswahlen 2016 doch neben Némitz die zweite Kandidatur des PSR auf der SP-Liste.
Zwar landete Dunning damals auf dem letzten Listenplatz, bei den Nationalratswahlen vom 20. Oktober erzielte sie aber in Biel das mit Abstand beste Resultat auf der SP-Frauenliste. Dunning lässt sich aber nicht in die Karten blicken: «Weil die Entscheidung von Cédric Némitz so überraschend kam, haben wir noch nicht über die Nachfolge diskutiert. Auch ich habe mir noch keine Gedanken zu einer möglichen Kandidatur gemacht», sagt sie.
Klar ist: Die SP strebt weiterhin eine deutschsprachige und eine frankophone Vertretung im Gemeinderat an. Oberste Zielsetzung ist also die Verteidigung der beiden Mandate und die Wahrung der sprachlichen Ausgewogenheit. Susanne Clauss, Co-Präsidentin der Bieler SP Gesamtpartei, nimmt deshalb jeglichen Spekulationen um ihre eigene Person den Wind aus den Segeln: «Ich habe den besten Job der Welt und stehe nicht zur Verfügung», sagt die Stadträtin und Geschäftsführerin des Geburtshaus Luna.
Aus dem angekündigten Rücktritt von Cédric Némitz zieht sie auch positive Schlüsse, «das gibt uns die Chance, jüngere Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren», sagt Clauss.
Starke Grüne, kriselnde SP
Dass die SP mit Stadtpräsident Erich Fehr nur noch mit einem Bisherigen wird antreten können, dürfte auch die Diskussionen im linken Lager nach einer gemeinsamen rot-grünen Gemeinderatsliste befeuern. Dies vor allem auch aus Sicht der Sozialdemokraten, die zuletzt bei den Nationalratswahlen in Biel fast sechs Prozent Wähleranteile eingebüsst haben, während die Grünen gestärkt aus den Wahlen hervorgingen. Gemeinsam müsste Rot-Grün rund 50 Prozent der Wählerstimmen holen, um die linke Mehrheit in der Stadtregierung zu sichern.
Die Grünen dürften sich aber nach den massiven Gewinnen vom 20. Oktober ernsthaft Gedanken darüber machen, auch ohne Aushängeschild Schwickert erneut den Alleingang zu wagen. Oder geht die Partei letztlich doch das Bündnis mit der kriselnden SP ein, die nach wie vor mit der Aufarbeitung interner Konflikte und deren Folgen beschäftigt ist?
Völlig offen erscheint das Rennen zum jetzigen Zeitpunkt auf bürgerlicher Seite – vor allem, weil sich die Bisherigen Beat Feurer (SVP) und Silvia Steidle (PRR) noch nicht dazu geäussert haben, ob sie noch einmal antreten werden. SVP-Präsident Patrick Widmer sagt zwar, dass er hoffe und schwer davon ausgehe, dass Feurer noch einmal antritt, die entscheidenden Gespräche mit dem Sozial- und Sicherheitsvorsteher stehen aber noch aus. Tritt Feurer noch einmal an, dürfte der SVP-Sitz aber kaum gefährdet sein. Bedeckt gibt sich derzeit auch Steidle, die erst zu einem späteren Zeitpunkt mitteilen will, ob sie noch einmal antreten will.
Bei aller Zurückhaltung in der Kommunikation hat man die Rücktrittsankündigungen der linken Gemeinderäte natürlich auch im bürgerlichen Lager registriert – und sie wecken Angriffsgelüste. Widmer bringt einen grossen Schulterschluss aller bürgerlicher Parteien ins Spiel, um einen dritten Sitz und damit die Regierungsmehrheit anzupeilen.
Die bürgerlichen Parteien treffen sich diesen Samstag, um die Strategie für die Wahlen des kommenden Herbstes zu diskutieren. Interessant dürfte dabei vor allem die Rolle der GLP sein, nebst den Grünen die zweite grosse Gewinnerin bei den Nationalratswahlen.
Die spezielle Rolle der GLP
Denn auch wenn die SVP einen Schulterschluss ins Spiel bringt, ein geeinter Bürgerblock für die Bieler Gemeinderatswahlen erscheint vor allem mit Blick auf die Grünliberalen als unrealistisch. Die GLP hat zwar vor vier Jahren den Angriff des Mitte-rechts-Bündnisses auf einen zusätzlichen Regierungssitz mitgetragen. Da sich dieser aber als Rohrkrepierer herausstellte, war die GLP letztlich nichts mehr als Wahlhelferin für die freisinnige Finanzdirektorin Silvia Steidle.
Zulegen konnte die GLP nun vor gut zwei Wochen bei den Nationalratswahlen vor allem wegen dem Grün im Namen, um satte vier Prozentpunkte auf 9 Prozent Wähleranteil. Da im nächsten Herbst im Bieler Wahlkampf die Klima- und Umweltthemen nach wie vor zentral sein dürften, ist ein Zusammengehen der GLP mit der SVP praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Dennis Briechle, Präsident der Bieler GLP, bestätigt denn auch: «Eine gemeinsame Liste mit der SVP würden unsere Wähler nicht goutieren.» Auch, ob sich die Grünliberalen erneut mit der FDP zusammentun werden, ist ungewiss – in dieser Konstellation scheiden sich nämlich beim zweiten brennenden Thema in Biel, dem Verkehr, die Geister. Gut möglich also, dass die Grünliberalen mit gestärktem Selbstbewusstsein alleine angreifen werden, was wiederum die Ausgangslage im gesamten bürgerlichen Lager verkomplizieren würde.
Für einen garantierten Sitz im Gemeinderat, ein Vollmandat, sind rund 17 Prozent der Stimmen nötig. Die GLP müsste ihren Wähleranteil gegenüber den Stadtratswahlen 2016 also mehr als verdoppeln, oder auf ein Restmandat hoffen. Handkehrum wäre ein Alleingang auch für die Freisinnigen und damit für die Bisherige Silvia Steidle (sollte sie denn wieder antreten) nicht ohne Risiko. Bei den Parlamentswahlen 2016 konnte die FDP 16 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, aufgrund der Verluste bei den Nationalratswahlen wäre auch hier ein Vollmandat infrage gestellt.
Entscheidet sich die GLP, nicht mehr Steigbügelhalterin zu spielen für einen zweiten sicheren Sitz der Bürgerlichen, würde dies die Spannung für die Gemeinderatswahlen zusätzlich erhöhen. Das grosse Pokern hinter verschlossenen Türen, es hat dank der Tatsache, dass zwei Regierungssitze frei werden, so richtig begonnen.

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