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Graffiti

Zwischen Kunst und Vandalismus

In Biel sind die Werke von Sprayern fast überall zu finden. Für die meisten Leute sind diese nichts anderes als Geschmier. Ein Sprayer erklärt, warum er nicht alle Graffitis als Sachbeschädigung betrachte.

Ein aufwendig gestaltetes Graffiti beim Gaskessel in Biel. Links im Bild auf der Absperrung die «Tags» von weiteren Sprayern. copyright:Peter Samuel Jaggi/bielertagblatt

von Michelle Buchser

Meistens sind sie in der Nacht unterwegs und hinterlassen eine farbige Spur. Grosse, kleine, einfache, aber auch komplexe Schriftzüge und Bilder erschaffen die Sprayer. An Hausfassaden, an Wänden oder Zügen. In Ballungszentren wie Biel, wo viele Menschen wohnen, sind die farbigen Graffitis zahlreicher anzutreffen als auf dem Land. Wie zum Beispiel die zahlreichen Graffitis auf dem Coop Center Bahnhof, welche für Pendler wie Passanten gut erkennbar sind. Die einen halten es für Vandalismus. Für andere ist es urbane Kunst und eine schöne Abwechslung zur sonst grauen Stadt.

Ein Sprayer aus Biel, nennen wir ihn Tom*, der aus verständlichen Gründen anonym bleiben möchte, versucht die Faszination für Graffiti zu beschreiben: «Sprayen ist eine Leidenschaft. Die Selbstverwirklichung und Ausdrucksform der einzelnen Person.»
Seine Passion für Graffiti habe in der Schule begonnen. Er habe oft gezeichnet und sei fasziniert gewesen von den Schriftzügen an den Wänden.

«Ich wollte das auch machen, bin dran geblieben und habe mich weiterentwickelt», sagt der Sprayer.
«Das Zeichnen bietet einen Ausbruch aus dem Alltag», erklärt Tom weiter. Er selbst mache im Schnitt einmal pro Woche ein «piece», was im Fachjargon der Begriff für ein Bild ist. Meistens spraye er an abgeschiedenen Orten, etwa im Wald. «Ich selber spraye nicht an Privathäuser», sagt er.

Freude am farbigen Zug
Im letzten Jahr wurden im Kanton Bern rund 3860 Anzeigen aufgrund von Sprayereien erstattet. Von allen gemeldeten Sachbeschädigungen würden die Sprayereien gut die Hälfte ausmachen, sagt Christoph Gnägi, Mediensprecher der Kantonspolizei Bern. «Gesetzlich gesehen handelt es sich bei Sprayereien um Sachbeschädigung, also um ein Antragsdelikt», sagt er. Es sei somit den Sacheigentümern überlassen, ob die Sprayerei zur Anzeige gebracht wird. Sobald eine solche Anzeige eingeht, werden die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung eingeleitet. Dabei gilt es zu beachten, dass nicht alle Fälle gemeldet werden und daher eine Dunkelziffer besteht.

Für Tom dagegen gibt es keine klare Grenze zwischen Kunst und Vandalismus. «Für mich handelt es sich um Vandalismus, wenn ein Graffiti auf eine Fläche gesprüht wurde, welche jemandem persönlich gehört», sagt er. Bei öffentlicher Infrastruktur wie Zügen sieht er es dagegen lockerer. «Klar ist das Sprayen auf Züge eine Sachbeschädigung, aber es wertet den Zug auf. Ich freue mich, wenn ich einen farbigen Zug einfahren sehe.» Das sieht das Gesetz aber anders. Das Versprayen von öffentlichen Verkehrsmitteln wird wie das Privateigentum als Sachbeschädigung geahndet.

Von «Tags» und hohen Bussen
Oft in Biel zu sehen sind neben den aufwendig gestalteten Graffiti-Bilder die «Tags», welche für die meisten Passanten als blosses Gekritzel erkennbar sind. Ein «Tag» ist die Signatur eines Sprayers. Je weiter sein «Tag» verbreitet ist, desto mehr wird man auf ihn aufmerksam. «Auch ein ‹Tag› Kunst sein», sagt Tom. «Man sieht einem ‹Tag› auf den ersten Blick an, ob es von einem Profi oder einem Anfänger gesprayt wurde», erläutert er. «Ein Sprayer, der seine Sache ernst nimmt, hat ein ‹Tag›, dass in sich selber stimmt.» Der Schwung der Schrift sowie das Verhältnis der Buchstaben und Zwischenräume müsse stimmen, sagt Tom.

Ein Sprayer hat sein «Tag» mit den Buchstaben «SEK» an vielen Orten in der Region Biel und Solothurn hinterlassen. Im April 2014 wurde er in Bellach von der Kantonspolizei Solothurn festgenommen. Gegen den 29-jährigen Schweizer wurde wegen mehrfacher Sachbeschädigung eine Strafuntersuchung eingeleitet. Der Gesamtschaden dürfte sich auf mehrere 10 000 Franken belaufen, wie die Kantonspolizei Solothurn im Juni mitteilte.

Dass «SEK» verhaftet wurde und mit einer so hohen Busse rechnen muss, hat für Tom keine abschreckende Wirkung. «Ich spraye aus einem anderen Interesse als der Sprayer «SEK». Ich habe jedoch Respekt vor ihm, denn er ist überall verewigt.» Er selber werde nie so viele Graffitis verteilen wie «SEK» es getan hat. Die Zahl der Bilder sei für ihn nicht von Interesse. Dadurch erlange er keine grosse Bekanntheit und werde auch nicht gesucht. «Ich mache lieber an einem Abend ein einziges Bild und gebe mir dafür viel Mühe, als zehn schnelle Graffitis an Orten, wo sie alle sehen können», sagt der Sprayer. Die Art des Sprayers «SEK» sei viel riskanter gewesen und bringe deshalb mehr Aufmerksamkeit —  eben auch von der Polizei.

Tiefe Aufklärungsrate
Allgemein ist es für die Polizei schwierig, Sprayer ausfindig zu machen. Laut der Kantonspolizei Bern lag die Aufklärungsquote von Graffiti-Anzeigen im Jahr 2013 kantonsweit bei rund sechs Prozent. Die Aufklärung sei wegen der wenigen Anhaltspunkte besonders schwierig. «Sprayereien werden oft erst nach der Tat gemeldet. Die Täterschaft ist daher meistens unbekannt und dementsprechend schwer zu identifizieren», erklärt Gnägi. Die besten Erfolgsaussichten bestünden dann, wenn die Täter in flagranti erwischt werden können. So könne man manchmal noch nachträglich die Sprayereien anhand von Vergleichsfotos einer Täterschaft zuordnen. Gnägi ermuntert zur Hilfe bei der Aufklärung von Sprayer-Delikten: «Entsprechende Hinweise und Beobachtungen aus der Bevölkerung sind sehr wichtig und können entscheidend sein.»

Die Stadt Biel hat im Bezug auf die Sprayereien reagiert und bietet das Schutzprogramm «Image Plus» an.  Wenn ein Service-Vertrag mit «Image Plus» und eine Zusatzversicherung abgeschlossen wird, werden laufend Sprayereien auf der persönlichen Hausfassade entfernt, wie die Stadt Biel auf ihrer Website schreibt.

Graffiti ein Teil der Bieler Kultur
Es gibt Orte in Biel, wo man in den Genuss von aufwendig gestalteten Graffitis kommt. Zum Beispiel beim Gaskessel oder in der Nähe des alten Güterbahnhofs findet man zahlreiche Werke, um nur zwei Orte zu nennen. Einige talentierte Sprayer aus Biel haben sich einen Namen gemacht und sprayen legal. Berühmt ist zum Beispiel der Sprayer Wes21, welcher unter anderem die Plakate für das Royal Arena Festival gestaltet. Aber auch Künstler wie Séyo oder Tarkin, welche in Biel aufgewachsen sind, sind grosse Namen in der Graffiti-Szene.

* Name der Redaktion bekannt.

Stichwörter: Graffiti, Vandalismus, Kunst

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Steuerzahler

Sprayereien, Graffities oder wie auch immer die Schmierereien genannt werden: Es handelt sich um gravierende Sachbeschädigungen an fremdem Eigentum und einer Verschandelung. Dieser Vandalismus gehört endlich streng bestraft zu werden. Die Kuscheljustiz und das Versagen der politischen Behörden wird an der Anzahl Schmiereien deutlich sichtbar. Biel grüsst seit Jahrzehnten vom Spitzenplatz - leider!


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