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Aus dem Grossen Rat

Blinder Fleck bei der Prävention

Der Rekordwasserstand im Bielersee vom letzten Sommer ist der vorläufige Höhepunkt in einer Serie von Überschwemmungen. Welche Lehren können wir daraus für die Zukunft ziehen?

Bild: Christoph Grupp
, Grossrat Grüne

Christoph Grupp
, Grossrat Grüne

In einer speziellen Präsentation zeigten neulich die kantonalen Verantwortlichen für Gewässerregulierung uns Grossratsmitgliedern aus dem Seeland auf, wie es zum Hochwasser 2021 kam. Der zu kalte Mai häufte viel Schnee an in den Bergen, der zu warme Juni schmolz diesen in kürzester Zeit, und die Starkregen im Juli brachten das Fass buchstäblich zum Überlaufen. Die Gewässerregulierung erfolgte ordnungsgemäss, rasch und effizient. Platz für politische Eingriffe gab es da nicht. Mehr oder früheres Wasserablassen im Oberland hätte die Überschwemmungen im Seeland nicht verhindert, denn bei uns ist der hydrologische Flaschenhals, seit Jahrhunderten.

Wie andere Grossrats-Kolleginnen und -Kollegen aus dem Seeland reichte ich letzten Herbst ein Postulat ein. Wie ist es möglich, so fragte ich, dass im neusten Gebäude des Bieler Gymnasiums die grössten Schäden entstanden, obwohl man das Problem von den vier anderen Gebäuden her kannte? Die Antwort, kurz zusammengefasst, lautete ähnlich wie bei den Vorstössen meiner Kollegen und Kolleginnen: Bei einem solchen Naturereignis gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Manchmal kommt es zu technischem Versagen oder Mängeln bei Planung, Bau und Unterhalt.

Beim Gymer wirkte gleich das ganze Pannenspektrum. Der Standort befand sich vor 150 Jahren noch im Bielersee, so wie viele private Liegenschaften auf den ehemaligen Strandböden rund um den See. Die technischen Möglichkeiten sind weitgehend ausgereizt. «Schon die Ingenieure der zweiten Juragewässerkorrektion sagten, das System habe keine Reserven mehr», zitierte der Leiter Gewässerregulation, Bernhard Schudel, an der Infoveranstaltung. Bei der Schadensdeckung besteht hingegen Raum für Interpretation, aber auch für politische Auseinandersetzungen. Kommen die Besitzerinnen für die Schäden auf, weil sie mit einem Blick auf die Geschichte am falschen Ort gebaut haben? Oder die für die Einzonungen verantwortlichen Gemeinden? Die Versicherungen, weil das ja deren Aufgabe ist? Wir Steuerzahlende, weil der Staat für den Überschwemmungsschutz sorgen muss?

In der Frühlingssession werden genau diese Fragen debattiert und je nach politischer Gesinnung beantwortet werden. Ein Thema kam übrigens bei der Infoveranstaltung nicht zur Sprache: der Klimawandel. Wenn wir aber die zunehmenden Wetterextreme nicht als dessen Folgen verstehen, haben wir einen blinden Fleck bei der Hochwasserprävention.
kontext@bielertagblatt.ch

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