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Titelgeschichte

Chalets, Berge, Subarus

Zwischen dem waadtländischen Rougemont und seiner Nachbargemeinde Saanen 
liegt eine Sprach- und eine Kantonsgrenze. Trotzdem verbindet sie einiges. 
Zum Beispiel ein Kranich, ein Rüebli und ein altes Handwerk.

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Andrea Butorin

Das Pays-d’Enhaut steht am Anfang oder am Ende, je nach Betrachtungsweise. Es ist überschaubar und besteht aus den Dörfern Château-d’Œx, Rougemont und Rossinière sowie den umliegenden Weilern. Ab Zweisimmen geht es mit der Montreux-Berner-Oberland-Bahn (MOB) erst einmal via Saanenmöser, Schönried, Gstaad nach Saanen. Berge, Chalets, Subarus und der kernige, breite Oberländer Dialekt. Ein kleiner Bach, der Grischbach oder Rouisseau des Fenils, trennt nun Deutsch von Französisch, hier endet der Kanton Bern und beginnt der Kanton Waadt.

Angekommen in Rougemont. Berge, Chalets, Subarus. Alles scheint gleich, nur die Sprache ist anders. Mehr oder weniger ausgeprägte dialektale Einschübe sind jedoch auch hier zu vernehmen. «Batimäng» für batiment zum Beispiel, «monumäng» für monument oder «chence» für chance.

Rougemonts Ortskern ist klein, aber voller kunstvoll verzierter Chalets. Wobei ursprünglich ausschliesslich die Alphütten Chalets genannt wurden. Es waren die Touristinnen und Touristen, welche die typischen und teils jahrhundertealten Holzhäuser im Dorf ebenfalls so zu bezeichnen begannen, erzählt Touristenführerin Monique Buri.

Ein besonders schönes Exemplar aus dem Jahr 1703 befindet sich oberhalb des Dorfzentrums von Rougemont und heisst «Les Foisses». Es ist äusserst aufwendig verziert und bemalt. Besonders auffällig sind die beiden hölzernen Adler, welche auf den symmetrisch angelegten Eingangstreppen thronen. In diesem Haus habe sich einst ein Antiquitätenladen befunden, sagt Monique Buri. Ein Amerikaner habe hier die Adler erworben mit dem Plan, sie sich in die Heimat nachliefern zu lassen. Leider trat er die Heimreise auf der Titanic an. Weil sich keine Erben meldeten, habe man die Adler kurzerhand behalten und in die Hausdeko integriert.

Die Scheunen dienten früher nicht nur zur Aufbewahrung von Lebensmitteln, sondern auch von Wertsachen. Denn in den Wohnhäusern waren diese wegen der Kochstellen in deutlich grösserer Gefahr, einem Brand zum Opfer zu fallen. Die heute mit bunten Kuhglocken dekorierte Scheune an der Hauptstrasse wurde sogar zur Aufbewahrung von Kleidern verwendet: Hier deponierten die Menschen von weiter entfernten Höfen ihre Kleider für den sonntäglichen Gottesdienst.

Monique Buri spricht ein charmantes, mit Akzent versehenes Hochdeutsch. Hie und da sucht sie nach einem Wort und ärgert sich, wenn sie es nicht findet. Dass sie überhaupt Deutsch spricht, macht sie beim Besuch in Rougemont zur Ausnahme. Viele andere Bewohnerinnen und Bewohner winken ab. «Deutsch? C’est mieux en français.» Natürlich lernen hier alle Deutsch in der Schule, doch für den Besuch im Nachbardorf seien sie damit zu wenig gerüstet: «Niemand spricht mit uns Hochdeutsch. Die Saaner reden mit uns nur im Dialekt oder dann lieber gleich Französisch als Hochdeutsch», sagt etwa ein Einheimischer.

 

Die Grafen von Greyerz lebten auf allzugrossem Fuss

Monique Buri läuft nun in Richtung der Dorfkirche. Diese ist Zeugin der reichen Geschichte des Ortes. Lange Zeit gehörten das Pays-d’Enhaut und auch das Saanenland zur Grafschaft Greyerz. Im Auftrag von Graf Wilhelm I, der an den Kreuzzügen teilnahm, bauten Mönche der Zisterzienserabtei Cluny in Rougemont die Kirche und ein Kloster.

In späteren Jahrhunderten lebten die Greyerzer Grafen auf allzu grossem Fuss, sodass sie 1554 an der Tagsatzung von Baden Konkurs anmelden mussten. Die Gläubiger Bern und Freiburg teilten sich den Besitz auf, und ab da gehörte sowohl das Saanenland als auch das Pays-d’Enhaut zu Bern.

Gegen den Willen der Bevölkerung reformierte Bern seine neuen Gebiete. Auf den Fundamenten des zerstörten Klosters von Rougemont baute sich der Berner Landvogt ein Schloss, das heute in Privatbesitz ist.

Gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz waren «ein gewisser Wohlstand und niedrige Steuern» der Grund, weshalb das einst sehr arme Pays-d’Enhaut das Berner Regime bis im März 1798 akzeptiert hatte.

Dann kam Napoleon und mit ihm die neue Ordnung. Das Pays-d’Enhaut wurde dem neu gegründeten Kanton Léman zugeteilt, bis 1803 aus ihm der Kanton Waadt hervorging. Als Überbleibsel der langen Greyerzer Geschichte der Region tragen alle Gemeinden des Pays-d’Enhaut wie auch Saanen den Greyerzer Kranich im Wappen.

Der Kranich von Rougemont ist auf zwei Berge gebettet. Einer symbolisiert den nördlich stehenden Rodomont. Der andere den Rubli, der im Süden neben der Videmanette thront. Man liest auch Rubly oder gar Rübli.

Deutschsprachige sprechen vom «Rüebli», was seine Berechtigung hat, wenn man den Berg vom Saanenland aus betrachtet. Da wirkt er spitzig und schlank, während er von Rougemont aus betrachtet an die Südflanke des Stockhorns erinnert.

Laut Monique Buri stammt der Name des Berges aber nicht aus dem Deutschen, sondern von «rubeus», der lateinischen Bezeichnung für die Farbe rot. Der Rubli stiehlt den Bewohnerinnen und Bewohnern im Winter ab November die Sonne. Erst am 17. Januar, am Tag des Heiligen Antonius, lugt sie erstmals wieder hinter dem Berg hervor, was Anlass für ein Fest ist.

 

Man profitiert vom 
Gstaader Supertourismus

Heute vernimmt man in Rougemont, dass man sich hier manchmal etwas weit weg fühlt. Tatsächlich ist die Kantonshauptstadt Lausanne anderthalb Autostunden entfernt, und nach Vevey, wohin die Kinder bis vor Kurzem ins Gymnasium fuhren, ist es rund eine Stunde. Deshalb haben die Dörfer des Waadtländer Oberlands eine Vereinbarung mit dem freiburgischen Bulle getroffen, das noch etwas näher gelegen ist.

Weit weg fühlt man sich aber nicht nur rein geografisch. Sondern zum Beispiel auch dann, wenn es um Investitionen geht. Und so blickt man aus Waadtländer Perspektive hie und da etwas wehmütig auf das Bernische Gstaad.

Gleichzeitig profitiert natürlich auch vom Supertourismus, der dort vorherrscht. Die Touristinnen und Touristen machen vor der Sprachgrenze nicht Halt; kaufen sich im Pays-d’Enhaut ein Chalet oder übernachten im Hotel. Beim Besuch kurvt jedenfalls immer mal wieder ein Luxuswagen mit Pelz tragender Dame auf dem Beifahrersitz durchs Dorf.

Aber auch im Saanenland einheimische Familien würden aufgrund der hohen Miet- und Grundstückpreise vermehrt auf das Pays-d’Enhaut ausweichen, sagt der Saaner Gemeindepräsident Toni von Grünigen auf Anfrage. «Was den Vorteil hat, dass diese Kinder zweisprachig aufwachsen.»

Dass Rougemonts Skigebiet La Videmanette über Les Gouilles, Chalberhöni und Eggli mit Gstaad verbunden ist, ist ein Glücksfall fürs Dorf. So kriegt man hier erstens durchaus ein Stück der Berner Investitionen ab, und zweitens haben einheimische Skilehrer oder Wanderleiterinnen die Möglichkeit, in diesem lukrativen Gebiet zu arbeiten.

In der Vereinbarung «La Sarine», also «die Saane», regeln die Gemeinden von Saanenland und Pays-d’Enhaut ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Tourismus, Mobilität, Sport und Freizeit, Veranstaltungen, Gesundheit und Bildung. Man besuche sich gegenseitig an Festen und profitiere von den jeweiligen Freizeiteinrichtungen: So locke in Château d’Oex zum Beispiel die Bowlingbahn, in Gstaad das grössere Ausgangsangebot oder das Sportzentrum, dessen Ausbau der Kanton Waadt seit einigen Jahren mitfinanziere, sagt von Grünigen. Und weicht damit den ersten Eindruck eines relativ tiefen Rösti- oder Grischbachgrabens weiter auf.

Auch die französischsprachigen Handwerker seien im boomenden Saanenland gefragt, meint Toni von Grünigen. Mehrere Landwirte aus dem Saanenland bewirtschafteten im Gegenzug Land oder Alpen im Pays-d’Enhaut. Als letztes sei die Möglichkeit eines «Austauschjahrs» in der jeweils anderen Sprachregion erwähnt, die allen Oberstufenschülerinnen und -schülern zwischen Rossinière und Zweisimmen offen steht.

 

Scherenschnitte locken weltberühmte Promis

Ebenfalls auf beiden Seiten des Grischbachs zuhause ist die Tradition der Scherenschnitte. Die ersten Scherenschnitte sind «made in China» und so alt wie das Papier selbst. Doch die heute so typischen Oberländer Sujets – Berge, Kühe, Alpabzüge – gehen auf Johann Jakob Hauswirth zurück. Er brachte dieses Handwerk im 18. Jahrhundert ins Saanenland.

In Rougemont machte sich der Dorf-Briefträger Louis Saugy einen Namen als Scherenschnittkünstler. Auf dem ihm gewidmeten Weg durch Rougemont erfährt man, dass er in seinem Atelier Persönlichkeiten wie Winston Churchill, den Marschall Montgomery und die spanische Königsfamilie empfangen durfte.

Heute sind die Scherenschnitte um einiges filigraner als zur Zeit der beiden Meister, je nach Geschmack der Künstlerin oder des Künstlers fallen die Sujets moderner aus.

Zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Scherenschnitt-Künstlerinnen zählt Marianne Dubuis aus Château d’Oex. In ihrer Stube gibt sie Interessierten Einführungskurse. Mittels feiner Schere oder einem Cutter folgt man konzentriert einem vorgezeichneten Muster. Doch Marianne Dubuis stellt sofort klar, dass das hier eigentlich nur wenig mit der eigentlichen Kunst zu tun hat. Viel wichtiger ist für sie, dass man kreativ ist, eigene Ideen zu Papier bringt.

An den Wänden hängt eine Auswahl von beeindruckenden Sujets. Zu sehen ist die Welt der Künstlerin, auf den ersten Blick eine traditionelle: Berge, Kühe, Bauern, Natur. Sie sagt: «Meine Bilder kann man immer von zwei Seiten aus betrachten.» Wichtig sei ihr aber schon, das zu zeigen, was sie als schön empfinde.

Scherenschnitte können sowohl schwarz-weiss als auch farbig sein, in diesem Fall werden die Bilder zusammengeklebt. Marianne Dubuis wendet beide Techniken an, ausserdem gestaltet sie sowohl symmetrische als auch asymmetrische Motive.

Eine ihrer Arbeiten, die in ihrer Stube an der Wand hängt, zeigt das Leben der Alpen; Berge, Kühe, Vögel, Alphütten. Auf den ersten Blick meint man, das sei eine symmetrisch hergestellte Arbeit. Doch plötzlich fällt einem dieses Huhn auf, das inmitten dieser Schwarz-Weiss-Szenerie einen roten Kamm trägt und aus dem Rahmen herauszuspringen scheint.

Marianne Dubuis hat ihre Scherenschnitte schon in der halben Welt ausgestellt. Sie arbeitete ausserdem elf Jahre im örtlichen Museum, das gerade umgebaut und erweitert wird. Auch kommerzielle Aufträge führt sie aus: Für Cailler gestaltete sie eine Pralinenschachtel, dem in der Romandie beliebten Brotaufstrich Cenovis verpasste sie ein traditionelles Design.

Sie lässt sich überreden und zeigt den Entwurf eines Scherenschnitts, der einem bekannten, in England lebenden Paar zur Hochzeit geschenkt werden soll. Sagt aber: «Mit Scherenschnitten auf Bestellung werde ich aufhören, weil sie extrem aufwändig sind.» So müsse sie jeweils sehr viel Zeit in die Recherche stecken, wenn sie eine ihr fremde Umgebung darstellen soll. Sie bleibt deshalb lieber bei dem, was sie vor ihrer Haustüre findet: Berge, Chalets und vielleicht auch einmal ein Subaru.

Info: Diese Geschichte wurde unterstützt von Vaud Promotion.

 

Viel Käse und viel Haute Cuisine

 

 

Das gastronomische Angebot im Pays-d’Enhaut ist reich. Besonders gut kommen Käseliebhaberinnen auf ihre Kosten. Beim jungen Käser Arnaud Guichard in Rougemont gibt es beispielsweise seinen berühmten und vielfach ausgezeichneten Tomme Fleurette. Guichard hat aber auch weitere Spezialitäten im Angebot. Besonders zu empfehlen ist «Le K-ré», der mit Marc (Tresterbrand) aus dem Dézaley verfeinert ist.

Auf der Alp L’Etivaz wird der gleichnamige würzige Bergkäse hergestellt: im Kupferkessi und ausschliesslich über dem Holzfeuer, von 70 Familien und mit Milch von 3000 Kühen hergestellt.

Der Prozess der Käseherstellung lässt sich in Château d’Oex gemütlich bei einem Mittagessen beobachten. Im Restaurant Le Chalet, bei einem Fondue oder einer wunderbaren Käseschnitte, wird das Handwerk mittwochs sowie freitags bis sonntags über Mittag präsentiert. Der Käse wird – neben vielen anderen Spezialitäten – im hauseigenen Laden verkauft.

In Rougemont gibt es mehrere Möglichkeiten, sich gediegen zu verpflegen. Da wäre etwa das Restaurant du Cerf mit seinem rustikal-chicen Ambiente und der leckeren und deftigen Küche. Direkt vis-à-vis befindet sich das tatsächlich der Gemeinde gehörende Hôtel de Commune mit ebenfalls lockender Speisekarte.

Das Nonplusultra im Dorf ist allerdings das zum Hotel Valrose gehörende Spitzenrestaurant La Table. Hier wirkt seit letztem Juli Chefkoch Benoît Carcenat mit seinem Team, während seine Frau Sabine das Hotel führt. Damit arbeiten im Dorf neben Edgar Bovier und Vania Cebula im Hotel de Rougemont (15 Gault-Millau-Punkte) gleich drei Spitzenköche. Carcenat wurde 2015 zum «Meilleur ouvrier de France» gekürt und hat sich im «Valrose» sogleich 17 Gault-Millau-Punkte erkocht. Während es im Café traditioneller (und erschwinglicher) zu und her geht, zündet Carcenat sein ganzes Können im «La Table» bei der Zubereitung des 5-, 7- oder 9-gängigen Überraschungsmenüs. ab

 

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