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Zwingli würde sich im Grab umdrehen

Die Mitgliederzahlen der Reformierten Kirche gehen weiter zurück. Das spüren auch die Gemeinden in der Region. In der Katholischen Kirche sind die Zahlen indes dank Neueintritten durch Migranten stabil.

Auch die Kirchgemeinde Pilgerweg Bielersee, zu der das für Hochzeiten beliebte Kirchlein von Ligerz gehört, ist von Sparmassnahmen betroffen. Bild: Matthias Käser/a

Beat Kuhn

In diesem Jahr kann die Reformierte Kirche ihr stolzes 500-Jahr-Jubiläum feiern. Aber deren Begründer Huldrych Zwingli würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, wie sich diese in den letzten Jahrzehnten entwickelt: Noch in den 80er-Jahren waren über 90 Prozent der schweizerischen Bevölkerung entweder reformiert oder katholisch. In den 90er-Jahren waren nur 3,5 Prozent konfessionslos. Mittlerweile ist es schweizweit jeder Vierte – inzwischen mehr, als es Reformierte gibt.

Allerdings gibt es enorme Unterschiede zwischen den Kantonen: Während im Baselbiet jeder Zweite konfessionslos ist, ist es in Uri nur jeder Zehnte. Im Kanton Bern – wo die Reformierten einem überkantonalen Gebilde namens Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso) angehören – ist es jeder Fünfte. Damit liegt das Bernbiet genau in der Mitte der Kantone. Und mit diesem Aderlass bei den Mitgliederzahlen geht natürlich ein markanter Rückgang bei den Kirchensteuererträgen einher.

Abbau von Pfarrstellen
Auch Pfarrstellen werden abgebaut. Im Kanton Bern muss man allerdings differenzieren: Da hat der Abbau nichts mit den Kirchensteuern zu tun, denn die Pfarrer werden aus allgemeinen Steuermitteln des Kantons entlöhnt (siehe Infobox). Da ist der Grund des Abbaus vielmehr der, dass die Zahl der Pfarrstellen mit der Zahl der Kirchenmitglieder zusammenhängt. Ab Anfang nächsten Jahres werden die Pfarrer dann von den beiden Landeskirchen selbst angestellt. Im Jahr 2015 etwa betrugen die Besoldungskosten rund 70 Millionen Franken.

Die Kirchgemeinde Pilgerweg Bielersee etwa, die für Ligerz und Twann-Tüscherz zuständig ist, muss laut Präsident Hans Jürg Ritter von 160 auf 120 Stellenprozente reduzieren. Ende März geht Brigitte Affolter, die ein 60-Prozent-Pensum hat, in Pension. Marc van Wijnkoop Lüthi hat weiterhin 100 Prozente. Die neu verbleibenden 20 Prozente werden von Anfang April bis Ende September durch eine Verweserin wahrgenommen, dann werde «eine neue Pfarrperson» folgen, so Ritter.

In die Offensive gegangen
Die Kirchgemeinde Oberwil wollte ihre rund 30 Austritte pro Jahr nicht mehr einfach hinnehmen, sondern ist in die Offensive gegangen. Kirchgemeinderatspräsidentin Kathrin Lanz: «Wir begegnen den Austritten mit vermehrten Angeboten durch die Kirche und vor allem auch mit dem persönlich grossen Engagement von Pfarrer Jan Gabriel Katzmann.» Seit dieser in der Kirchgemeinde arbeite, verzeichne man «vermehrte Gottesdienstbesuche».

Zudem sei an einer Kirchgemeindeversammlung die zusätzliche Anstellung einer Pfarrerin genehmigt worden. «Die Kirchgemeindemitglieder finanzieren also freiwillig eine zusätzliche 30-Prozent-Stelle», so Lanz. Am Sonntag, 24. März, werde Linda Peter in ihr Amt in der neu renovierten Kirche Oberwil eingesetzt. Soweit alles gute Nachrichten. Aber es gibt auch eine schlechte, wie Lanz einräumt: «Die finanzielle Situation sieht mittelfristig schlecht aus.»

Weniger Mitglieder, mehr Aufgaben
Auch das Pfarramt Arch-Leuzigen hat gehandelt: «Wir sind mit unseren Angeboten vielfältiger und bunter geworden», so Pfarrer Matthias Hochhuth. Für ihn sind die Kirchenaustritte «ein Thema, das von den Medien immer wieder aufgekocht wird, obwohl es gar nicht das eigentliche Problem ist». So würden in den beiden Kirchgemeinden Arch und Leuzigen pro Jahr nur je zwei bis maximal zehn Personen aus der Kirche austreten. Weitaus mehr Abgänge gebe es infolge Wegziehens und weil es in der Regel mehr Todesfälle als Geburten und damit Taufen gebe.

Trotzdem, so Hochhuth, seien die Aufgaben in den letzten Jahren eher noch gewachsen, «da es viel mehr individuelle Begleitungen gibt als früher», so etwa bei Krankheit, im Sterben, aber auch bei finanziellen Schwierigkeiten und weiteren seelsorgerlichen Fragen. Auch bestehe ein vielfältigeres Angebot an Veranstaltungen. «Und da spielt es für den Aufwand keine Rolle, ob fünf oder 50 Personen teilnehmen.»

Distanz zur Kirche wächst spürbar
«Es sind nicht die Kirchenaustritte, die wir am meisten spüren, sondern die immer grösser werdende Distanz vieler Menschen zur Kirche», sagt seinerseits Martin Toggweiler, Präsident der Kirchgemeinde Gottstatt, die für Orpund, Safnern und Scheuren zuständig ist. Diese Distanz äussere sich etwa in einer abnehmenden Anzahl Trauungen und Taufen. Dadurch sinke auch die Anzahl der Kinder in der kirchlichen Unterweisung und die Anzahl Konfirmanden.

Und: «Es wird immer schwieriger, Menschen zu finden, die sich im Kirchgemeinderat engagieren möchten oder sich in anderer Form als freiwillige Mitarbeiter zur Verfügung stellen.» Der letzte Schritt dieser Distanzierung sei dann der Austritt. Auch wenn die Austritte im Jahr nur etwa ein Prozent der Mitglieder ausmachten, werde sich der Aderlass über die Jahre bemerkbar machen. Auch in finanzieller Hinsicht.

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Die Katholische Kirche steht besser da
«Die Katholische Kirche im Kanton Bern ist in der erfreulichen Situation, dass die Mitgliederzahlen in etwa stabil sind», sagt deren Verantwortlicher Kommunikation, Thomas Uhland. Zwischen 2000 und 2014 hat es sogar einen deutlichen Anstieg gegeben, von 153 190 auf 162 145. In der Region Biel/Seeland mit den Kirchgemeinden Biel und Umgebung, Lyss-Seeland und Pieterlen sind sie in diesem Zeitraum von 29 986 auf 33 184 gestiegen. Seit 2015 sind die Zahlen im Kanton wieder leicht gesunken. In der Region sei die Mitgliederzahl in den zurückliegenden Jahren trotz Austritten «relativ stabil» geblieben, ergänzt Pascal Bord, Verwalter der Kirchgemeinde Biel und Umgebung.

Laut Uhland profitiert die katholische Kirche im Kanton Bern von der Tatsache, dass christliche Immigranten in den meisten Fällen der katholischen Kirche angehören. Häufig seien es Südeuropäer, aber auch in einigen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten herrsche die katholische Konfession vor. «Insofern kann nicht von einem Aderlass gesprochen werden, und es steht nicht zur Debatte, Seelsorgestellen zu streichen», macht Uhland klar. Bord bestätigt, dass die Migration aus Italien, Spanien, Portugal, Kroatien, Polen, Afrika und Asien zur Stabilität der katolischen Kirche in der Region beitrage.

Wie auf reformierter Seite hat auch bei den Katholiken bisher der Kanton die Zahl der Pfarrstellen festgelegt und die Löhne bezahlt – und das wird sich ebenfalls ab Anfang nächsten Jahres ändern. Aktuell stehen der katholischen Landeskirche 75 Vollzeitstellen zur Verfügung. Bord ergänzt, dass der Stellenetat vor ein paar Jahren etwas reduziert worden sei. «Wo auch immer möglich suchen wir nach Synergien und arbeiten in der Region Biel auch über die Sprachgrenzen hinweg eng zusammen.» Die Zusammenarbeit erstrecke sich zum einen bis La Neuveville, zum anderen bis Pieterlen und Lengnau. bk

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Noch bis Ende Jahr sind Pfarrer Staatsangestellte
Bern ist der letzte Kanton, in dem zwar Kirchensteuern erhoben werden, aber die Pfarrer dennoch aus allgemeinen Steuermitteln entlöhnt werden, die Pfarrer also Staats- oder genauer
Kantonsangestellte sind. Dies ist so, seit der Kanton 1804 die Kirchengüter übernommen hat, allem voran die stattlichen Pfarrhäuser, aber auch
insgesamt 700 Hektaren Land, und
im Gegenzug die Geistlichen bezahlt. Dieser Systemwechsel machte den Seelsorgern das Leben leichter, denn bis dahin hatten sie ihr Geld aus dem Ertrag der Güter selbst eintreiben müssen. Aber damit ist Ende Jahr Schluss: Im März letzten Jahres hat der Grosse Rat einer Revision des
Kirchengesetzes zugestimmt, wonach die Pfarrer ab Anfang nächsten Jahres von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn angestellt werden.
Damit wird die Trennung von Kirche und Staat ausgeweitet. bk

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