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Gartenkolumne

Der Tisch ist gedeckt

Von einer wilden Blumenwiese haben alle etwas: Gartenbesitzerinnen und vor allem auch Insekten. Wer das richtige anpflanzt, erhält besonders attraktiven Besuch.

Die Stieglitz-Fütterung ist ein grosses Spektakel: Die Jungvögel sind praktisch permanent am Fiepsen, so als stünden sie stets kurz vor dem Verhungern. Bild: Andrea Butorin

Die Kurzversion dieses Textes geht so: Ein Fleckchen Erde freimachen, Blumensamen säen, warten, sich freuen und andere beglücken. Ja, anders als mein Kollege Parzival Meister, der monatelang an seinen Hochbeeten sägt, schraubt und lackiert, mache ich es mir deutlich einfacher. Letztes Jahr habe ich mir den Wunsch erfüllt, eine wilde Blumenwiese anzulegen. Eine, die Vögel anlockt und Insekten nährt und zudem eine Augenweide für alle Betrachterinnen darstellt.


Der Anfang war trotzdem etwas schweisstreibend. Denn an der vorgesehenen Stelle war von den vorherigen Bewohnern bereits so etwas wie eine wilde Blumenwiese übrig. Doch leider machte mich eine kundige Nachbarin darauf aufmerksam, dass die vielen dünnstängligen, gelbblütigen Gewächse, die da überall wucherten, dringend entfernt gehören, da sie nämlich invasiv und äusserst vermehrungsfreudig seien. Seither ist die Goldrute im Garten mein grösster Feind. Die aus Nordamerika eingeschleppte Pflanze wird nicht überall so vehement bekämpft wie in der Schweiz, wo das sogar vorgeschrieben ist. In Deutschland sieht man sie beispielsweise in viel mehr Gärten, und sie wird dort teils auch als Heilpflanze geschätzt.


Ich aber riss sie aus, entsorgte sie im Müll und wusste von Anfang an, dass dieser Kampf ein harter werden würde. Denn die Kanadische Goldrute verbreitet sich sowohl über die Samen als auch unterirdisch, via Wurzeln. Danach mussten die vorgesehenen 3 mal 5 Meter umgegraben werden – wer einen Garten hat, braucht kein Fitnessstudio!


Blumenwiese für Ungeduldige

Es folgte der schöne Teil, die Aussaat. Des Experiments willen auf zwei Arten: einmal Blumenwiese für Geduldige, einmal für Ungeduldige. In der einen Hälfte streute ich alle möglichen gekauften und geschenkt erhaltenen Blumensamen, die versprachen, einheimisch, insekten- und bienenfreundlich zu sein. Die andere Hälfte wurde mit Samen aus dem «Profibeutel» beglückt: Der verhiess einen tipptoppen insekten- und vogelfreundlichen Garten, allerdings erst im nächsten Jahr. Im ersten Jahr muss man die Wiese mitten im Sommer mähen und sich dann bis zum nächsten Frühjahr weiter in Geduld üben.
Dazwischen pflanzte ich selbst gezogene Sonnenblumen in allen Grössen und Farben und säte noch einige Sonnenblumensamen aus. Sonnenblumen sind nicht nur meine Lieblingsblumen, sie sind auch bei den Stieglitzen sehr beliebt, die ich in den Garten locken wollte.


Das Experiment ist geglückt. Die Expresswiese entfaltete sich ab Juni/Juli wunderbar, und kaum öffneten sich die ersten Blüten, waren auch verschiedene Bienenarten, Hummeln und Schmetterlinge zur Stelle. Die Profiwiese wurde wie empfohlen im Juni gemäht. Hie und da zupfte ich eine junge Goldrute aus dem Boden, ansonsten gab es nichts weiter zu tun.
Ab Mitte Juli ging es mit den Sonnenblumen los: Die schossen prächtig in die Höhe, besonders die Sorten «Golden Beauty» und «Sonnenrad». Manche formierten sich zu einem vielköpfigen Strauss, und der Höhenrekord geht an eine «Sonnenrad» mit rund  drei Metern Höhe und einem Stängeldurchmesser von zirka fünf Zentimetern.


Noch liessen sich die Stieglitze nicht blicken. Für sie wird es erst interessant, wenn die Sonnenblumen zu welken beginnen und die Samen reif sind.
Ab Mitte August kam ein ganzer Schwarm regelmässig zu Besuch und ass sich satt. Ein grosses Spektakel war die Fütterung der Jungvögel. Diese beherrschten das Aufmeisseln der Sonnenblumenkerne noch nicht und wurden von den Altvögeln gefüttert. Dabei flatterten sie ungeduldig und fiepsend herum.


Sie kommen bis im November

Je später der Herbst, desto seltener die Besuche der Distelfinke, wie die Stieglitze auch genannt werden. Allerdings tauchten sie vereinzelt bis weit in den November auf, sodass ich die Sonnenblumen gleich stehen liess, auch als sie schon ganz trocken und schwarz dahinlampten.


Wer eine Blumenwiese anlegen will, sollte bald einmal anfangen umzugraben und anzusäen. Meine beiden Wiesenhälften beginnen bereits zu blühen. Zur Sicherheit habe ich kürzlich erneut einige Samen ausgestreut. Auch Sonnenblumen habe ich wieder gepflanzt.


Mein Garten wird übrigens von vielen anderen Vogelarten besucht: Allen voran den Spatzen, den Rotschwänzchen, Amseln, Meisen, Finken ... Doch keine von ihnen schätzt die wilde Blumenwiese so sehr wie die Stieglitze. Mein nächstes Ziel ist es, sie noch etwas früher in meinen Garten zu locken. Vielleicht brauche ich dafür einen Vogelbeerbaum?

Text und Bild: Andrea Butorin

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